«Haben Sie ihn zu einem Drink eingeladen, um den Sieg zu feiern, den er für Sie heraus geritten hat?«
«Ganz bestimmt nicht. «Noch ein Bissen.
«Haben Sie überhaupt mit ihm gesprochen. entweder vor oder nach dem Rennen?«
Er kaute. Schluckte hinunter. Besah sich sein Plunderteilchen sehr genau, erkundete das als nächstes abzubeißende Stück.
«Ich habe ihm meine Anweisungen gegeben, als er im Führring war. Ich habe ihm gesagt, ich erwartete Besseres als das, was er gerade für Rolf Torp geleistet habe. Er sagte, er habe verstanden.«
Abbeißen. Kauen. Schlucken.
«Nach dem Rennen sattelte er das Pferd ab und ließ sich zurückwiegen. Ich habe ihn nicht noch mal gesehen.«
«Als er beim Absatteln war, hat er Ihnen da berichtet, wie die Stute beim Rennen gegangen war?«
«Nein. Zu Holth habe ich gesagt, sie brauche zur Beruhigung eine ordentliche Tracht Prügel. Holth war nicht dieser Ansicht. Mit Sherman habe ich nicht gesprochen.«
«Haben Sie ihm gar nicht gratuliert?«fragte ich neugierig.
«Nein.«
«Wünschten Sie, Sie hätten?«
«Wieso sollte ich?«
Vielleicht solltest du mal weniger fressen, dachte ich, sprach es aber nicht aus. In diesem Fall waren seine psychologischen Probleme nicht meine Sache.
«Hat er ein Päckchen erwähnt, das er aus England mitgebracht hat?«
«Nein. «Er stopfte sich den Rest des klebrig-süßen Gebäcks in den Mund und hatte Mühe, ihn zuzukriegen.
«Sollte er die Stute bei seinem nächsten Aufenthalt wieder reiten?«
Er glotzte mich an und sagte dann durch Teig und Rosinen hindurch:»Es gab keinen nächsten Aufenthalt.«
«Ich meine, haben Sie ihn an jenem letzten Tag gebeten, wieder für Sie zu reiten?«
«Oh. Nein. «Er zuckte die Achseln.»Die Jockeys heuert immer Holth an. Ich sage nur, wen ich haben will.«
«Sie haben Sherman nie in England angerufen, um die nächsten Rennen, die er für Sie ritt, mit ihm zu besprechen?«
«Wie käme ich denn dazu?«
«Manche Besitzer sprechen mit ihren Jockeys«, sagte ich.
«Ich bezahle Holth dafür, daß er diese Dinge erledigt.«
Wieviel dir doch entgeht, dachte ich. Armer fetter, ungeliebter, depressiver, reicher junger Mann. Ich dankte ihm für das Gespräch und kehrte zu Erik zurück. Sven Wangen beobachtete uns durchs Fenster, wobei er sich den Zucker von den Fingern leckte.
«Nun?«fragte Erik.
«Er könnte den Befehl gegeben haben, aber selbst hat er niemanden umgebracht.«
Als er mit dem gemieteten Volvo auf das Tor zufuhr, knurrte Erik:»Wohin jetzt?«
«Sie sind ganz naß«, sagte ich.»Warum sind Sie draußen im Regen geblieben?«
Er wurde fast verlegen.»Na ja. ich dachte, ich könnte Sie dann besser hören, falls Sie schreien.«
Schweigend fuhren wir ein paar Kilometer, dann hielt er an einer Straßengabelung an.
«Hier müssen Sie sich entscheiden«, meinte er.»Dort geht’s nach 0vrevoll und da zum Flughafen. Die Rennbahn ist wesentlich näher.«
«Zum Flughafen.«
«Schön.«
Er bretterte mit einer Geschwindigkeit los, als wolle er nach Fornebu fliegen.
«Passen Sie auf, daß uns keiner folgt«, sagte ich.
«Sie machen Scherze.«
Wir brauchten für die knapp fünfzig Kilometer von der einen Seite Oslos bis zur anderen etwas über eine halbe Stunde.
Niemand folgte uns.
C14 war verschlossen, und daneben, bei C13, steckte ein Schlüssel mit einer schwarzen Plastikmarkierung im Schloß. Beides waren große Schließfächer in der untersten von insgesamt drei übereinanderliegenden Reihen.
Erik, der sich selbst den Posten eines Leibwächters zugewiesen hatte, stand neben mir und besah sich die Reihen der Metalltüren.
«Sind das die, nach denen Sie suchen?«
Ich nickte.»Ich glaube, ja.«
«Und was machen wir jetzt?«
«Wir gehen ein bißchen umher und vergewissern uns, daß niemand da ist, den wir kennen.«
«Eine gute Idee.«
Wir gingen umher und standen in Ecken, um Ausschau zu halten, aber soweit ich sehen konnte, waren mir alle Menschen im Flughafengebäude vollkommen fremd. Nachdem wir langsam zu den Schließfächern zurückgeschlendert waren, baute sich Erik tapfer vor C13 auf und sah aus, als wäre er bereit, alle enternden Piraten abzuwehren, während ich unauffällig den Schlüssel aus seinem Versteck hervorholte und beim benachbarten Fach ausprobierte.
Es war der richtige Schlüssel, kein Zweifel. Die Schließfachtür ging auf, dahinter befand sich ein Stauraum, der für zwei große Koffer ausgereicht hätte. Aber auf dem zerkratzten Metallboden lag, verloren und unpassend, nur ein zusammengefaltetes Stück Papier.
Ich bückte mich, hob es auf und steckte es in die Innentasche meines Jacketts.
«Hat uns jemand gesehen?«fragte ich Erik und richtete mich wieder auf.
«Keine Menschenseele, die uns bekannt wäre.«
«Los, dann gehen wir jetzt einen Kaffee trinken.«
«Und was ist mit dem Schließfach?«
Ich sah auf das Fach C14 hinunter, dessen Schlüssel im Schloß steckte und dessen Tür offenstand.
«Wir brauchen es nicht mehr.«
Erik dirigierte mich zur Airport-Cafeteria und erstand für uns beide je eine Tasse Kaffee und für sich ein paar belegte Brote. Wir saßen an einem Tisch mit Kunststoffplatte, umgeben von Reisenden, unordentlich herumstehendem Handgepäck und
Kindern, die umherrannten und taten, was sie nicht tun sollten, und fast flatterig vor Aufregung zog ich das Stück Papier aus der Tasche, das Bob Sherman im Schließfach hinterlegt hatte.
Ich hatte angenommen, es würde sich um Material handeln, mit dem man jemanden erpressen konnte — belastende Briefe oder Fotos, die niemand seiner Frau zu zeigen gewagt hätte. Es stellte sich jedoch heraus, daß es nichts von alledem war. Vielmehr war es etwas, mit dem ich überhaupt nichts anfangen konnte.
Zunächst einmal war das Papier dünner, als ich angenommen hatte — es hatte nur deshalb Volumen, weil es mehrfach zusammengefaltet war. Auseinandergefaltet war es ein Papierstreifen, der nur fünfzehn Zentimeter breit, aber fast neunzig Zentimeter lang war und der drei Spalten aufwies, die von oben nach unten gelesen werden sollten. Man konnte sie jedoch nicht eigentlich lesen, weil die drei, vier Zentimeter breiten Spalten keine Buchstaben und Zahlen enthielten, sondern Blöcke und Quadrate in abgestuften Grautönen. Am langen linken Rand des Papiers waren in regelmäßigen Abständen Zahlen vermerkt, mit drei beginnend und bei vierzehn endend. Über allem stand oben in handgeschriebenen Großbuchstaben nur die Überschrift: Datenübersicht.
Ich faltete den Papierstreifen wieder zusammen und steckte ihn in die Tasche.
«Was ist das?«fragte Erik.
Ich schüttelte den Kopf.»Ich weiß es nicht.«
Er rührte in seinem Kaffee.»Knut wird es herausfinden.«
Ich dachte darüber nach, und der Gedanke gefiel mir nicht sonderlich.
«Nein«, sagte ich,»dieses Stück Papier stammt aus England. Ich denke, ich werde es mit nach Hause nehmen und dort versuchen herauszubekommen, was es zu bedeuten hat.«»Das ist aber Knuts Fall«, sagte er mit einer gewissen unaufgeregten Starrköpfigkeit.
«Meiner aber auch. «Ich zögerte.»Sagen Sie Knut, wenn Sie denn unbedingt müssen, daß ich dieses Papier gefunden habe. Lieber wäre mir allerdings, wenn Sie noch zu niemandem davon sprächen. Ich möchte nicht, daß es hier in Oslo überall die Runde macht, und wenn Sie es Knut erzählen, dann muß er es zu den Akten geben, und wenn Knut die Sache in seinem Bericht festhält, weiß man nie, wer den zu Gesicht bekommt. Ich würde es ihm lieber selber sagen, wenn ich wieder zurück bin. Wir können unser weiteres Vorgehen sowieso erst planen, wenn wir wissen, womit wir es hier zu tun haben, und deshalb ist gar nichts gewonnen, wenn er schon jetzt von unserem Fund erfährt.«
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