Marie Ebner-Eschenbach - Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid
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Marie von Ebner-Eschenbach
Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid / Zwei Erzählungen
Rittmeister Brand
I
Dietrich Brand entstammte einer uralten angesehenen Kaufmannsfamilie. Seit fast einem Jahrhundert bestand das Rohseidengeschäft Brand & Co. in Ehren auf dem Wiener Platze. Es hatte seine Begründer und ihre nächsten Nachfolger reich gemacht und trotz der Ungunst der Verhältnisse in den letzten Decennien keinen Rückgang erfahren. Diesen Erfolg verdankte das Haus der Tüchtigkeit seines Chefs, und Niemand zweifelte, daß sein willensstarker und energischer Sohn sein Nachfolger werden würde. Durch lange Zeit blieb das streng, sogar vor einander bewahrte Geheimniß seiner Eltern: Dietrich zeigt zum Kaufmannsstande wenig Lust und Talent.
Trotzdem war es ein Tag des Entsetzens für sie, als er kam und ihnen seinen unerschütterlichen Entschluß kund that, nichts anderes zu werden, als wozu er sich im Innersten berufen fühlte, Soldat.
Warum Soldat, um Gotteswillen? Warum nicht Beamter oder Landwirth, wenn schon durchaus nicht Kaufmann? – Ja, weil er dazu beitragen wollte, die außer Rand und Band gerathenen Menschen wieder an Zucht zu gewöhnen. Weil er erziehen wollte, wie er von klein auf gethan. Das mußten die Eltern gelten lassen. An dem Hunde und Papagei seiner Mutter, an den Tauben und Spatzen, die er mit Weißbrotkrumen auf den Fenstersims lockte, an Allen hatte er – und mit Glück – erzogen. Im Sommer, wenn die Familie in ihrer Villa in Neuwaldegg Aufenthalt nahm, kamen die Kinder dran. Da war er immer von einem Trupp umgeben, den er commandirte und der ihm gehorchte, weil es sich von selbst versteht, daß man dem Dietrich Brand gehorcht.
Dem Vater wollte das Befehlshaberische im Wesen seines Sohnes nicht gefallen: »Aus Dir wird einmal ein Schulmeister,« sprach er zu ihm.
»Nicht ein Schulmeister, ein General,« antwortete Dietrich.
Ja, sie hätten es voraus sehen können und nicht schweigen sollen. Auch nicht zu den schweren Kämpfen, die er im Stillen bestand. Den Trübsinn, der ihn seit längerer Zeit ergriffen hatte, sein übles Aussehen, die rothen, überwachten Augen, mit denen er jeden Morgen zum Frühstück kam, erklärte Vater Brand für Symptome der Übergangsjahre, die einem weiter keine Sorgen zu machen brauchen. Das sagte er freilich nur, um »die Frau« zu beruhigen, die sich wieder ihm zur Liebe beruhigt stellte; denn die wahre Liebe, die Alles kann, kann sogar ihre eigenste Natur verleugnen, kann sogar lügen, wenn’s gilt.
Als Dietrich ihnen sein Vorhaben mittheilte, wußten die Beiden gar wohl: Leicht ist es ihm nicht geworden, unsere Luftschlösser nieder zu reißen und unsere Altershoffnungen bankerot zu machen.
Was ihnen anfangs ganz unauffindbar schien, war der Zusammenhang zwischen seiner Lust am Erziehen und seiner Liebe zum Militärstande. Er wies ihnen aber nach, daß kein anderer so viel Macht verleiht, auf den armen und ungebildeten Nächsten fördernden Einfluß zu nehmen. Und in diesem edelsten Stande giebt es wieder keine Waffengattung, die dem Erzieher so viel Möglichkeit bietet, sein Talent nutzbringend zu entfalten wie die Kavallerie. Das Wesen, dem ich meine Sorgfalt widme, wird zugleich angehalten, die seine einem anderen Wesen zu spenden – seinem Pferde. Da steht also der Mann gleichsam in der Mitte zwischen einer heilsamen Ursache und einer heilsamen Wirkung und erfährt zugleich zweifachen Nutzen. Deshalb wollte Dietrich Brand nicht nur Soldat, er wollte ein Reiter werden, ein schwer wiegender, ein Dragoner.
»Unser Sohn ist ein Feuergeist,« klagten die tiefbetrübten Eltern ihrem Vertrauensmanne, dem greisen Buchhalter; und er dachte bei sich: Zur Hälfte Feuergeist, zur Hälfte Pedant. Die Sorte setzt Alles durch.
Klug wie er war, befolgte er auch dieses Mal die bewährte Praxis, die ihm das Vertrauen des Herrn und der Frau Principal sicherte. Er rieth ihnen, das zu thun, was sie ohnehin gethan hätten – nachzugeben.
Der Vater versöhnte sich nie ganz mit der Berufswahl Dietrichs; aber das uneingeschränkte und einstimmige Lob, das seinem Sohne gezollt wurde, freute ihn doch. Was seine Vorgesetzten am meisten an ihm rühmten, um was seine Kameraden ihn am meisten beneideten, das war die unerschöpfliche Geduld, die ihn bei all’ seiner eisernen Strenge nie verließ.
»Hätten wir viele Offiziere wie Sie, würde unsere Armee zur grandiosesten Volkserziehungsanstalt der Welt,« hatte ein sehr hoher Herr zu Dietrich gesagt, und an diesen Ausspruch erinnerte man sich im Regimente noch lang, nachdem Brand aus ihm geschieden war.
Seine Mutter gerieth nach und nach in eine wahre Begeisterung für den Militärstand. Vom Tage der Ernennung ihres Sohnes zum Lieutenant begann sie den Militärschematismus zu studiren und fehlte bei keiner Revue auf der Schmelz. Remonte, Train, Ménage, Zug, Eskadron, Regiment, Division, in der Tour, außertourlich u. s. w. wurden für sie gebräuchliche Worte. Von allen kamen aber keine so oft über ihre Lippen wie die: »Mein Sohn, der Lieutenant.« Als sie sagen durfte: »Mein Sohn, der Oberlieutenant,« und als er in dieser Charge die Wiener Garnison bezog, da mußte Vater Brand mit ihr hinaus fahren auf den Exercirplatz zu jeder Truppenausrückung. Die Gattin an seiner Seite gerieth beim Defiliren der Regimenter in solche Extase, daß er sich fragte, ob der Sohn nicht am Ende von ihr die kriegerischen und heroischen Neigungen geerbt habe. Aber die erbliche Belastung wäre in dem Falle schwer nachweisbar gewesen, denn Frau Brand entstammte, wie ihr Gemahl, einer alten, friedfertigen Kaufmannsfamilie.
Im Winter wurde der Zug des Oberlieutenants Brand mit Puls- und Seelenwärmern, mit Socken und Flanellunterkleidern so reichlich versehen, daß die Leute sich durch ihr behagliches Aussehen vor allen Anderen auszeichneten. Frau Brand erlebte auch noch die Glückseligkeit, von ihrem Sohne, dem Rittmeister, sprechen zu können und ihren guten Alten dazu ein wenig schmunzeln zu sehen.
Zu der Kaiserrevue in dem Jahre, in dem Dietrich zum ersten Male eine Eskadron kommandirte, kam seine Mutter allein gefahren im schönen offenen Landauer. Die Pferde hatten schwarze Geschirre, und die Diener trugen schwarze Livrée, und im Wagen saß eine gebrochene Frau in Wittwentrauer. Noch ein Jahr, und der Rittmeister hatte keine Eltern mehr, er hatte auch sonst Niemanden, er hatte nur seinen Beruf.
Nein, man darf nicht sagen »nur«, wenn von einem Beruf die Rede ist, von einem vollen, ganzen. Der Beruf ist Alles, ist mehr als Eltern und Kinder, als die Geliebte, als der Freund. – So glaubte Dietrich wenigstens damals.
II
Wenn seine Mutter ihm gesagt hatte: »Du solltest doch endlich ans Heirathen denken,« war seine Antwort gewesen: »In Gottesnamen; nur nicht zu viel, nur nicht zu oft; mein Beruf läßt mir keine Zeit zu Nebenbeschäftigungen.«
Und gerade im ersten Sommer nach dem Tode der guten alten Frau verliebte er sich. Es geschah so sachte, so allmählich, daß er’s anfangs gar nicht merkte. Die Ehe seiner Eltern hatte ihn gelehrt, von der Liebe den höchsten Begriff zu haben. Sie kommt nicht, oder im Triumphe, die unwiderstehliche, allmächtige Siegerin. Und nun war sie erschienen ohne Sang und Klang, hatte sich ihm ins Herz geschlichen unter fremdem Namen in der bescheidenen Gestalt von Sympathie, Werthschätzung und tiefem Mitleid.
Die es ihm angethan hatte, hieß Sophie von Henning, und war die Tochter eines mährischen Landedelmannes, der sich, als Brands Eskadron in der Nähe seines Gutes einquartiert wurde, eben damit beschäftigte, die Reste seines einst ansehnlichen Vermögens in alle Winde zu streuen.
So lange seine, ihm weit überlegene Frau am Leben gewesen war, hatte sie verstanden, seiner Verschwendungssucht bis zu einem gewissen Grade Einhalt zu thun. Nach ihrem Tode, den er sechs Wochen lang leidenschaftlich betrauerte, erwachte er aus seinem Grame als ein verjüngter, lebensfreudiger Mensch. Er färbte seine Haare, unterzog sich einer Entfettungskur, machte jungen Damen den Hof, stellte kostbare Pferde in den baufälligen Marstall ein, steckte seine dörfliche Dienerschaft in Livréen von falscher Eleganz, und hielt offenes Haus.
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