Die Schlichterin sagte:»Mr. Green bietet Ihnen fünftausend Dollar: die Hälfte der Summe, die Sie für die Kaution aufgewendet haben.«
«Mr. Green«, sagte David Vynn vergnügt,»mag das mit zwei multiplizieren. Wenn mein Klient rachsüchtig wäre, könnte er es mit vier multiplizieren.«
«Mr. Green hat mit den Kautionsgeldern Gläubiger befriedigt, die ihn sonst hätten zusammenschlagen lassen.«
«Gleich kommen uns die Tränen«, sagte David Vynn.
«Mr. Green hat Mrs. Nutbridge ihre Pension gestohlen.«
Jules Harlow hörte fasziniert zu.
«Sandy Nutbridge«, erwiderte die Schlichterin,»zahlt ihr zurück, was sie aufgewendet hat, um ihn frei zu bekommen. Mrs. Nutbridges Schulden sind die Angelegenheit ihres Sohnes.«
«Patrick Green hat Sandy Nutbridge zweimal bei der Steuerbehörde angeschwärzt«, meinte David Vynn trocken.
«Und zwar von Anfang an mit der Absicht, sich ein Vermögen an unnötigen Anwaltshonoraren von seinem sogenannten Freund zusammenzustehlen. Mr. Harlows Kautionsanteil, diese zehntausend Dollar, waren dann nur noch ein nicht geplantes Zubrot.«
«Mr. Green wird die Hälfte von Mr. Harlows Einsatz zurückzahlen.«
«Nein«, sagte David Vynn ruhig.»Alles.«
«Er hat kein Geld.«
«Mr. Harlow wird warten.«
Die alten, erfahrenen Augen betrachteten den klugen David T. Vynn mit Vergnügen: jung genug, um ihr Sohn zu sein, zu jung, um Mitleid mit einem Gauner zu haben. Sie setzte einen Termin fest, zu dem die Schlichtung endgültig vereinbart werden sollte.
Als Jules seiner geliebten Frau zum dritten Hochzeitstag ein neues Pferd versprach, beschloß sie, sich an den Chef der Vollblutagentur, Ray Wichelsea persönlich, zu wenden, um ihn um Rat zu fragen Ray Wichelsea, der sie als Kundin mehr als alle anderen schätzte, fand einen Zweijährigen für sie mit glänzenden Aussichten für das Triple Crown im folgenden Jahr.
Mrs. Harlow fragte, ob er irgendwelche Nachrichten von Mrs. Nutbridge habe, die ihr bei ihrer Begegnung vor dem Beschwerdeausschuß spontan gefallen hatte. Sandy Nutbridge hatte mittlerweile genug Geld zusammengespart, um sich von David Vynn beraten zu lassen, erzählte Ray Wichelsea ihr, und so hatte Patrick Green eilig auch in ihrem Fall einer Schlichtung zugestimmt.
Als es Zeit war, zu Bett zu gehen, meinte Mrs. Harlow zu Jules:»Selbst wenn sie den größten Teil ihres Geldes zurückbekommt, wird Mrs. Nutbridge wohl niemals wieder für irgend jemanden eine Kaution aufbringen wollen.«
Ihr Mann ließ sich durch den Kopf gehen, was er gelernt hatte, und dachte an die Tausender, die er ganz frohgemut für Anwaltshonorare ausgegeben hatte, um Patrick Green eine Niederlage zuzufügen.»Ich habe gehört«, sagte er,»daß es die Möglichkeit gibt, jemanden auf Kaution frei zu bekommen, indem man sich lediglich zur Zahlung der Kautionssumme verpflichtet und sie nur dann und erst dann wirklich bezahlt, wenn der Angeklagte untertaucht. Aber auf die Art und Weise ist es teuer. Es mag besser sein, vielleicht aber auch schlechter. Ich muß bei Gelegenheit einmal unser Wunderkind, David Vynn, danach fragen.«
Es gab ein weiteres ruhiges Treffen an einem Sitzungstisch, in der gleichen Paarung wie schon zuvor: Patrick Green und Carl Corunna gegen Jules Reginald Harlow und David T. Vynn.
Die großmütterliche Schlichterin, die einen grauen Geschäftsanzug trug — er war ebenso förmlich wie der von Jules Harlow und ebenso gesichtslos wie der des Anwalts —, schüttelte ihnen allen kurz die Hand, nahm am Kopf des Tisches Platz, teilte ein einfaches Dokument in mehreren Kopien aus und bat sie alle zu unterschreiben.
Jules Harlow fühlte sich trotz seiner Verluste von dem starken Gefühl erfüllt, daß die Gerechtigkeit gesiegt hatte. Hier hatten sie nun, dachte er bei der Unterzeichnung, einen Kampf auf Leben und Tod mit Stift und Papier und nicht mit Feuerwaffen ausgetragen. Patrick Green bestahl vielleicht andere, aber wenigstens erschoß er niemanden.
Patrick Green mußte sich düster eingestehen, daß er sowohl Jules Harlows Hartnäckigkeit als auch David Vynns meisterschaftlichen Umgang mit dem Recht unterschätzt hatte. Außerdem hatte der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses furchterregende Drohungen von sich gegeben: Beim leisesten Gerücht eines Fehlverhaltens könne Green seine Lizenz in den Müll werfen. Aber mit der Zeit, dachte Patrick Green, mit der Zeit würde ihm wohl wieder etwas Neues einfallen, würde er irgendeinen anderen Trottel finden.
Verärgert unterzeichnete er das Dokument, das ihn verpflichtete, seine Schuld in vier Raten von jeweils zweitausendfünfhundert Dollar an Jules Harlow zurückzuzahlen.
Das Dokument kam im Ergebnis einem vollen Geständnis gleich.
Die Justiz wandte Patrick Green den Rücken zu und gab ihm nichts mehr zu tun.
Ein Jahr lang hatte er schlecht bezahlte Jobs und beglich lieber seine Raten bei Jules Harlow — widerwillig, aber pünktlich —, als sich vor Gericht wiederzufinden.
Vier weitere Jahre lang schuftete er, um das Mrs. Nutbridge gestohlene Geld zurückzuzahlen. Eine Verurteilung allerdings, das wußte er, wäre noch viel schlimmer gewesen. Nachdem er schließlich von seinen Schulden frei war, nicht aber von der ihm innewohnenden Unehrlichkeit, zog er in einen anderen Staat und verkaufte dort kleingedruckte Versicherungen.
Ein Mann, den er dort betrog, wählte einen direkteren Weg, um sich Gerechtigkeit zu verschaffen, als Jules Reginald Harlow es getan hatte, und schlug Patrick Green in einer dunklen Nebenstraße zu Brei.
Zum Grand National geht man, um zu gewinnen: Jockeys, Spieler und, in unserem Fall, die Polizei.
Wenn es der Glückstag der Verlierer ist, dann haben vielleicht gerade die gewonnen, die verloren zu haben glauben, und diejenigen verloren, die gewonnen haben.
Es kommt ganz auf den Einsatz an.
Austin Dartmouth Glenn machte sich mit einem dicken Bündel neuer Banknoten in der Tasche und einer Mischung aus schlechtem Gewissen und gespielter Tapferkeit auf den Weg zum Grand National.
Austin Dartmouth Glenn war sich bewußt, daß er geschworen hatte, die Banknoten nicht vorzeitig in Umlauf zu bringen. Nicht in den nächsten fünf Jahren, hatte man ihm eingeschärft. In fünf Jahren würde sich der Wirbel gelegt haben und der Millionenraub Geschichte sein. Die Polizei würde mit der Aufklärung neuerer Verbrechen zu tun haben, und die heißen Seriennummern würden auf überholten Listen zu fliegendreckgesprenkelter Bedeutungslosigkeit verblaßt sein. In fünf Jahren konnte er gefahrlos das kleine Vermögen ausgeben, das er für seine Rolle bei der Befreiung des Chefs der Bankräuber aus dem Gefängnis erhalten hatte.
Das war ja alles gut und schön, überlegte Austin störrisch, während er aus dem Zugfenster blickte. Aber was war mit der Inflation? In fünf Jahren war sein kleines
Vermögen in Scheinen vielleicht nicht mal mehr das Papier wert, auf dem diese gedruckt waren. Vielleicht hatte sich auch die Farbe und Größe der Banknoten bis dahin verändert. Er hatte von einem verzweifelten Safeknacker gehört, der nach zwölf abgesessenen Jahren nur noch einen Haufen alter Fetzchen vorgefunden hatte. All diese Zeit abgesessen für einen Haufen veralteten, uneinlösbaren Mülls. Austin Glenns Lippen zuckten mitleidig bei diesem Gedanken. Ihm würde das nicht passieren, o nein, ihm nicht.
Austin hatte seinen Zugfahrschein mit gewöhnlicher Währung bezahlt, ebenso wie die Bierdosen, die zellophanverpackten Sandwiches und die Ausgabe einer Rennzeitung. Die heißen neuen Scheine, die sicher in einer Innentasche verstaut waren, würde er nicht ausgeben, bevor er in der hektischen Anonymität der großen Menschenmenge auf dem Rennplatz Aintree untergetaucht war. Er war kein Narr, natürlich nicht, dachte er selbstgefällig. Ein sauberer Stapel von Banknoten, druckfrisch und fortlaufend numeriert, mochte selbst den Arglosesten neugierig machen. Aber niemand würde jetzt, nachdem er sie mit eigens zu diesem Zweck beschmutzten Händen gerieben und zerknittert hatte, einen zweiten Blick darauf werfen.
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