Ich stellte die Zeitschaltuhr aus, damit auch nach zwölf noch das Licht anblieb, und zog Jacke und Hemd aus, um wie gewohnt im Unterhemd, mit blanken Armen zu arbeiten.
«Was machen Sie denn?«Sie hörte sich bestürzt an, aber dazu bestand kein Anlaß.
«Ein Porträt«, sagte ich.»Halten Sie still. «Ich drehte die Ofentemperatur auf, suchte mir die nötigen Glasmacherpfeifen heraus und legte, weil ich Schwarz brauchte, eine hinreichende Menge Manganpulver bereit.
«Aber Ihre Prellungen…«, wandte sie ein.»Die blauen Flecke. Das sieht ja schrecklich aus.«
«Die spüre ich nicht.«
Ich spürte wirklich nichts außer der seltenen Erregung, die mit der Inspiration einhergeht. Wie oft hatte ich mich schon an Glasschmelze verbrannt und nichts davon gespürt. An diesem Sonntagabend nahmen das Bild von der Fahnderin, die wie durch dunkles Glas Einsicht in die Taten anderer erlangt, und die Hoffnung, das Gute könnte sich über das Böse erheben, mich so sehr gefangen, daß meine Wunden und meine Schmerzen nicht nur gestillt, sondern praktisch aus der Welt waren, bis die Flamme der Eingebung ihr Werk getan hatte. Manchmal hatten solche inneren Bilder während der Gestaltung ihre Überzeugungskraft verloren und waren zu Asche geworden, und wenn das geschah, ließ ich das mißlungene Stück auf der Bank stehen, statt es behutsam in den Kühlofen zu stellen. Nach einiger Zeit zerstörte es sich dann durch die unaufgelösten Materialspannungen selbst und ging mit einem dramatischen Krachen zu Bruch — zerbarst, zersprang in lauter Scherben.
Manchen Zuschauern war es etwas unheimlich mit anzusehen, wie ein scheinbar fester Gegenstand ohne ersichtlichen Grund in Stücke ging. Mir zeigte sein Zerspringen lediglich, daß die Grundidee nicht klar und nicht stark genug gewesen war. An diesem Sonntag aber gab es für mich kein Zaudern, kein Überlegen, und ich hantierte mit
Glasposten, die, auch wenn ich fit gewesen wäre, meine ganze Kraft beansprucht hätten.
An diesem Abend gestaltete ich Catherine Dodd in drei Teilen, die später zusammengefügt werden sollten. Ich formte kein lebensechtes Porträt ihres Kopfes, sondern ein symbolisches Abbild ihrer beruflichen Tätigkeit. Es kam im wesentlichen auf ein weit geöffnetes Flügelpaar hinaus, der eine Flügel schwarz und glänzend, ausgreifend von einer schwarz-weiß-transparenten Mitte, die zweite Schwinge ein schimmernd golddurchsträhnter, steiler Bogen.
Das Gold faszinierte mein Modell.
«Ist das echtes Gold?«
«Eisenpyrit. Echtes Gold würde genauso schmelzen… aber ich habe meinen ganzen Vorrat vor acht Tagen aufgebraucht.«
Behutsam hüllte ich die zerbrechliche zweite Schwinge in hitzebeständigen Faserstoff und legte sie vorsichtig in einen der sechs Kühlöfen, und da erst, als alle drei Teile unbeschadet abkühlten, nahm ich die kaum noch erträgliche Anspannung in meinen Gliedern wahr und meinte selbst zu zerspringen.
Catherine stand auf und brauchte eine Weile, bis sie etwas sagen konnte. Schließlich räusperte sie sich und fragte, was ich mit dem fertigen Flügelpaar vorhätte, und ich, der vom schöpferischen Höhenflug wieder zurück auf die Erde kam, hielt mich, wie schon öfter bei solchen Gelegenheiten, ans Greifbare und antwortete, wahrscheinlich würde ich einen Sockel dafür machen und es mit ein, zwei Spots beleuchten, damit seine Form in der Galerie gut zur Geltung kam.
Wir schauten uns an, als wüßten wir beide nicht, was wir noch sagen sollten. Ich beugte mich vor und küßte sie auf die Wange, dann machten wir beide durch kleine Bewegungen einen Mundkuß daraus, der durchaus schon Leidenschaft enthielt, die aber noch nicht überströmte.
Motorradkleidung ist bei einer Umarmung eher hinderlich. Außerdem ließen meine Schmerzen mich unwillkürlich zusammenzucken, und so löste sie sich mit trauriger Belustigung von mir und meinte:»Vielleicht ein andermal.«
«Laß das >vielleicht< weg«, antwortete ich.
Meine drei Gehilfen hatten jeder einen eigenen Schlüssel zur Galerie, und es war Pamela Jane, die ich durch schmale Augenschlitze als erste dort zu sehen bekam, als ich wider Willen am Montag morgen gegen acht aufwachte. Nachdem Catherine gegangen war, hatte ich eine Stunde herumüberlegt, ob ich mir nicht ein bequemes Bett im Wychwood Dragon (ohne den Drachen) gönnen sollte, hatte mich mangels Energie dann aber einfach in den großen Sessel in der Werkstatt fallen lassen und mein überreiztes, protestierendes Nervensystem kurzerhand ausgeblendet.
Catherine hatte mich — real und symbolisch — während der dunkelsten Nachtstunden warm und in Bewegung gehalten, aber sie war lange vor dem Morgengrauen gegangen, und danach hatte der Schlaf, der nicht halb so heilsam ist, wie man ihm immer nachsagt, mein Befinden eher verschlechtert.
Pamela Jane sagte entsetzt:»Ehrlich, Sie sehen aus, als hätte Sie eine Dampfwalze überrollt. Waren Sie die ganze Nacht hier?«
Die Antwort lag wohl auf der Hand. Ich war unrasiert, und jede Bewegung löste fürchterliche Reaktionen in meinem bleischweren Körper aus. Man konnte die Gelenke förmlich knacken hören. Nie wieder, versprach ich mir.
Ich hatte mir nicht überlegt, wie ich meinem kleinen Team die Lage erklären sollte. Als ich mit Pamela Jane
redete, fühlte sich sogar mein Hals wund an.
«Können Sie…«, ich schwieg, räusperte mich, setzte neu an.»Pam… Kännchen Tee?«
Sie hängte ihren Mantel in den Spind, kochte uns Tee, schloß die Seitentür auf, die wir als Notausgang offenhalten mußten, falls Feuer ausbrach, und machte sich allgemein nützlich. Bis Irish eintraf, war ich schon über das Schlimmste hinweg, und als schließlich Hickory kam, holte ich gerade das in der Nacht entstandene dreiteilige Porträt aus dem Ofen und setzte es sorgfältig zusammen, um es in die endgültige Form zu bringen. Meine Helfer wünschten einhellig, sie hätten gesehen, wie die einzelnen Teile entstanden waren. Ich versprach, es ihnen eines Tages an einer Nachbildung zu demonstrieren.
Es entging ihnen nicht, daß mir fast jede Bewegung zuviel war, aber Hickorys fröhlich geäußerter Verdacht, das müßten die Folgen eines Katers sein, hätte mir wirklich gestohlen bleiben können.
Der erste Kunde kam. Das Leben ging mehr oder minder wieder seinen normalen Gang. Irish legte im Ausstellungsraum einen Sockel für die Flügelskulptur an. Wenn ich mich aufs Glasblasen konzentrierte, konnte ich die vier schwarzen Kapuzenmasken mit den Augenlöchern vergessen.
Später am Morgen fuhr Marigolds Rolls draußen vor und nahm zwei Kundenparkplätze für sich in Anspruch. Worthington sah mit seiner Uniformmütze richtig vornehm aus hinter dem Steuer.
Marigold selbst, so berichtete er durch das heruntergelassene Fenster, sei mit Bon-Bon in Bon-Bons Wagen einkaufen gefahren. Beide hätten ihm den Tag freigegeben und ihm den Rolls überlassen, eine Geste, für die er sehr dankbar sei, denn er gedenke mit mir zum Pferderennen zu fahren.
Ich sah ihn unentschlossen an.
«Ich fahre nicht mit«, sagte ich.»Und wohin fahre ich nicht mit?«
«Leicester. Hindernismeeting. Eddie Payne wird dort sein. Rose wird dort sein. Norman Osprey hat dort einen Stand. Ich dachte, Sie wollten herausfinden, von wem Martin das Video bekommen hat. Interessiert es Sie nun, was da drauf ist und wer es gestohlen hat und wer die Frauen, die Kinder und mich mit Gas betäubt hat, oder möchten Sie lieber hierbleiben und in Ruhe hübsche rosa Väslein für Touristen machen?«
Ich antwortete nicht gleich, und er setzte einlenkend hinzu:»Na ja, wenn Sie nicht noch mal solche Prügel kassieren wollen wie gestern abend, kann ich das schon verstehen, dann bleiben Sie eben hier, und ich schnüffle alleine rum.«
«Wer hat Ihnen denn von gestern abend erzählt?«
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