«Sind die einzelnen Abteilungen räumlich voneinander getrennt?«
«Ja. Es ist durchaus möglich, dass ein Bankenanwalt im dritten Stock einen Bekannten in der Prozessabteilung im zehnten Stock wochenlang nicht zu Gesicht bekommt. Das sind vielbeschäftigte Leute.«
«Kann es sein, dass wir uns die falsche Firma ausgesucht haben?«
«Vielleicht die falsche Firma, vielleicht die falsche Universität.«
«Der erste, Maylor, hat mir die Namen von zwei Studenten von George Washington genannt, die im Sommer dort gearbeitet haben. Vielleicht sollten wir sie nach dem Lunch ausfindig machen. «Er verlangsamte und parkte hinter einer Reihe von kleinen Gebäuden.
«Wo sind wir?«fragte sie.
«Einen Block vom Mount Vernon Square entfernt. Von hier aus sind es sechs Blocks bis zur Post und vier bis zu meiner Bank. Und dieses kleine Restaurant liegt gleich um die Ecke.«
Sie gingen in das Restaurant, das sich schnell mit Mittagsgästen füllte. Sie wartete an einem Tisch beim Fenster, während er sich anstellte, um Club sandwiches zu holen. Der halbe Tag war vorüber, und obwohl ihr diese Art von Arbeit keinen Spaß machte, war es doch gut, etwas zu tun zu haben und die Schatten vergessen zu können. Sie würde nie Reporterin werden, und im Augenblick kam ihr auch eine juristische Laufbahn sehr zweifelhaft vor. Vor gar nicht langer Zeit hatte sie daran gedacht, nach ein paar Jahren Praxis Richterin zu werden. Vergessen wir das. Es war entschieden zu gefährlich.
Gray brachte ein Tablett mit Sandwiches und Eistee, und sie begannen zu essen.
«Ist dies ein typischer Tag für Sie?«fragte sie.
«Damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Ich schnüffele den ganzen Tag herum, schreibe am späten Nachmittag meine Stories und recherchiere dann weiter bis tief in die Nacht hinein.«
«Wieviele Stories schreiben Sie pro Woche?«
«Manchmal drei oder vier, manchmal überhaupt keine. Ich suche mir meine Themen selbst aus, und mir redet kaum jemand drein. Dies hier ist ein bisschen anders. Ich habe seit zehn Tagen nichts geschrieben.«
«Was ist, wenn Sie nichts über Mattiece herausbekommen? Was werden Sie dann in Ihrer Story schreiben?«
«Das hängt davon ab, wie weit ich komme. Wir hätten diese Story über Verheek und Callahan bringen können, aber welchen Sinn hätte das gehabt? Es war eine große Story, aber es steckte nichts dahinter. Die anderen haben nur die Oberfläche angekratzt und dann aufgehört.«
«Und Sie wollen den großen Schlag landen.«
«Ich hoffe es. Wenn es uns gelingt, Ihr kleines Dossier zu verifizieren, dann haben wir den großen Schlag.«
«Sie sehen schon die Schlagzeilen vor sich, nicht wahr?«
«Ja. Das Adrenalin wird ausgepumpt. Dies wird die größte Story sein seit… «
«Watergate?«
«Nein. Watergate war eine Folge von Stories, die klein anfingen und sich dann immer mehr aufblähten. Die Leute sind monatelang Hinweisen nachgegangen und haben nicht lockergelassen, bis die Teile sich zusammenfügten. Eine Menge Leute kannte unterschiedliche Teile der Story. Dies, meine Liebe, ist etwas völlig anderes. Es ist eine wesentlich größere Story, und nur sehr wenige Leute kennen die Wahrheit. Watergate war ein stupider Einbruch und ein missglückter Vertuschungsversuch. Hier geht es um meisterhaft geplante Verbrechen sehr reicher und gerissener Leute.«
«Und die Vertuschung?«
«Die kommt als nächstes. Wenn wir Mattiece mit den Morden in Verbindung gebracht haben, können wir die große Story loslassen. Dann ist die Katze aus dem Sack, und über Nacht wird ein halbes Dutzend Untersuchungen eingeleitet werden. Ganz Washington wird fassungslos sein, zumal wenn herauskommt, dass der Präsident und Mattiece alte Freunde sind. Wenn sich der Staub legt, nehmen wir uns die Administration vor und versuchen herauszufinden, wer wann was gewusst hat.«
«Aber zuerst Garcia.«
«Ja. Ich weiß, dass er irgendwo da draußen ist. Er ist Anwalt in dieser Stadt, und er weiß etwas sehr Wichtiges.«
«Was ist, wenn wir ihn ausfindig machen und er nicht reden will?«
«Wir haben Mittel und Wege.«
«Zum Beispiel?«
«Folter, Entführung, Erpressung, Drohungen aller Art.«
Ein massiger Mann mit wutrotem Gesicht stand plötzlich neben dem Tisch.»Beeilt euch!«brüllte er.»Ihr redet zu viel.«
«Danke, Pete«, sagte Gray, ohne aufzuschauen. Pete verschwand in der Menge, aber sie konnten ihn an einem anderen Tisch brüllen hören. Darby ließ ihr Sandwich fallen.
«Er ist der Besitzer«, erklärte Gray.»Das gehört zum Ambiente.«
«Wie reizend. Kostet es extra?«
«Oh, nein. Das Essen ist billig, also muss die Masse es bringen. Er weigert sich, Kaffee zu servieren, weil er keine langen Unterhaltungen will. Er erwartet, dass wir essen wie auf der Flucht und dann schleunigst wieder verschwinden.«
«Ich bin satt.«
Gray sah auf die Uhr.»Es ist viertel nach zwölf. Um eins müssen wir in der Wohnung von Judith Wilson sein. Wollen Sie jetzt Ihr Geld anfordern?«
«Wie lange wird es dauern?«
«Wir können jetzt den Auftrag erteilen und das Geld später abholen.«
«Gehen wir.«
«Wieviel wollen Sie haben?«
«Fünfzehntausend.«
Judith Wilson wohnte im zweiten Stock eines baufälligen alten Gebäudes, das in Zwei-Zimmer-Studentenwohnungen unterteilt worden war. Um eins war sie noch nicht zu Hause, und sie fuhren eine Stunde herum. Gray spielte den Stadtführer. Er fuhr langsam am Montrose Theatre vorbei, das immer noch vernagelt und ausgebrannt war. Er zeigte ihr den täglichen Auftrieb am Dupont Circle.
Viertel nach zwei parkten sie auf der Straße, als ein roter Mazda in der schmalen Einfahrt hielt.»Das ist sie«, sagte Gray und stieg aus. Darby blieb im Wagen.
Er erwischte Judith auf der Vordertreppe. Sie war entgegenkommend genug. Sie redeten miteinander, er zeigte ihr das Foto, sie betrachtete es ein paar Sekunden und schüttelte dann den Kopf. Gleich darauf saß er wieder im Wagen.
«Niete Nummer sechs«, sagte er.
«Damit bleibt nur noch Edward Linney, der vermutlich unser heißestes Eisen ist, weil er zwei Sommer dort gearbeitet hat.«
Sie fanden einen Münzfernsprecher in einem kleinen Supermarkt, und Gray wählte Linneys Nummer. Niemand meldete sich. Er knallte den Hörer auf die Gabel und kehrte in den Wagen zurück.»Er war heute morgen um zehn nicht zu Hause, und jetzt ist er es auch nicht.«
«Er könnte in der Universität sein«, sagte Darby.»Wir brauchen seinen Vorlesungsplan. Sie hätten ihn sich zusammen mit dem der anderen geben lassen sollen.«
«Davon haben Sie nichts gesagt.«
«Wer ist denn hier der Detektiv? Wer ist der intelligente Reporter von der Washington Post? Ich bin schließlich nur eine kleine Ex-Jurastudentin, die auf dem Vordersitz hingerissen zuschaut, wie Sie operieren.«
Wie wäre es mit den Rücksitzen? hätte er beinahe gesagt.»Und wohin jetzt?«
«Zurück zur Juristischen Fakultät«, sagte sie.»Ich warte im Wagen, während Sie hineingehen und sich Linneys Vorlesungsplan verschaffen.«
«Ja, Madam.«
Jetzt saß ein Student am Schreibtisch im Büro der Registratorin. Gray bat um den Vorlesungsplan von Edward Linney, und der junge Mann machte sich auf die Suche nach der Registratorin. Fünf Minuten später kam die Registratorin langsam um die Ecke und bedachte ihn mit einem finsteren Blick.
Er produzierte das Lächeln.»Erinnern Sie sich an mich? Gray Grantham von der Post. Ich brauche noch einen Vorlesungsplan.«
«Der Dekan hat nein gesagt.«
«Ich denke, der Dekan ist nicht in der Stadt.«
«Ist er auch nicht. Der stellvertretende Dekan hat nein gesagt. Keine weiteren Vorlesungspläne. Sie haben mir schon genug Scherereien eingebracht.«
«Das verstehe ich nicht. Schließlich bitte ich Sie nicht um persönliche Unterlagen.«
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