Hickory hatte wieder vor mir angefangen und versuchte sich einmal mehr an dem perfekten Segelboot. Er grüßte mich wie einen Freund aus vergangenen Tagen und fragte zögernd, ob ich ihm zur Hand gehen könne, da er allein nicht ganz zurechtkomme.
Rundum gutgelaunt zog ich mein Hemd aus, um Hickory zu helfen, holte ihm einen Glasposten aus dem Ofen, wenn er einen brauchte, und hielt das heiße Glas für ihn bereit. Hickory gab Catherine zuliebe einen laufenden Kommentar zu unserer Arbeit ab und flirtete ein wenig mit ihr. Selten hatte morgendlicher Unernst mir so viel Spaß gemacht.
Diesmal dachte Hickory daran, das fertige Boot in den Kühlofen zu stellen, und wenn er Catherines überschwengliches Lob etwas selbstgefällig entgegennahm, so war er in seiner Ausbildung doch immerhin einen guten Schritt vorangekommen.
Irish kam und kochte Tee. Pamela Jane reinigte die Töpfchen der Färbemittel und füllte sie auf, damit wir für unsere Schicht genügend davon hätten. Dann war es auch schon neun, und wir arbeiteten wie jeden Samstagmorgen bis um zwölf.
Ein paar Minuten nach Mittag beehrte uns Bon-Bon mit den beiden Jungen, Daniel und Victor, die das Glasblasen vorübergehend interessanter fanden als E-Mails.
Kurz nach ihnen rauschte Marigold zur Tür herein, klimperte mit den Wimpern, lächelte Hickory an, drückte Daniel an ihr golddurchwirktes rosa Wolkenkleid und teilte Bon-Bon lautstark mit, daß»der gute Trubby «auch gleich kommen werde.
«Der gute Trubby«, Kenneth Trubshaw, versank in him-beerrosa Tiefen und tauchte mit Lippenstift auf der Wange wieder daraus empor. Der Planungschef der Rennbahn Cheltenham hatte mein Portfolio dabei, aber offenbar war es ihm zu laut und zu geschwätzig im Laden. Er betrachtete ein wenig ungehalten meinen halbnackten Oberkörper und deutete an, daß sich das Wychwood Dragon vielleicht besser für ein Geschäftsgespräch eigne.
«Mein lieber Trubby, was für eine tolle Idee!«Und weil Marigold von dem Vorschlag so begeistert war, zogen also sie, Bon-Bon und Catherine und ich und natürlich Worthington (Marigold bestand darauf) mit Kenneth Trubshaw in das Hotelrestaurant hinüber, um uns in einer ruhigen Ecke dort berichten zu lassen, wie die Sitzung der Cheltenhamer Planungskommission an diesem Morgen ausgegangen war.
Irish ging unterdessen mit den beiden Jungs ins Städtchen, um sie mit Hamburgern und Cola abzufüllen, und
Hickory und Pamela Jane durften sich im Geschäft in aller Ruhe den nicht ganz so anspruchsvollen Januartouristen widmen.
Als wir im Restaurant alle erwartungsvoll gespannt auf unseren Plätzen saßen, fing Kenneth Trubshaw mit seiner Ansprache an.»Zunächst einmal, liebe Marigold«, sagte er,»möchte Ihnen die ganze Kommission für Ihre außerordentliche Großzügigkeit danken…«Er sparte nicht mit Schmeicheleien. Marigold erglühte. Worthington suchte meinen Blick und zwinkerte mir zu.
«Die Kommission hat abgestimmt…«, kam der Vorsitzende endlich zur Sache.»Wir haben einstimmig beschlossen, Sie, Gerard Logan, mit dem Entwurf und der Anfertigung eines Ehrenpreises zum Gedenken an Martin Stukely zu beauftragen, und das Motiv soll ein steigendes Pferd auf einer Kristallkugel sein, wie in Ihrer Dokumentation gesehen. Wenn es Marigold und der Kommission gefällt — «Sein Schlußwort ging vorübergehend in einer himbeerrosa Umarmung Marigolds unter, mündete dann aber in Vorbehalte bezüglich der Kosten. Marigold wollte von Kosten nichts hören. Worthington zerstreute die Vorbehalte, und ich rief einen Juwelier an, der mir das nötige Gold zusicherte.
«Klappt das mit der Figur vielleicht heute noch, Gerard?«säuselte Marigold.»Es ist ja erst drei Uhr.«
«Morgen wäre schon schwierig«, sagte ich,»nächste Woche wäre mir lieber. Heute ist es leider unmöglich. «Je früher, desto besser, dachte ich, damit Marigold bei Laune blieb.
Marigold zog einen Schmollmund, aber das konnte ich nicht ändern. Ich brauchte Zeit zur Besinnung, wenn es eine gute Arbeit werden sollte, und für Bon-Bon, für Marigold, für die Rennbahn Cheltenham und für Martin selbst wollte ich schon eine gute Arbeit abliefern.
«Ich mache das morgen«, sagte ich.»Die Kristallkugel und das steigende Pferd. Mehr als einen Helfer brauche ich dabei nicht. Am Montag kann das Gold aufgelegt werden, und am Dienstagnachmittag kommen beide Teile auf einen Sockel. Bis Mittwoch ist das Stück dann fertig.«
«Vorher nicht?«warf Marigold ein und drängte mich, mir das noch mal zu überlegen.
«Ich will dir doch nichts Halbes vorsetzen«, sagte ich.
Und außerdem wollte ich meinen Widersachern Zeit geben.
Marigold fand es ärgerlich, daß ich bei der Arbeit an dem steigenden Pferd und der Kristallkugel keine Zuschauer haben wollte. Kenneth Trubshaw zeigte Verständnis.
«Der gute Trubby«, grauhaarig und durch und durch Geschäftsmann, vergaß auch nicht, mich wie nebenbei noch einmal auf die Kosten anzusprechen.
«Worthington und ich«, sagte ich,»werden mit Marigold einen Preis vereinbaren, und dann können Sie ja feilschen, wenn Sie wollen.«
Er schüttelte mir die Hand und lächelte schief.»Der Funktionär aus Leicester, dessen Frau verschiedene Sachen von Ihnen hat, gehört auch zur Rennleitung von Cheltenham, und heute morgen in der Sitzung sagte er uns, vor fünf Jahren hätten wir so eine Glasfigur bei Ihnen für ein Handgeld kaufen können.«
«Vor fünf Jahren schon«, stimmte ich zu.
«Und er meinte«, ergänzte Trubshaw,»heute in fünf Jahren werden die Arbeiten von Gerard Logan mindestens noch mal so teuer sein.«
Das wäre Musik für Onkel Ron gewesen. Nun… ich hörte es auch gern. Aber meine Sorge war, wie ich die nächsten fünf Tage überleben sollte.
Am frühen Nachmittag hatten wir uns alle wieder im Laden versammelt und von neuem getrennt. Ich mußte auf die Jungs aufpassen, während Bon-Bon und Marigold die
Antiquitätenhandlungen abklapperten und Worthington und Kenneth Trubshaw sich auf einem gemeinsamen Spaziergang kennen- und schätzenlernten.
In der Werkstatt sah Victor zutiefst beeindruckt Hickory bei einer Showeinlage mit zwei glühendheißen Glasposten zu, die er gekonnt zuerst in weißem, dann in farbigem Granulat wendete und schließlich zu einer kleinen Solitärvase mit zart gewelltem Rand drehte. Pamela schnitt die Vase fachgerecht von der Pfeife, und Hickory trug sie mit gespielter Bescheidenheit in den Kühlofen, als wäre es der Heilige Gral.
Daniel, für den die Werkstatt vertrautes Terrain war, lungerte bei den Regalen mit der bunten Glasmenagerie herum und zeigte mir eine knallrote Giraffe, die ihm sein Vater angeblich am Tag, bevor er starb, zu kaufen versprochen hatte. Diese Geschichte kam mir zwar sehr unwahrscheinlich vor, da ich wußte, daß Martin seine Kinder überhaupt kaum wahrgenommen hatte, aber ich gab Daniel die Giraffe trotzdem, wieder ein Geschenk, das seiner Großmutter mißfallen hätte.
Aber Daniel etwas zu schenken zahlte sich immer aus. Diesmal wollte er, daß ich mit ihm nach draußen ging, und nach einem Blick in seine weit aufgerissenen Augen folgte ich ihm unauffällig, aber sofort.
«Was ist?«fragte ich.
«Hier in der Straße ist ein Schuhgeschäft«, sagte er.
«Ja, ich weiß.«
«Komm mal mit dahin.«
Er ging los, und ich schloß mich ihm an.
«Victor und ich waren unten im Ort Hamburger essen«, sagte er,»und da kamen wir vorne an dem Schuhgeschäft vorbei.«
Das Schuhgeschäft war auf der linken Seite, ein kleiner Laden, der hauptsächlich Wanderschuhe für Touristen führte. Daniel blieb abrupt vor dem NullachtfünfzehnSchaufenster stehen.»Ich würde sagen, das ist noch zwei Goldtaler wert«, meinte er.
«Für zwei Goldtaler muß es aber schon was sein.«
«Siehst du die Turnschuhe da?«sagte er.»Oben in der Ecke, die mit den grünweiß gestreiften Schnürsenkeln? Der Mann mit dem Gas hatte die gleichen Schnürsenkel.«
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