Balduin Mollhausen - Der Vaquero
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Balduin Möllhausen
DER VAQUERO
Erstes Kapitel
Kansas, einer der jüngeren Staaten der nordamerikanischen Union, wird von dem in den Missouri mündenden Strome gleichen Namens von Westen nach Osten durchschnitten. Auf dem östlichen Fünftel schmücken dichte Waldungen mit kurzen Unterbrechungen seine Ufer und Thäler. Je weiter westlich, um so mehr schwinden sie, bis endlich die unbegrenzte Prairie in ihrer Eintönigkeit sich vor dem ermüdeten Auge ausdehnt. Auch der Arkansas ragt im Südwesten in den genannten Staat hinein und vermehrt mit seinen ungezählten Zuflüssen dessen Wasserreichtum.
Heute ist Kansas, so weit die Bodengestaltung es begünstigt, verhältnismäßig dicht bevölkert. Außerhalb dieser Gebiete ziehen kluge Spekulanten ihren Gewinn aus zahlreichen Rinderherden, die auf den endlosen Grassteppen unter der Aufsicht verwegener Hirten, der sogenannten Vaqueros oder Cowboys, eine Art Wanderleben führen.
Schon frühzeitig hatte Kansas mit seinen verheißenden Fluren Ansiedler, vorzugsweise Squatter, angelockt, die auf die von ihnen nach Willkür in Besitz genommenen Ländereien das Vorkaufsrecht behaupteten, sobald die Regierung sie zu dem gesetzlichen Preise auf den Markt brachte. Da aber die Spekulanten vielfach nach Quadratmeilen zu berechnende Bodenflächen über die Köpfe der Squatter hinweg an sich brachten, diese dagegen nicht willens waren, Jahre hindurch im Schweiße des Angesichts eine Heimstätte zur Blüte gebracht zu haben, um schließlich vertrieben oder, bei Vereinbarung über Entschädigungssummen, in schamloser Weise geprellt zu werden, so konnte nicht ausbleiben, daß Zusammenstöße erfolgten, bei denen Büchse und Revolver nur zu oft das entscheidende Wort führten.
Derartige Feindseligkeiten verschärften sich und gewannen an Umfang, als die südlichen Sklavenbarone, begünstigt durch die Präsidenten Pierce und Buchanan, den Gesetzesparagraphen, laut dessen die Sklaverei nicht über den sechsunddreißigsten Grad nördlicher Breite ausgedehnt werden durfte, zur Schmach des ganzen Kontinents umstießen. Solches geschah im Jahre 1855.
Um nach voraussichtlicher Aufnahme des »Kansasterritoriums« in den Staatenbund bei der Verfassungsfrage die Mehrzahl der Stimmen auf ihrer Seite zu haben, überschwemmten die Sklavenbarone nunmehr das Territorium mit gedungenen Abenteurern und Freibeutern. Diese galten als Ansiedler und waren dazu berufen, die bereits ansässigen Kolonisten zu bedrängen, bis endlich der Norden zu einem ähnlichen, jedoch auf ehrenwertere Elemente gestützten Verfahren sich aufraffte. Das Jahr 1859 brachte darauf die Entscheidung. Kansas wurde nicht nur von der eigenen Bevölkerung, sondern auch von dem Kongreß in Washington als Staat der freien Arbeit anerkannt.
Es war in einem der letzten Jahre, in denen die Südstaatler zur Eroberung eines neuen Feldes für die Sklaverei ihre ungesetzlichen, von Raub, Mord und Brand begleiteten Anstrengungen verdoppelten. Dem Mai hatte der erste Sommermonat sich angereiht, und in ihrem prächtigsten Schmuck prangten Wälder und Fluren, als ein einsamer Reiter von Süden her dem Smoky-Hill-Fork, dem südlichen Hauptarm des Kansasstromes, sich näherte.
Auf dem Rande der Prairie anhaltend, sandte er einen forschenden Blick über das tiefer gelegene, sich weithin erstreckende liebliche Thal. Länger betrachtete er eine steil in den Aether emporsteigende dünne Rauchsäule, die gegen anderthalbtausend Schritte stromaufwärts der Uferwaldung zu entsteigen schien. Mehrere eingefriedigte Aecker, die hinter einem Hain hervor in das Wiesenland hineinragten, eine Anzahl weidender Rinder und ein Dutzend Pferde legten Zeugnis davon ab, daß hier, fern jeder Nachbarschaft, ein Squatter schon vor einer längeren Reihe von Jahren mit bestem Erfolg seinen Herd gegründet hatte. Nachdenklich sah der Reiter zur Sonne hinauf, die bereits vor einer Stunde über den Zenith hinweggeschlichen war, dann lenkte er sein Pferd den steilen, unwegsamen Abhang hinunter.
Ueppig grünendes und blühendes Wiesenland, nur hie und da mit Baum- und Strauchgruppen besetzt, dehnte sich dort bis zur Uferwaldung vor ihm aus. Deren Saum sich nähernd, wendete er sich, die Umgebung fortgesetzt aufmerksam prüfend, stromaufwärts. Plötzlich richtete er sich etwas höher auf. Er war eines Baumschößlings ansichtig geworden, dessen vertrocknetes und zum Teil abgefallenes Laub der Vermutung Raum gab, daß ihm die Wurzeln fehlten. Ungesäumt ritt er darauf zu, das nach langem Marsch ermüdete Pferd unwillkürlich zu schnellerer Gangart spornend.
Dieses gehörte zu jenen unansehnlichen Tieren, die, ursprünglich verwildert, allen vom Wetter und den Jahreszeiten abhängigen Einflüssen ausgesetzt bleiben, bis sie endlich einen Herrn finden, der es versteht, sie zu bändigen und ihre wunderbare Zähigkeit, Ausdauer und Schnelligkeit sich dienstbar zu machen.
Beim ersten Anblick erzeugte es den Eindruck, als hätte es unter der ihm aufgebürdeten Last zusammenbrechen müssen, schritt aber einher, als wäre sein Reiter nicht schwerer gewesen, als die vertrockneten Blätter, die trübselig an dem abgestorbenen Schößling hingen. Und ein gewichtiger Reiter war er. Eine Handbreite über die gewöhnliche Größe hinausgewachsen, zeigte er einen Körperbau, der einem Preisringer zur Ehre gereicht hätte. Gekleidet war er nach Art der Steppenjäger. Ein verschossenes blaues Flanellhemd hing lose um die breiten Schultern. Die Aermel hatte er bis über die Ellenbogen aufgerollt, dadurch Muskeln bloßlegend, die wie aus Stahl zusammengeschweißt erschienen. Indianisch befranste Lederbeinkleider reichten bis zu den büffelledernden Mokassins und den schweren mexikanischen Schnallsporen nieder. Ein formloser grauer Filzhut mit breiter Krempe beschattete sein sonnenverbranntes, jugendlich mannhaftes Gesicht, dessen gefällige, wenn auch unregelmäßige Formen durch einen verwitterten hellblonden Vollbart noch gewannen.
Ein eigentümlicher Ausdruck trotzigen Selbstbewußtseins, wie es bei weniger geschulten Gemütern durch das Gefühl außergewöhnlicher Körperkratt bedingt wird, charakterisierte das Antlitz des wohl kaum fünfundzwanzigjährigen Reiters. Aehnliche Regungen verrieten seine blauen Augen, die zuversichtlich und zufrieden vor sich hin blickten. Das Seltsame seiner Erscheinung wurde dadurch erhöht, daß eine blonde lockige Mähne unter dem Hut hervorquoll und mit dem unteren verblichenen Ende bis auf die Schultern niederfiel. Vor ihm auf dem Sattel ruhte eine Büchse. Revolver, Beil und Messer beschwerten seinen Gurt. Außerdem führte er hinter sich auf der Kruppe des Tieres eine zusammengeschnürte, grellfarbig gestreifte Decke mit sich, die zugleich Mantelsack, wie in den geräumigen Satteltaschen Mundvorrat und Schießbedarf. Das war seine ganze Ausrüstung, darauf berechnet, die Prairie von einem Ende bis zum anderen zu kreuzen.
Vor dem verdorrten Schößling sprang er zur Erde. Mit flüchtigen Griffen entledigte er das Pferd des Sattels und Zaumzeugs. Nur den Lasso befestigte er an seinem Halse, so daß er in ganzer Länge nachschleifte, und die feuchte Rückenhaut zärtlich streichend, sprach er in tiefem Schmeichelton:
»Billy, Billy, wenn du nicht der feinste vierbeinige Gentleman bist, der je in zweimal vierundzwanzig Stunden seine hundertundzwanzig englische Meilen zurücklegte, will ich zum letztenmal den Fuß in einen Steigbügel gestellt haben.«
Das Pferd wieherte leise und kehrte die Nüstern dem Flusse zu.
»Deine Zunge ist trocken; kann's mir denken,« hieß es weiter, »so mach, daß du hinkommst, und übernimm dich nicht.«
Ein leichter Schlag mit der flachen Hand traf das Pferd, welches alsbald in die vor ihm befindliche, tief ausgewühlte Regenfurche hinabglitt und eilfertig dem Wasser zuschritt.
Auch der Reiter begab sich hinunter, und vor den Schößling hintretend, legte er genau sechsunddreißig Schritte in entgegengesetzter Richtung zurück. Dort betrachtete er das linke Ufer aufmerksam. Er brauchte nicht lange zu suchen. Ein aus dem Erdreich hervorragender Stein gab dem auf ihn ausgeübten Druck nach und fiel ihm entgegen. Es wurde dadurch eine in die Uferwand ausgescharrte Aushöhlung bloßgelegt. Wilde Begeisterung sprühte aus seinen Augen, indem er, wie zuvor zu dem Pferde, eigentümlich sanft vor sich hin sprach:
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