«Das glaube ich nicht, Mr. Beech. Wir haben unser letztes Weihnachtsfest im Gefängnis verbracht.«»Meinst du wirklich?«fragte Beech.
«Allerdings.«
Beech legte die Anklageschrift auf den Tisch, stand auf, reckte sich und begann auf und ab zu gehen.»Die Antwort müsste schon längst hier sein «, sagte er leise, obgleich außer ihnen niemand im Raum war.
«Geduld.«
«Aber die Vorwahlen sind fast vorbei. Er ist die meiste Zeit wieder in Washington. Er hat den Brief schon seit einer Woche.«
«Er kann ihn nicht ignorieren. Er überlegt, was er tun soll, das ist alles.«
Die nächste Aktennotiz von der Strafvollzugsbehörde in Washington verblüffte den Gefängnisdirektor. Wer von diesen Sesselfurzern da oben hatte eigentlich nichts Besseres zu tun, als auf die Karte der Bundesgefängnisse zu sehen und sich zu überlegen, welchen Direktor er denn heute mal ärgern könnte? Er hatte einen Bruder, der als Gebrauchtwagenhändler 150 000 Dollar im Jahr nach Hause brachte, während er als Gefängnisdirektor nur die Hälfte bekam und dafür die idiotischen Aktennotizen irgendeines Bürokraten lesen müsste, der 100000 im Jahr verdiente und nichts Produktives tat. Er hatte es so satt!
BETRIFFT: Besuchszeiten für Anwälte, Bundesgefängnis Trumble
Die bisher geltende Anweisung, der zufolge Anwaltsbesuche auf Dienstag, Donnerstag und Samstag von 15 bis 18 Uhr zu beschränken sind, ist hiermit aufgehoben.
Ab sofort sind Anwaltsbesuche täglich von 9 bis 19
Uhr gestattet.
«Erst muss ein Anwalt sterben, bevor die Regeln geändert werden«, murmelte der Direktor.
In der Tiefgarage schoben sie Teddy Maynards Rollstuhl in den Kleinbus und schlössen die Türen. York und Deville setzten sich zu ihm. Der Fahrer und ein Leibwächter stiegen vorn ein. Der Wagen war mit einem Fernseher, einer Stereoanlage und einer kleinen Bar ausgestattet, die mit Sodawasser und Limonade bestückt war — alles Dinge, die Teddy ignorierte. Seine Stimmung war gedrückt, denn ihm graute vor der nächsten Stunde. Er war es leid — er war es leid zu arbeiten, zu kämpfen, sich Tag für Tag zu quälen. Halt noch sechs Monate aus, sagte er sich immer wieder, und dann tritt zurück und lass einen anderen sich den Kopf darüber zerbrechen, wie die Welt gerettet werden kann. Er würde sich auf seine kleine Farm in West Virginia zurückziehen. Er würde am Teich sitzen, zusehen, wie die Blätter ins Wasser fielen, und auf das Ende warten. Er war die Schmerzen so leid.
Vor ihnen war ein schwarzer Wagen, hinter ihnen ein grauer. Der kleine Konvoi fuhr auf dem Beltway, dann über die Roosevelt-Brücke und schließlich die Constitution Avenue hinunter.
Teddy schwieg, und darum schwiegen York und Deville ebenfalls. Sie wussten, wie sehr er verabscheute, was er jetzt tun musste.
Er sprach einmal pro Woche mit dem Präsidenten, gewöhnlich am Mittwochvormittag, und zwar, wenn es nach Teddy ging, per Telefon. Ihre letzte persönliche Begegnung hatte vor neun Monaten stattgefunden, als Teddy im Krankenhaus lag und der Präsident über einen wichtigen Sachverhalt informiert werden musste.
Auch hier war es normalerweise so, dass eine Gefälligkeit durch eine andere ausgeglichen wurde, doch Teddy war es verhasst, auf derselben Stufe zu stehen wie ein Präsident. Seine Bitte würde natürlich erfüllt werden, doch er fand es erniedrigend, bitten zu müssen.
In dreißig Jahren hatte er sechs Präsidenten kommen und gehen sehen, und die Gefälligkeiten, die er ihnen erwiesen hatte, waren seine Geheimwaffe gewesen. Sammle Informationen, horte sie, sage dem Präsidenten nur selten alles und verpacke hin und wieder ein kleines Wunder in Geschenkpapier und gib es im Weißen Haus ab.
Der gegenwärtige Präsident schmollte im Augenblick noch wegen der demütigenden Niederlage in der Abstimmung über einen Atomtestvertrag, bei dessen Torpedierung Teddy kräftig geholfen hatte. Am Tag vor der Ablehnung des Vertrags durch den Senat hatte die CIA einen geheimen Bericht durchsickern lassen, in dem rechtliche Bedenken gegen den Vertrag geäußert wurden, und in der Debatte hatte der Präsident auf verlorenem Posten gestanden. Das Ende seiner Amtszeit war in Sicht — er war ein Präsident auf Abruf, dem sein Nachruhm mehr am Herzen lag als wichtige politische Entscheidungen.
Teddy kannte diese Situation zur Genüge. Vor dem Ausscheiden aus dem Amt waren Präsidenten unerträglich. Da sie sich nicht noch einmal dem Votum der Wähler stellen mussten, konzentrierten sie sich auf den Gesamteindruck, den sie hinterlassen würden. Sie reisten gern mit vielen Freunden in ferne Länder, wo sie an Gipfeltreffen mit anderen Staatsführern auf Abruf teilnahmen. Sie dachten an die Bibliothek, die zu ihrem Gedenken eröffnet werden würde. Sie dachten an ihr Porträt, das noch gemalt werden musste. Sie dachten an die Biografien, die in Arbeit waren, und verbrachten viel Zeit mit Historikern. Und während die Uhr tickte, wurden sie immer weiser und philosophischer, und ihre Reden wurden immer pathetischer. Sie sprachen über die Zukunft, über die Herausforderungen, vor denen das Land stand, und darüber, wie die Welt sein sollte, und vergaßen die Tatsache, dass sie acht Jahre Zeit gehabt hatten, die Dinge zu tun, die hätten getan werden müssen.
Es gab nichts Schlimmeres als einen Präsidenten kurz vor Ablauf seiner Amtszeit. Und bei Lake würde es nicht anders sein — vorausgesetzt, es gelang ihm, Präsident zu werden.
Lake. Er war der Grund, warum Teddy sich als Bittsteller ins Weiße Haus fahren ließ.
Sie betraten es durch den Eingang im Westflügel, wo ein Secret-Service-Agent zu Teddys Erbitterung den Rollstuhl untersuchte. Dann wurde er in einen kleinen Raum neben dem Kabinettssaal geschoben. Eine gehetzte Mitarbeiterin erklärte ihm — ohne Entschuldigung —, der Präsident werde sich ein wenig verspäten. Teddy lächelte, machte eine unbestimmte Handbewegung und murmelte, dieser Präsident sei noch nie bei irgendetwas rechtzeitig zur Stelle gewesen. Er hatte ein Dutzend konfuse Sekretärinnen wie sie erlebt. Sie hatten dieselbe Position bekleidet und waren einfach ausgewechselt worden. York, Deville und Teddys andere Begleiter wurden in den Speisesaal geführt, wo sie allein essen würden.
Teddy wartete. Er hatte geahnt, dass man ihn würde warten lassen, und las in einem umfangreichen Bericht, als spielte Zeit keine Rolle. Zehn Minuten vergingen. Man brachte ihm Kaffee. Vor zwei Jahren hatte der Präsident ihn in Langley aufgesucht, und Teddy hatte ihn einundzwanzig Minuten warten lassen. Der Präsident hatte ihn damals um einen Gefallen gebeten — eine bestimmte Sache sollte nicht an die Öffentlichkeit dringen.
Der einzige Vorteil eines Lebens im Rollstuhl war, dass man nicht aufspringen musste, wenn der Präsident den Raum betrat. Er kam schließlich in Eile hereingestürmt, ein Rudel Assistenten im Schlepptau, als könnte das Teddy Maynard irgendwie beeindrucken. Sie schüttelten sich die Hand und tauschten die erforderlichen Begrüßungsfloskeln aus, während die Assistenten sich entfernten. Ein Diener erschien und servierte ihnen kleine Teller mit grünem Salat.
«Schön, Sie zu sehen«, sagte der Präsident mit leiser Stimme und einem öligen Lächeln. Spar dir das fürs Fernsehen auf, dachte Teddy und brachte es nicht über sich, die Lüge zu erwidern.»Sie sehen gut aus«, sagte er stattdessen, und das stimmte wenigstens teilweise. Der Präsident hatte das Haar getönt und sah jünger aus als sonst. Sie aßen schweigend ihren Salat.
Keiner von beiden wollte dieses Treffen allzu lange ausdehnen.»Die Franzosen verkaufen den Nordkoreanern mal wieder Spielzeug«, sagte Teddy als Eröffnung.
«Was für Spielzeug?«fragte der Präsident, obgleich er über diese geheimen Geschäfte informiert war. Und Teddy wusste, dass er es wusste.
Читать дальше