»Und dieser Quigley? Was macht er?«
»Alles Mögliche, wie Nachrichten überbringen, aufräumen, kehren und andere Handlangerdienste. Nachts bewacht er auch die Werkstatt und schläft auf einer Matratze in einem der Lagerräume.«
»Ist er ein Lehrling?«
Hobb schien diese Frage zu überraschen. »Du meine Güte, nein, Sir. Er ist Mr. Knibbs’ Neffe«, und fügte dann mit einem bedauernden Lächeln hinzu: »Wissen Sie … na ja, der Junge ist ein bisschen langsam. Es ist nur der Güte des Masters zu verdanken, dass er sich nicht auf der Straße rumtreiben muss. Oh, verstehen Sie mich nicht falsch, Mr. Hawkwood«, erläuterte Hobb hastig. »Er hat nie etwas angestellt, er ist ein braver Junge. Aber zum Lehrling taugt er leider nicht.«
Hawkwood dachte kurz über diese Information nach, ehe er weiterfragte: »Ich nehme an, Sie haben sich bei Mr. Knibbs erkundigt, wo Master Woodburn stecken könnte?«
»Ja, natürlich. Er hat mir gesagt, der Master habe zur gewohnten Stunde die Werkstatt verlassen. Kurz nach halb sechs, wie immer.«
»Ist er allein weggegangen?«
»Mr. Knibbs hat mir versichert, er sei nicht in Begleitung gewesen.«
»Und wie kommt er gewöhnlich nach Hause? Mit der Kutsche?«
»Nein. Wenn es das Wetter zulässt, geht er zu Fuß. Der Master war … ist … sehr rüstig für sein Alter«, sagte der Diener und errötete wegen seines verbalen Ausrutschers.
Hawkwood ging nicht darauf ein, sondern fragte weiter: »Als Master Woodburn an jenem Morgen das Haus verließ, hat er da Ihnen gegenüber angedeutet, dass er sich mit jemandem treffen wolle?«
Der Diener versteifte sich. »Es gehört nicht zu den Gewohnheiten des Masters, mit den Mitgliedern des Haushalts über seine Verabredungen zu sprechen, Sir.«
Die gereizte Reaktion des Dieners erinnerte Hawkwood daran, dass trotz der Sorge um ihren Arbeitgeber und die offensichtliche Zuneigung für dessen Enkelin die Hobbs letztendlich nicht zur Familie gehörten, sondern nur Diener waren. Und Dienstboten kannten mehr als andere ihren Platz.
»Trotzdem könnten Sie zufällig etwas gehört haben.«
Mr. Hobbs Gesichtsausdruck machte Hawkwood klar, dass ihm nochmals ein unverzeihlicher Fehler unterlaufen war. Genauso gut hätte er einen Priester bitten können, das Beichtgeheimnis zu verletzen. Aber Hawkwood wusste, dass Dienstboten kaum etwas verborgen blieb, was im Umfeld ihrer Herrschaft vor sich ging, und sie Gesprächsfetzen und Gerüchte aufschnappten, die wertvolle Hinweise enthalten konnten. Von den Hobbs hingegen waren offensichtlich keine Enthüllungen zu erwarten. Sie zeigten sich nur zutiefst besorgt über das Verschwinden ihres Dienstherrn.
Von der Werkstatt aus war Luther Hobb direkt nach Hause gegangen und hatte gehofft, seinen Herrn dort anzutreffen. Da dies nicht der Fall gewesen war, hatte er sich sofort auf den Weg zur Bow Street gemacht und Woodburn bei Officer Warlock als vermisst gemeldet. Der Runner hatte den Diener in das Wohnhaus am Strand begleitet. Mittlerweile war es acht Uhr abends geworden, und der gesamte Haushalt war wegen der verständlichen Besorgnis um den Verbleib des Hausherrn ziemlich in Aufruhr gewesen.
»Als Officer Warlock wieder gegangen ist, hat er Ihnen da mitgeteilt, welche Schritte er zu unternehmen gedachte?«
»Er hat uns nur gesagt, dass er selbst in der Werkstatt nachfragen werde.«
»Aber da war es doch schon spät und die Werkstatt geschlossen.«
»Ich dachte, er würde am nächsten Morgen hingehen.«
»Und da haben Sie Officer Warlock das letzte Mal gesehen?«
Der Diener nickte nur.
»Kam es Ihnen nicht merkwürdig vor, dass Sie seitdem von Officer Warlock nichts mehr gehört haben?«
»Um ehrlich zu sein, Mr. Hawkwood, wir haben uns schon gewundert«, murmelte Luther Hobb sichtlich verlegen.
»Und Sie haben nichts unternommen?«
»Wir dachten, das stehe uns nicht zu.«
Hawkwood fluchte zwar stumm, konnte aber die Zurückhaltung der Hobbs verstehen. Es gehörte sich für Dienstboten einfach nicht, die Arbeit der Polizei in Frage zu stellen. Ihre Aufgabe bestand darin, ihren Pflichten nachzukommen, ohne das Verhalten ihrer Herrschaft infrage zu stellen.
Hawkwood nagte an seiner Unterlippe. Mit jeder Minute wurde die Spur kälter. Die Zeiger der Uhr auf dem Kaminsims deuteten auf halb fünf. Und er musste sich mit Lomax in den Four Swans treffen.
Aber in die Red Lion Street in Clerkenwell war es nicht weit. Vielleicht konnte er auf seinem Weg dorthin zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Hawkwood grübelte, wie alt Isadore Knibbs wohl war. Seine Gesichtshaut ähnelte Pergament, aber er hatte die funkelnden wachen Augen einer Krähe. Er war sehr klein, und seine Hände waren schmal und zierlich wie die eines Kindes. Nur die unter der Haut sichtbaren Adern verrieten sein Alter. Für einen Mann in fortgeschrittenen Jahren waren seine Finger erstaunlich geschmeidig. Außer schwindender Sehkraft muss Arthritis für einen Uhrmacher die schlimmste Krankheit sein, überlegte Hawkwood.
Josiah Woodburn beschäftigte fünf Gesellen, von denen Isadore Knibbs der älteste war. Hinzu kamen zwei Lehrlinge, mehr waren laut Reglement der Uhrmacher-Zunft nicht erlaubt. Es gebe Wege, diese Regel zu umgehen, vertraute Mr. Knibbs Hawkwood an, während er ihn durch die fünf Räume der Werkstatt mit Blick auf einen Hof an der Ecke Red Lion Street und George Court führte. Aber dies sei für einen Josiah Woodburn, Uhrmachermeister von untadeligem Ruf, undenkbar.
»Vierzig Jahre arbeite ich jetzt schon für Master Woodburn«, erzählte der Geselle stolz, »und für mich gibt es keinen besseren Menschen. Er lässt mich sogar meine eigenen Werke signieren. Das erlauben nicht viele Uhrmacher.«
Eine seltene Ehre, tatsächlich. Uhrmachergesellen durften gewöhnlich weder selbstständig arbeiten noch ihre Stücke signieren, auch wenn der Meister bei der Fertigstellung des Instruments nie Hand angelegt hatte. In dieser Hinsicht war Josiah Woodburn wirklich ein außergewöhnlich großzügiger Arbeitgeber, für dessen Abwesenheit auch Mr. Knibbs keine logische Erklärung hatte. Der Geselle tappte wie die Hobbs im Dunkeln und war ebenso besorgt. Er bestätigte, dass Master Woodburn die Werkstatt zur gewohnten Zeit verlassen habe und seitdem von niemandem mehr gesehen worden sei. Ohne zu zögern willigte er ein, als Hawkwood ihn bat, die Werkstatt besichtigen und die Angestellten befragen zu dürfen.
Das Haus sei in fünf Werkräume unterteilt, in denen die verschiedenen Arbeiten ausgeführt werden, erklärte Mr. Knibbs, als er Hawkwood durch die Tischlerei führte. Er wies auf eine Reihe leerer Gehäuse, die wie aufgestellte Särge an der Wand lehnten. Nur das beste Holz werde verwendet: Kiefer und honduranisches Mahagoni für das Gehäuse, Eiche für Vorderseite und Sockel, englisches Walnussholz für das Furnier. An einem Sägebock stand ein Schreiner knöcheltief in Sägemehl und Hobelspänen. In der Luft hing der Geruch von Leim und frisch gehobeltem Holz.
Durch einen Bogen gelangten die beiden in den angrenzenden Werkraum. Auf mehreren Arbeitsbänken verstreut lagen die Innereien von Uhren, als wäre ein mechanisches Objekt ausgeweidet worden. An den Wänden hing ein kunterbunter Wirrwarr von grafischen Darstellungen und detailgetreuen Zeichnungen von Zahnrädern, Scheiben, Ringen und Perpendikeln.
Nicht alle Uhrenteile würden in der eigenen Werkstatt hergestellt, vertraute Mr. Knibbs Hawkwood an. Fertigteile, wie Federn, Spandrillen, Scheiben und Uhrendeckel, wurden gekauft. Obwohl Uhrmacher auch Messing gießen und bearbeiten könnten, sei es bequemer, diese Artikel von einem Messinggießer zu kaufen. Natürlich könne man auch vorgefertigte Gehwerke einsetzen, erklärte Mr. Knibbs verächtlich, doch Master Woodburn gehöre zum Glück der alten Schule an. Er lege Wert darauf, dass alle Uhrenteile in seiner Werkstatt zusammengesetzt würden, um die Qualitätskontrolle des fertigen Werks zu garantieren.
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