Und er sitzt erschöpft vorm Monitor, vor einem der Fernsehgeräte in dem großen, kleinen Raum, Licht flackert, Menschen flackern neben ihm, keine Fenster, er trinkt alkoholfreies Bier und einen Kaffee, raucht, hustet, sieht die anderen Monitore aus den Augenwinkeln, Staubpartikel und winzige Geschosse, Fußball, Bundesliga, englische Liga, italienische Liga, Hunderennen, Pferde, und er weiß nicht, ob er in Mitte, am Kurfürstendamm oder in seiner Stadt, im Osten, ist. Irgendwann mal, die Luft riecht nach Erde und Rauch, kommen zwei Typen mit Skimasken und Kanonen. Obwohl er sich fast sicher ist, dass das keine echten Kanonen sind. Er hat doch echte Kanonen gehabt, um das Schwein zu erledigen. Und dann, weil er schon eine Weile nichts mehr trinkt und auch die Kokserei sein lässt, weil er auch so nicht schlafen kann, begreift er einiges. Begreift, dass da was durcheinander war, durcheinander ist, in seinem Kopf, während er sich lang machte und streckte, in der Bahnhofshalle, in der Dunkelheit der Ausgänge Ost und West, in den Straßen, durch die er irrte, unterm Glasdach.
Er gibt Anweisung, das Rohr zu laden. Stickige Luft in diesem verdammten Panzer. Er spürt das Brummen dieses gewaltigen Motors in seinem Körper, in seinem Kopf. Das Geschoss klappert ins Rohr, jemand lädt die Granate, während er die Apparaturen bedient. Der Geschützturm dreht sich und stößt durch die Jahre. Er hört seine Schritte in der Bahnhofshalle. Keine Tauben flattern auf.
«Du musst sie dir ganz genau anschauen, dann erkennst du sie vielleicht.«
«Was denkst du denn, was soll ich denn erkennen auf diesem Foto?«
«Nun schau doch, das ist ein gutes Foto. Wenn man’s laminieren lässt, dann kann’s doch ewig halten …«
«Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich möchte lieber wieder gehen.«
«Nein. Scheiße, nichts ist mit Gehen! Ich hab dich für eine Stunde bezahlt, ich will, dass du jetzt genau hinguckst, dass du ganz genau hinguckst!«
«Es spiegelt bisschen …«
«Nein, nein. Nichts spiegelt. Du musst es nur kippen, so gegens Licht! Schau doch, das ist das Gesicht, das ist ihr Gesicht …«
«Du sagst doch selbst, dass es alt ist …«
«Hör auf mit der Zeit, Mädchen, davon verstehst du nichts. Was soll sich denn da ändern, mit dieser Nase, da kann mir doch keiner …, da kannst du mir doch nicht erzählen, dass diese Nase heute anders aussieht!«
«Nun fass doch ruhig an, fass doch mal an, meine Titten, die sehen heute auch anders …«
«Die sind nicht gemacht, nun lüg doch nicht, die sind nicht gemacht, du kannst mir nicht erzählen, dass die gemacht sind! Und schau doch auf die Nase, schau auf die Nase!«
«Nichts weißt du über meine Titten, gar nichts. Du denkst, dass du was weißt, weil du bezahlst. Dann fick mich doch wenigstens, du blöder Arsch. Und mach meine Titten nicht schlecht.«
«Deine Titten sind in Ordnung, deine Titten sind wunderbar. Du hast wunderschöne Brüste, wunderschöne Brüste …«
Sein Trenchcoat riecht nach Pferd, weil es regnet draußen. Er hat ihn auf den Tisch geworfen. Das Zimmer ist so klein. Wie kann man nur zu Fuß fliehen, denkt er, die Scheine flattern über die Straße, flattern über die Kreuzung, während sie zu Fuß über die Kreuzung fliehen, Richtung Innenstadt. Die eine Knarre war Spielzeug, die andere Schreckschuss, wahrscheinlich aufgebohrt. Das war im Sommer, in jenem heißen Sommer, alle schwitzten, nicht nur die, die rannten. Scheine kleben auf dem Asphalt. Skimasken auf der Haut. Er schwitzt unterm Leder, spürt die Peitsche im Rücken. Und fragt und fragt und kriegt doch keine Antwort.»Hast du noch nicht genug, du Drecksau?«
«Nimm deine Pfoten weg, du Stück Dreck, ich bin nicht schwul. «Kurfürstendamm oder Mitte oder seine Stadt?» Ich wollt sie immer machen lassen, bitte, sag niemandem, dass meine Titten scheiße sind, ich lass sie bald schon machen …, ich hab schon jemanden in Polen, Doc Poland macht mir die Titten …«
«Deine Brüste sind schön, jetzt hör doch auf damit …, die sind …, die sind doch in Ordnung!«
«Du musst mich ficken, sonst ist es nicht richtig.«
«Lass mich, lass mich doch …, du hast doch gesagt, dass du diese Nase vielleicht kennst.«
Ist das Nebel, oder ist er müde? Die Luft ist feucht, als wäre dort ein Fluss hinter den Häusern.»Ich will, dass sie groß sind und dass sie alle lieben. Dass mich alle lieben.«
Er sieht das Mädchen an diesem Imbiss stehen. Sexy Coras Titten schwellen in seinen schlimmen Träumen. Die träumt er am Tag, wenn er in der Straßenbahn sitzt, wenn er im Zug sitzt, wenn er im Waschsalon sitzt und auf das runde Fenster schaut, hinter dem sich sein alter Trenchcoat dreht und im schaumigen Wasser wirbelt. Wie schön das ist.»Ich hab auch einen Schwanz. Willst du meinen kleinen Schwanz streicheln? Mach ihn schön hart, dann fick ich dich!«
«Lass mich in Ruhe, du Ledertier, und sag mir, ob du …«
Wer hat ihm erzählt, dass sie am Kurfürstendamm steht? In der Hauptstadt, von der er nur den Hoppegarten kennt. Er ist neunundachtzig in Westberlin gewesen und hat sich den Trenchcoat gekauft. Er denkt, dass das im KaDeWe war, Kaufhaus des Westens, aber sicher ist er sich nicht. Da war seine Karriere grad vorbei, Pause, dachte er damals noch und saß irgendwann mit einem Beutel Bierbüchsen auf einem Zugklo, Flachmänner in den Taschen, während sie draußen in den Gängen und Abteilen auf- und übereinander lagen, im Zug Richtung Westen. Sie sind zu dritt zum Bahnhof gefahren, zu dieser Höhle aus schwarz gewordenem Granit, dunkles schmutziges Glasdach, Tauben flatterten auf, Menschenmassen an den Gleisen, Klirren und Rumpeln der Züge, und da haben sie sich aus den Augen verloren. Er sieht sie noch an ihrer Hand und stolpert in den Zug. Und auf dem Klo war er nicht allein. Zu dritt hockten sie dort auf- und übereinander, bloß gut, dass er so klein ist, Reiter, Ex-Jockey, und da wollen sie auch noch was von seinem Bier abhaben! Finger weg! Aber nur ’n Schluck … Die Tür ist offen, und die Leiber schlängeln sich zu ihm rein, und Hände greifen nach ihm, und er spürt seine alten Narben, Stürze und Brüche, auf der Kloschüssel. Schwitzend. Und halbnackt.
Was soll er bei den Transen? Was können ihm die Transen erzählen? Wo er doch sein Mädchen sucht. Aber er weiß nicht, wo er ist. Und er weiß nicht, wo sie ist. Sie hält sich an ihrer Mutter fest, krallt sich ins Bein ihrer Mutter, die winkt, und sie winkt, und er dreht sich und wendet sich und windet sich zwischen den Leibern und kann nicht einmal springen, der kleine Mann, der Reiter, der Ex, und im KaDeWe ist er so besoffen, dass er alles für einen Trenchcoat ausgibt. Begrüßungsgeld. Ersparnisse. Und er versucht, sich daran zu erinnern. Und ihm fällt ein, wie er vor den Vitrinen mit dem Schmuck und Diamanten gestanden hat. Was für ein hartes und kaltes und wunderschönes Glitzern.
Weil da doch was nicht stimmt. Mit den Jahren, nach all den Jahren. Weil dreiundneunzig zu achtundneunzig wird. Weil das eine Schwein doch das andere Schwein wird. Aber weit oben drüber, über den beiden Schweinen, den Todeskandidaten, er , den er erledigen muss, aber erst, nachdem er sie gefunden hat; weit oben drüber, in seinem Kopf, seinem Hirn, das anschwillt wie Sexy Coras Titten, sitzt er , der Mann mit dem Plan, der Mann mit dem Geld, Mutter, der Mann mit dem Schmott ist da, jawoll, mein Junge, das weiß ich ja , der die Informationen hat, die er braucht, dreiundneunzig, achtundneunzig, und der ihm vielleicht sagen kann, wo genau er jetzt im Kalender steht, zweitausendeins oder zweitausendzehn, und ob die verdammten Mayas nicht doch recht haben. Weil sich die Luft seit Jahren dunkel und feucht anfühlt, wie ein Acker im Herbst.
«Das ist doch Schwachsinn. Wer braucht diesen Scheiß?«
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