»Komisch«, sagte Scully. »Dasselbe hat auch dein Kumpel gesagt. Und was ist mit ihm passiert?«
Hawkwood zerrte vergeblich an seinen Ketten. »Herrgott noch mal, Scully! Der Bastard arbeitet für die Franzosen!«
»Na und?«
»Das sind unsere Feinde, falls du das vergessen hast.«
»Ich habe überhaupt nichts vergessen, Euer Ehren. Weder die miserable Heuer noch den miserablen Fraß. Auch nicht die verdammten Arschkriecher, die Offiziere, oder das Auspeitschen. Bist du je ausgepeitscht worden, Captain Hawkwood? Nein, wahrscheinlich nicht. Und dafür soll ich der Königlichen Marine dankbar sein? Warum glaubst du wohl, bin ich zu den Froschfressern übergelaufen?« Scully hob drohend die Ahle. »Schluss damit. Mir reicht’s! Jetzt bist du dran.«
Ich habe nur eine Chance, dachte Hawkwood. Ich muss Scully angreifen. Er erwartet, dass ich zurückweiche, aber Angriff ist die beste Verteidigung. Er spannte seine Muskeln an, und als Scully auf ihn zutrat, packte er mit beiden Händen die Stuhllehne und sprang auf die Füße. Scully wich grunzend zurück. Hawkwood drehte sich um die eigene Achse und knallte Scully den Stuhl an die Hüfte.
Wenn ich ihn aus dem Gleichgewicht bringe …
Doch Scully wich seitwärts aus und trat Hawkwood gegen den Oberschenkel. Weil der Runner seinen Sturz nicht mit den Händen abfedern konnte, prallte er mit dem Ellbogen zuerst auf den Boden. Ein höllischer Schmerz zuckte durch seinen Arm. Obszön fluchend beugte sich Scully über ihn und zog jetzt ein Entermesser aus seinem Gürtel.
»Das war ein netter Versuch, Kumpel. Aber du bist bereits tot. Du weißt es nur nicht. Zuerst schlage ich dir den Schädel ein, und dann zerhacke ich dich. Die Müllmänner bringen die Stücke flussabwärts und werfen sie zusammen mit dem anderen Dreck ins Wasser.«
Hawkwood konnte sich nicht bewegen. Sein rechter Arm war gelähmt. Er war so wehrlos wie eine auf dem Rücken liegende Schildkröte. Er versuchte, mit beiden Füßen nach Scully zu treten, aber der Stuhl hinderte ihn daran.
Scully lachte höhnisch. »Hast wohl gedacht, du könntest mich überrumpeln, wie?« Er jonglierte jetzt mit der Ahle.
»Dein Kumpel war zäher, als er aussah. Ich habe ihm die Ahle in den Kopf gerammt und dachte, er wäre tot, als wir ihn ins Boot legten. Wir wollten seine Leiche flussaufwärts ins Wasser werfen. Ich habe meinen Augen nicht getraut, als er sich plötzlich über Bord gehievt hat. Wir glaubten, er sei untergegangen, weil wir ihn nicht finden konnten. Dabei hat er’s bis ans Ufer geschafft. Tapferer Kerl!«
Noch immer lag Hawkwood hilflos am Boden. Er wartete darauf, dass Scully zustach.
In diesem Moment flog die Tür krachend gegen die Wand.
»AAAHLEEE!«
Voller Entsetzen sah Hawkwood, dass Wiesel neben ihm auf die Planken prallte. Blut strömte aus einer klaffenden Wunde an seinem Hals. Der Gnom starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Ein Knebel hinderte ihn am Schreien. Dann legte sich ein Schleier über seine Augen.
Jago rammte seine Schulter Scully mit derartiger Wucht in den Leib, dass der Halunke rücklings über den Tisch fiel. Dabei stieß die Spitze seines Entermessers an die Laterne, die vom Deckbalken hing. Sie prallte gegen das Schott, und das Glas zerbrach. Sofort ergoss sich brennendes Petroleum über die Koje und setzte Decken und Matratze in Brand.
Schon war Jago wieder auf den Beinen. Mit der rechten Hand umklammerte er seinen schweren Holzknüppel.
»Cap’n!«, rief er, beugte sich über Hawkwood und bemerkte die Fesseln. »O verdammt!«
»Pass auf, Nathaniel!«, schrie Hawkwood, als Scully hinter dem Tisch auftauchte.
Jago richtete sich sofort auf und drehte sich um. »Ich habe dich gewarnt, Scully! Wenn du ihm was antust, kriegst du es mit mir zu tun.«
Das Entermesser in der rechten, die Ahle in der linken Hand, schnellte Scully hinter dem Tisch hervor. »Jago, ich reiß dir das Herz raus!«, schrie der Mörder und sprang nach vorn. Jago machte einen Satz zurück. Die Klinge des Entermessers schrammte um Haaresbreite an seinem Brustkorb vorbei. Scully fluchte und stach wieder zu. Da schwang Jago seinen Knüppel, Scully duckte sich jedoch, sodass er ihn nur an der Schulter traf. Doch er brüllte vor Wut und taumelte rückwärts.
Das Feuer breitete sich aus. Die Koje brannte bereits lichterloh. Züngelnde Flammen krochen über die Planken, leckten am Schott und an der Unterseite der Tür. Der Saum von Wiesels Rock fing an zu schwelen.
Hawkwood stemmte seine Füße gegen Wiesels Leiche und versuchte, sich aufzurichten. Noch immer umkreisten sich Scully und Jago in der engen Kajüte. Die Klinge des Entermessers funkelte im Schein der Flammen, als er damit hektisch nach Jago stieß. Der parierte den Schlag mit seinem Knüppel und prügelte dann mit aller Wucht auf Scullys Handgelenk. Der Knochen brach, und das Messer fiel ihm aus den gefühllos gewordenen Fingern. Jetzt stieß er mit der Ahle nach Jago. Er versuchte, den Hals seines Gegners zu durchbohren, doch Jago schlug das mörderische Werkzeug beiseite und rammte Scully seinen Knüppel derart heftig in den Magen, dass der Glatzkopf keuchend nach Luft schnappte.
Jetzt schlug Jago ihm die Ahle aus der Hand und verpasste ihm einen harten Schlag auf den kahlen Schädel. Scully stürzte seitwärts. Sein Stiefelabsatz verfing sich am Tischbein und noch im Fallen griff er wieder nach seiner Ahle. Blut strömte ihm übers Gesicht. Jago stand mit gespreizten Beinen über ihm, hob seinen Knüppel und schlug ihm noch einmal auf den Kopf. Es war ein Geräusch, als würde eine Melone mit einer Axt gespalten. Dann prallte Scullys Körper auf den Boden und blieb dort reglos liegen.
Jago warf einen letzten angeekelten Blick auf den Toten und knurrte: »Bastard! Feiges Stück Scheiße!«
Wiesels Haare und Kleider brannten jetzt lichterloh. Hawkwood roch verbranntes Fleisch. Die Blutlache unter Wiesels Kopf brutzelte wie Fett in einer Pfanne. Rauch breitete sich in der Kajüte aus. Von draußen waren nun Schreie zu hören.
Hawkwood deutete mit dem Kopf auf Wiesel und rief krächzend: »Der Schlüssel. Jago, hol den verdammten Schlüssel!«
Jago durchsuchte hastig die bereits schwelenden Kleidungsstücke des Toten und hielt dann zufrieden den Schlüssel in die Höhe. Schnell kniete er sich neben Hawkwood, schloss die Fesseln auf und zerrte den Runner auf die Beine.
Hawkwood rieb sich die Handgelenke und suchte nach einem Fluchtweg aus dieser Hölle aus Rauch und Feuer. »Das Bullauge!«, schrie er.
Einen Fuß hatte er bereits durch die runde Öffnung gesteckt, als Jago brüllte: »Nie im Leben!«
»Was?«, keuchte Hawkwood, als er sah, dass Jago zurückwich.
»Da spring ich nicht runter«, krächzte Jago.
»Herrgott noch mal, Nathaniel! Das verdammte Schiff brennt!«
Jago schüttelte den Kopf. »Schauen Sie doch mal runter. Da unten ist es so schwarz wie in einem Höllenschlund. Wie soll ich wissen, wo ich reinspringe?«
Das Knistern der Flammen wurde immer lauter. Wegen der Rauchschwaden konnte Hawkwood die Tür kaum noch sehen. Er starrte Jago fassungslos an. »Um Himmels willen, du bist doch schon mal von Bord eines Schiffs gesprungen, um der Militärpolizei zu entgehen. Was ist jetzt anders?«
»Damals konnte ich sehen, wo ich hingesprungen bin. Jetzt ist es stockfinster draußen.«
»Ich kann’s nicht fassen!«, fluchte Hawkwood und zog sein Bein wieder durch das Bullauge herein. »Also gut. Wir gehen durch die verdammte Tür!«
Mitten in der Kajüte blieb er jedoch abrupt stehen. Jago fluchte, als Hawkwood über Wiesels Leiche stieg und sich mit ausgestreckten Armen zum Tisch vortastete. Es sah aus, als würde er in die lodernden Flammen greifen. Doch dann hatte Hawkwood seinen Schlagstock in den Händen und taumelte hinter Jago zur Tür hinaus.
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