»Nicht doch, nicht doch«, hielt ihm Preston sofort entgegen, »wir dürfen unseren Mann nicht kopfscheu machen.«
»Sprechen Sie ruhig«, sagte Hornblower, »Sie machen mich nicht kopfscheu, ich habe selbst schon an Pistolen gedacht.«
»Ich muß schon sagen, Sie haben die Ruhe weg«, staunte Danvers.
Hornblower zuckte die Achseln.
»Mag sein. Jedenfalls rege ich mich nicht so leicht auf. Statt dessen habe ich mir durch den Kopf gehen lassen, wie man einen einseitigen Vorteil am besten ausschalten könnte.«
»Leider kann man das eben nicht.«
»Doch, es gibt einen Weg, die Chancen sogar mathematisch genau gleich zu machen.«
Hornblower sah die beiden anderen an und kam endlich mit seinem Plan heraus: »Es werden zwei gleiche Pistolen bereitgelegt, die eine davon ist geladen, die andere ungeladen.
Nun wird gewählt, wobei natürlich weder Simpson noch ich wissen, welche von den beiden Waffen geladen ist. Ist das geschehen, so stellen wir uns mit einem Meter Abstand gegenüber und drücken auf Kommando ab.«
»Entsetzlich!« sagte Danvers.
»Ich glaube nicht, daß das gesetzlich erlaubt ist«, sagte Preston, »denn hierbei käme doch einer der beiden Gegner mit Sicherheit um.«
»Wozu duelliert man sich denn?« sagte Hornblower. »Doch nur um zu töten. Da im übrigen nichts Unbilliges verlangt wird, wüßte ich nicht, was man gegen diese Art des Zweikampfes einwenden könnte.«
»Sind Sie denn Manns genug, das durchzuhalten?« fragte Danvers verwundert.
»Mr. Danvers...«, begann Hornblower, aber Preston fiel ihm eilig ins Wort: »Halt! Wir können kein zweites Duell brauchen.
Danvers meinte nur, daß ihm so etwas wohl schwerfiele. Wir beide wollen den Vorschlag gleich mit Cleveland und Hether besprechen und hören, was sie dazu sagen.«
Innerhalb einer Stunde wußte auch der letzte Mann an Bord über die vorgeschlagenen Bedingungen für den Zweikampf Bescheid. Wahrscheinlich wirkte es sich zu Simpsons Nachteil aus, daß er auf dem ganzen Schiff keinen richtigen Freund besaß, jedenfalls fühlten sich Cleveland und Hether, seine beiden Sekundanten, nicht bewogen, den Bedingungen der anderen Seite ein festes Nein entgegenzusetzen, sondern stimmten ihnen, wenn auch mit einer Geste des Bedenkens, zu.
Mittags ließ Leutnant Masters Hornblower zu sich kommen.
»Mr. Hornblower, der Kommandant hat mich beauftragt, wegen des bevorstehenden Zweikampfs einige Fragen an Sie zu richten. Meine Weisung geht dahin, daß ich mich nach besten Kräften bemühen soll, doch noch eine friedliche Beilegung herbeizuführen.«
»Jawohl, Sir.«
»Warum bestehen Sie eigentlich auf diesem Waffengang, Mr. Hornblower? Soviel ich weiß, handelte es sich doch nur um ein paar unüberlegte Worte bei Wein und Kartenspiel.«
»Mr. Simpson hat mir Falschspiel vorgeworfen, Sir, und das in Gegenwart von Zeugen, die nicht Offiziere dieses Schiffes sind.«
»Auch solche Dinge lassen sich ohne Duell bereinigen, meinen Sie nicht?«
»Wenn sich Mr. Simpson vor den gleichen Herren in aller Form bei mir entschuldigen würde, könnte ich die Angelegenheit als erledigt betrachten.«
Simpson war bestimmt kein Feigling. Er würde lieber sterben als dieses Büßerjoch auf sich nehmen.
»Schön. Wir ich ferner höre, haben Sie für den Kampf recht ungewöhnliche Bedingungen vorgeschlagen, nicht wahr?«
»Sie wurden nicht zum erstenmal gewählt, Sir. Als Beleidigter kann ich jede Bedingung stellen, die nicht als unfair gelten müßte.«
»Wenn man Sie so reden hört, Mr. Hornblower, könnte man meinen, Sie wären ein Winkeladvokat.«
Hornblower begriff sofort, was das hieß. Das Mundwerk war soeben mit ihm durchgegangen, und er beschloß, seine Zunge künftig besser im Zaum zu halten. Jetzt wartete er schweigsam, bis Masters die Unterhaltung fortsetzte.
»Sie sind also fest entschlossen, Mr. Hornblower, dieses mörderische Unternehmen bis zum bitteren Ende durchzuführen?«
»Jawohl, Sir.«
»Der Kommandant hat mir befohlen, dem Zweikampf persönlich beizuwohnen, eben weil er unter so ungewöhnlichen Bedingungen ausgetragen werden soll. Ich muß Sie davon unterrichten, daß ich die Sekundanten ersuchen werde, hierzu alles Nötige zu veranlassen.«
»Jawohl, Sir.«
»Sonst wäre nichts mehr zu sagen. Ich danke Ihnen, Mr. Hornblower.«
Während sich Hornblower zum Gehen wandte, folgte ihm Masters noch viel gespannter mit dem Blick als damals bei seinem Anbordkommen. Er lauerte geradezu darauf, eine Schwäche oder Unsicherheit an ihm zu entdecken, irgendein Anzeichen, das menschliches Fühlen verraten hätte, aber man merkte ihm nichts dergleichen an. Hornblower war zu seinem Entschluß gekommen, er hatte jedes Für und Wider sorgfältig erwogen, und nun sagte ihm sein logischer Verstand, daß es unsinnig wäre, sich nachträglich von irgendwelchen ungreifbaren Gefühlsregungen beeinflussen zu lassen, nachdem man sich einmal kaltblütig für eine wohlüberlegte Handlungsweise entschieden hatte. Die Bedingungen, auf denen er bestand, waren mathematisch als vorteilhaft anzusprechen.
Wenn man in Betracht zog, daß er freiwillig in den Tod gehen wollte, um Simpsons Quälereien zu entgehen, dann war es doch schon ein ganz wesentlicher Vorteil, zu wissen, daß es nun eine genau fünfzigprozentige Chance gab, ihm sogar lebendig zu entrinnen. Sollte Simpson ferner der bessere Fechter oder der bessere Pistolenschütze von ihnen beiden sein, was im übrigen ganz bestimmt der Fall war, dann war die gewonnene Chance von fünfzig Prozent mathematisch wiederum ein Vorteil. Er hatte also gewiß keinen der jüngst unternommenen Schritte zu bereuen.
Allerdings, mathematisch waren Hornblowers Schlüsse unanfechtbar, aber zu seiner Überraschung fand er jetzt plötzlich heraus, daß Mathematik eben doch nicht auf alle Fragen Antwort gab. Er ertappte sich an diesem trüben, dunklen Nachmittag und Abend mehr als einmal dabei, daß ihm aufsteigende Angst zum aufgeregten Schlucken zwang, sooft er sich ausmalte, wie im Grauen des kommenden Morgens eine wirbelnde Münze darüber entscheiden würde, ob er weiterleben durfte oder nicht. Gegen seinen Willen erschauerte er bei dieser Vorstellung jedesmal bis ins Mark. In recht gedrückter Stimmung hängte er am Abend seine Hängematte auf, er fühlte sich ungewohnt müde und fror noch mehr als sonst, als er sich in der feuchtkalten Stickluft des Zwischendecks auszog. Er drehte sich fest in seine Decken ein, um in ihrer Wärme ein wenig Entspannung zu finden, aber der Druck wollte nicht von ihm weichen. Müde wie er war, warf er sich mindestens ein dutzendmal herum und hörte jede halbe Stunde die Schläge der Schiffsglocke. Dabei tobte er innerlich wegen seiner vermeintlichen Feigheit immer wütender gegen sich selbst. Am Ende mußte er sich sagen, daß es im Grunde ein Glück war, wenn morgen sein Schicksal rein vom Zufall abhing, weil er mit aller Bestimmtheit ein Kind des Todes gewesen wäre, wenn er sich nach einer solchen Nacht auf ein scharfes Auge und eine ruhige Hand hätte verlassen müssen. Wahrscheinlich trug diese Schlußfolgerung ein wenig dazu bei, daß er noch für ein paar kurze Stunden Schlaf fand. Jedenfalls fuhr er erst erschrocken hoch, als ihn Danvers wachrüttelte.
»Fünf Glasen«, sagte Danvers, »in einer Stunde dämmert der Tag. Also, reise, reise!«
Hornblower rutschte aus seiner Hängematte und stand im Hemd. Im Zwischendeck war es fast völlig dunkel, so daß auch Danvers kaum zu unterscheiden war.
»Der Erste Offizier stellt uns den zweiten Kutter«, sagte Danvers. »Masters mit Simpson und seinem Verein fahren vor uns mit der Barkaß. Da kommt auch Preston.« Eine zweite Schattengestalt tauchte aus der Finsternis auf.
»Hundekalt ist es«, sagte Preston, »besonders angenehm, wenn man so früh heraus muß. Nelson, wo bleibt der Tee?«
Читать дальше