«Sie können ihn vor Gericht zur Rückzahlung des Geldes verklagen, und Sie können vor der Anwaltskammer von South Carolina eine Beschwerde gegen ihn erheben und damit versuchen, ihm die Zulassung für die Tätigkeit als Anwalt zu entziehen.«
«Und was schlagen Sie vor?«
«Beides.«
Nachdem er für geraume Zeit nichts von Jules Reginald Harlow gehört hatte, sagte Patrick Green sich selbstgefällig, daß er absolut richtig gelegen habe und der jämmerliche kleine Bursche aus England entdeckt haben müsse, daß es ihn zuviel kosten würde, große Scherereien zu machen. Er hatte sich gewiß mit seinem Verlust abgefunden und würde keine Schwierigkeiten mehr machen.
Patrick Green, der auf die Vierzig zuging, hatte viele Jahre lang die unscharfen Randbereiche des Rechts abgegrast und niemals die Anerkennung gefunden, die ihm seiner Meinung nach zustand. Er träumte von brillanten Verteidigungserfolgen in großen Mordprozessen, verlor aber bezeichnenderweise die von ihm vertretenen Fälle von Kleinkriminalität vor unbedeutenden Amtsgerichten. Der größte Teil seiner Tätigkeit bestand in diesem Stadium seiner unbefriedigenden Karriere darin, unehrliche Aufträge für andere unehrliche Anwälte auszuführen.»Geschenke «wie Sandy Nutbridge wurden ihm nur selten zuteil.
Daher war es ein häßlicher Schock für ihn, als er die Mitteilung erhielt, daß Jules Harlow ihn wegen Veruntreuung, Unterschlagung und Handelns gegen Treu und Glauben, was seine zehntausend Dollar anbelangte, verklagte. Und es gefiel ihm gar nicht, daß sein Anwalt, David T. Vynn, eine eidesstattliche Aussage von ihm verlangte. Der graue kleine Engländer, überlegte Green mit zusammengezogenen Brauen, hätte seine Lektion beherzigen und sich mit seinen Verlusten abfinden sollen. Er,
Green, würde jetzt dafür sorgen, daß dieser Zwerg nicht nur seinen Prozeß verlor, sondern es als Unglück erachten würde, ihn überhaupt angefangen zu haben.
Patrick Green hatte keine Angst vor der eidesstattlichen Erklärung selbst: Er würde schwören, die Wahrheit zu sagen, und dann lügen, daß sich die Balken bogen. Das hatte er schon oft getan. Die Menschen neigten dazu zu glauben, was in einer eidesstattlichen Erklärung ausgesagt wurde, weil die Falschaussage unter Eid auf einen mit Gefängnisstrafe bewehrten Meineid hinauslief.
Patrick Green, der sich meisterhaft auf falsche Darstellung und Verschleierung verstand, präsentierte seit fast zwei Jahren bei seinen eidesstattlichen Erklärungen überzeugende Lügen, und zwar mit dem Anschein vollkommener Glaubwürdigkeit.
Jules Reginald Harlow traf seinen Anwalt, David T. Vynn, zu einem Frühstück in einem Hotel. David T. Vynn zog Speisesäle den Büros vor, zum einen, weil man dort vor» Wanzen «sicher sein konnte, und zum zweiten, weil er ständig Hunger hatte.
Über Müsli, Eiern und Speckscheiben schilderte er seinem Klienten, daß Patrick Green bei seiner eidesstattlichen Erklärung einschmeichelnd, treuherzig und glaubwürdig gewirkt habe, und bei Erdbeeren, Waffeln und Ahornsirup faßte er Greens Erwiderung auf Harlows Vorwürfe zusammen: Jules Harlow habe Green am Telefon gesagt, er solle die zehntausend Dollar für seine Honorare verwenden. Green könne nicht verstehen, warum Harlow jetzt noch einmal auf die Sache zurückkomme.
«Green wurde bei seiner eidesstattlichen Erklärung von einem Anwalt begleitet, der auch als sein Verteidiger fungiert«, sagte David Vynn.»Er nennt sich Carl Corunna. Ist das die Person, die Ihnen gesagt hat, Sie sollten Ihren Barscheck auf Green ausstellen lassen? Hat er den Scheck entgegengenommen und Ihnen dafür eine Quittung gegeben, der den Scheck zum Gericht befördert hat?«
«Ja.«
«Gut.«
«Wieso ist das gut?«fragte Harlow.
«Weil ich ihn als Vertreter des Beklagten für unzulässig erklären lassen kann. Hm…«, erklärte er, als er Harlows Verwirrung bemerkte,»Carl Corunna ist doch auch ein Zeuge, nicht wahr? Wenn wir zu einem Richter gehen — das heißt, vor Gericht, aber nicht vor den Gerichtshof, sondern eine Nummer kleiner —, dann werde ich ihn wohl überzeugen können, daß Green sich für seine Verteidigung vor Gericht einen anderen Anwalt nehmen muß. Und das wird Mr. Patrick Green eine schöne Stange Geld kosten, die er nicht aufbringen kann, da er die gestohlenen Summen — wie man hört — bereits ausgegeben hat.«
«Es schien so eine einfache Sache zu sein«, seufzte Jules Harlow,»ein wenig Geld für eine Kaution zur Verfügung zu stellen.«
«Verzweifeln Sie nicht.«
David Vynn aß warme, englische, mit Apfelgelee bestrichene Muffins und beobachtete, wie der leicht düstere Ausdruck seines Klienten sich in strahlende Freude verwandelte, als eine lebenssprühende Frau sich ihnen zugesellte, die ihre Haute-Couture-Kleider so selbstverständlich trug wie andere einen Overall.
«Meine Frau«, sagte Harlow und stellte sie mit Stolz vor.
«Sie meint, es sei verrückt von mir gewesen, auf die arme Mrs. Nutbridge zu hören, und dieser Patrick Green fasziniert sie.«
«Sie haben diese Zweijährige für Ihre Frau gekauft und dabei Sandy Nutbridge kennengelernt?«fragte David Vynn.
Jules Harlow nickte. David Vynn sah von einem zum anderen und dachte, daß Patrick Green sich nicht die geringste Hoffnung machen könne, solchen Leuten irgendwelchen Schmutz wie Drogenhehlerei anhängen zu können.
Obwohl der Richter, an den sie sich wandten, mit David Vynn übereinstimmte, daß Patrick Green einen anderen Anwalt zu seiner Verteidigung vor Gericht engagieren sollte, war es weiterhin Carl Corunna, der in seinem Auftrag tätig wurde, als er seinerseits eine eidesstattliche Erklärung von Jules Reginald Harlow verlangte.
«Ich werde neben Ihnen sitzen«, erklärte der junge David Vynn seinem Klienten,»aber es ist mir nicht gestattet, die Fragen für Sie zu beantworten. Das werden Sie tun. Vergessen Sie nicht, daß Sie unter Eid geschworen haben, die Wahrheit zu sagen. Denken Sie nach, bevor Sie antworten. Man wird versuchen, Sie in eine Falle zu locken. Mit raffinierten Fragen. Wenn es denen gelingt, Sie in Widersprüche zu verwickeln, werden wir vor Gericht den kürzeren ziehen.«
Wie beruhigend, dachte Jules Harlow. Er begab sich zusammen mit David Vynn in die Kanzlei Carl Corunnas und stand dort in einem Sitzungsraum zum ersten Mal Patrick Green von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Er hatte eigentlich erwartet, die Verworfenheit in Person zu erblicken, aber Greens Erfolg in der Welt beruhte auf einem glaubhaft überzeugenden Äußeren.
Green betrachtete Harlow als einen Trottel, der gutes Geld in die Gosse warf; ihm fehlte jedes Verständnis für den Geist des Mannes, dem er gegenüberstand. Angesichts einer von Kriegen zerrissenen und von Hungersnöten geplagten Welt betrachtete Jules Harlow den strittigen Besitz der zehntausend Dollar als unwesentlich. Aber dennoch glaubte er daran, daß Gerechtigkeit wichtig war, ganz gleich, ob im großen oder im kleinen, und er würde bis zum Äußersten gehen, um die Gültigkeit seiner Überzeugung unter Beweis zu stellen.
Abgesehen von den vier Männern, die einander paarweise — Corunna und Green versus Harlow und Vynn — an einem Ende des langen, glänzenden Tisches gegenübersaßen, war eine Gerichtsprotokollantin anwesend, die jedes gesprochene Wort unverzüglich maschinenschriftlich festhielt. Außerdem nahm eine Videokamera die Befragung auf, so daß, sofern die Notwendigkeit dazu bestand, die maschinenschriftlichen Aufzeichnungen später mit dem Videoband verglichen werden konnten, um zu beweisen, daß es keine unzulässigen Änderungen darin gegeben hatte.
Jules Harlow legte einen Eid ab, die Wahrheit zu sagen, und hielt sich daran. Carl Corunna versuchte ihn zu dem Eingeständnis zu nötigen, er sei damit einverstanden gewesen, daß Green die ihm vom Distriktjustitiar zurückgezahlte Kaution als einen Teil seines Honorars einbehielt.
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