Ich zerpflückte das letzte Stück Vollkornbrot beinahe aggressiv und warf die Krümel in die Suppentasse.
Ich drückte das Brot mit der Löffelrückseite in die Tasse, damit es die letzten Reste der Suppe aufsog.
Ob ich Lisbeth die ganze Geschichte erzählen und sie um Rat fragen sollte? Aber was würde sie mir schon sagen? Dass ich zur Polizei gehen sollte. Dass ich das sofort hätte tun sollen. Dass es völliger Schwachsinn war, die Leiche eines Mannes in mein Auto zu laden. Dass sie mit diesen kriminellen Vorgängen nichts zu tun haben wolle.
»Du bist so still, Kind. Geht es dir nicht gut?«, fragte Lisbeth in meine Überlegungen hinein.
»Nein, alles in Ordnung, danke.« Ich versuchte ein Lächeln. »Ich muss dann jetzt mal los und mein Auto auslösen.«
Doch daraus wurde nichts.
Noch während ich bei Lisbeth am Küchentisch saß, klingelte mein Handy.
Es war Jens.
»Jens?«, fragte ich verblüfft. »Der Jens von gestern Abend?«
Lisbeths linke Augenbraue hob sich, ein amüsiertes Lächeln lag um ihre Mundwinkel. Offenbar vermutete sie eine Art der Beziehung, die ich mit dem Anrufer definitiv nicht hatte.
»Ich habe im Sender, ganz wie befohlen, von deinem Unternehmen erzählt und eine Kollegin ist ganz heiß auf die Geschichte. Ich wollte dich nur vorwarnen, sie meldet sich vermutlich noch heute bei dir.«
Ich konnte mich kaum bedanken, als der Anklopfton in meinem Handy mir anzeigte, dass ein weiteres Gespräch ankam.
Jens lachte. »Das ist sie vermutlich schon. Ciao.«
»Klopf, wie Kopf mit l oder wie klopfen ohne en hintendran, aber am besten duzen wir uns, das tun wir alle hier, ich bin die Heidi.«
Vorstellung, Verbrüderung und Duzangebot – alles auf einmal im ersten Satz. Im zweiten erläuterte mir die Heidi den Beitrag, den sie über die ›Schmutzengel‹ bringen wollte.
»Wann wollen Sie, Pardon, du diesen Beitrag denn drehen?«
»Wir können so gegen vierzehn Uhr bei dir sein.«
Ich sah auf die Uhr. Kurz vor eins.
»Heute? Um zwei? Das ist ja schon in einer Stunde?«, stotterte ich.
»Wo müssen wir denn dann hinkommen?«, fragte die Heidi ungerührt.
Keine Frage, ob mir das recht sei. Ob es passe. Oder ob ich vielleicht arbeite? Termine hatte? Nein, wenn das Fernsehen ruft, springen die Leute, das weiß die Heidi genau, deshalb hält sie sich mit Absprachen nicht auf, sondern macht Ansagen. Punkt.
Ich unterdrückte das inzwischen bekannte hysterische Kichern, verabschiedete mich von meinem ursprünglichen Plan, holte tief Luft und fügte mich in mein Schicksal, denn Troll hatte mir eingetrichtert, dass man Leuten von der Zeitung, dem Radio und dem Fernsehen niemals widerspricht, solange man noch etwas von ihnen will. Die Widerspruchslosigkeit kommt außerdem meinem Naturell entgegen, denn lieber akzeptiere ich zähneknirschend einen Befehl, als mich in unerquickliche Diskussionen verwickeln zu lassen. Diesen Wesenszug sollte ich ablegen, hatte Troll gesagt, nur eben nicht gegenüber den Medien. Ich nannte der Heidi also meine Geschäftsadresse, sie bestätigte und ich beendete das Telefonat mit zitternden Fingern.
Ich erläuterte Lisbeth die Sachlage, nahm ihre Ermahnungen (»halt dich gerade und sprich nicht so leise«) und ihre Ermunterung (»lass dich ja nicht von den Fernsehfritzen verrückt machen – die kochen auch nur mit Wasser«) entgegen und nahm mir, wieder mal, ein Taxi.
Den Rest der Zeit vor Heidis Eintreffen verbrachte ich damit, meine Termine für den Nachmittag zu verschieben (sieben Minuten), mein Büro aufzuräumen (zwölf Minuten) und mich umzuziehen (einunddreißig Minuten).
Dabei waren mir all die Informationen, die ich am Tag vorher während des Stilseminars erhalten hatte, eher hinderlich als nützlich, denn ich sah nun deutlich, dass mir weder Schwarz noch Weiß steht. Das nutzte mir gerade wenig, denn ich hatte keine anderen Jacken als schwarze und keine anderen Blusen als weiße. An meine unvorteilhafte Figur mochte ich gar nicht denken. Ich war zutiefst verunsichert und sah vermutlich auch so aus. Aber auch mit dieser Katastrophe würde ich wohl leben müssen.
Eine gute Nachricht gab es immerhin: Die sehr schicke, sehr enge schwarze Hose, die ich mir in einer optimistischen Anwandlung vor zwei Wochen gekauft hatte, passte mir inzwischen wie angegossen. Die häufigen Fußmärsche, der vollständige Verzicht auf Süßigkeiten und die akute Appetitlosigkeit hatten zu diesem erfreulichen Ergebnis geführt.
Die Fernsehmeute fiel gegen Viertel nach zwei in mein Büro ein und versaute innerhalb weniger Sekunden den gesamten Fußboden mit ihren durchweichten Schuhen, an denen Schneematsch und Split klebte.
»Die Heidi« stellte mir »den Rolf« vor, das ist der mit der Kamera auf der Schulter, und »die Jule«, die Tontechnikerin. Die Jule fummelte mir ein kleines Mikrofon mit einem schwarzen Windmützchen an mein Revers, dessen Kabel unter der Bluse über die Schulter und den Rücken verlegt wurde, wodurch meine Haltung sofort jegliche natürliche Elastizität verlor. Das wurde nicht besser, als sie mir auch noch den Übertragungskasten für das drahtlose Mikro unter den Hosenbund schob. Ich stand wie ein Telefonmast inmitten meines Büros und traute mich kaum, mich zu bewegen.
»Wir machen ein Take hier, du erzählst, wie du auf die Idee gekommen bist, das machen wir ein bisschen wie ein Interview, das ist leichter für dich. Und dann gehen wir mal zusammen in eine Wohnung, die du putzt, und filmen dort bei der Arbeit.«
Mein »Nein« brachte jede Bewegung im Raum zum sofortigen Stillstand. Die Heidi, der Rolf und die Jule starrten mich entsetzt an.
»Was nein?«, fragte die Heidi.
»Wir können nicht in einer Wohnung drehen, das ist mit den Kunden nicht abgesprochen.«
Die Heidi blickte verwirrt. »Aber du gehst in die Wohnung und putzt, da gehen wir eben einfach mit. Wir sagen ja nicht, wessen Wohnung das ist.«
»Nein«, wiederholte ich. »Außerdem putze ich ja gar nicht.«
»Ja, also dann hat das aber doch alles keinen Sinn«, ließ sich der Rolf vernehmen. »Ich brauche Bilder, Kinder, wir sind beim Fernsehen. Die Leute wollen nicht nur ein kleines Bürozimmerchen sehen«, er warf einen zwischen Langeweile und Verachtung schwankenden Blick in meinem Büro umher. »Unsere Zuschauer wollen die Wohnungen, Villen und Lofts von Leuten sehen, die reich genug sind, sich einen exquisiten Butler-Dingsbums-Hausputzdienst zu leisten.«
Er fuhr sich theatralisch mit der freien Hand durch die Haare und seufzte laut.
Blöderweise musste ich ihm recht geben. Die Bilder aus meinem kleinen Büro mit dem Charme der Wartezimmer-Gardinen waren ja auch für mich selbst keine tolle Werbung.
Das Problem war nur, dass die Wohnungen, die wir betreuten, nicht gerade das waren, was der Rolf sich unter den Villen und Lofts vorstellte, in die er selbst gern hineinschauen würde. Lauensteins Haus war zwar groß und irgendwie ausgefallen, aber allein der Gedanke daran trieb mir den Angstschweiß auf die Stirn. Die Wohnung des Professors, der uns heute Vormittag den Auftrag erteilt hatte, wäre sicher interessant, aber einen Neukunden konnte ich unmöglich gleich mit solch einem Ansinnen überfallen. Aber mir kam eine andere Idee.
Ich bat das Team, mich einen Augenblick zu entschuldigen, ging in meine Küche und rief Lisbeth an.
»Lisbeth, das Fernsehteam ist hier. Wir brauchen Bilder von dir bei der Arbeit. In einer schicken Wohnung, die richtig was hermacht.«
Lisbeth holte tief Luft, vermutlich um mich zu fragen, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte, doch dann hörte ich, wie sie den Mund wieder zuklappte. Lisbeth ist ein Schnelldenker. Sie fragte leise: »Irgendeine Wohnung?«
»Eine Wohnung, die etwas hermacht«, wiederholte ich.
»Das habe ich begriffen. Aber es muss nicht die Wohnung eines Kunden sein?«
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