Ich schüttele mit dem Kopf, mehr für ihn.
«Willste ihn als Freund haben«, Sandro Möller fixiert mich,»na, ick mein, würdste mit ihm … also, na … weißt schon …«
Gekicher. Ich gucke Sandro Möller an, direkt auf seine Eiterpickel.
«Na … weißt schon«, nuschelt er.
«Mann, nu lasst ihr doch ma in Ruhe!«So wie Möller vorhin schwingt sich auf einmal Ecki zu meinem Beschützer auf. Ich wünschte, ich hätte einen anderen. Nein. Ich wünschte, ich könnte mein eigener Beschützer sein.
«Hängste denn nie mit andern Leuten rum?«, fragt Ecki, beinahe verständnisvoll.
«Doch«, sage ich.»Manchmal.«
«Ja? Mit wen denn so?«
Ich zucke mit den Schultern.»Kennt ihr nich.«
«Nee? Biste nich öfter bei die komische Wachlowski, ick hab euch doch da ma gesehn neulich.«
«Ja, na und?«
«Na, ick mein, wat willstn da, ick mein, die hat doch ganz schön ein’ anner Waffel, oder?«
«Wieso?«
«Weiß ick doch nich, wieso, aber sagen die doch alle. Ick seh die noch, wie die da damals mit Stucker, na, ick sag nix …«
«Eh, wat denn, Ecki?«
«Sag doch ma!«
«Nee.«
«Wollt die nich heut Abend eintlich mitkommen?«, fragt Toffi.
«Mann, Toffi, biste scharf uff die?«
«Nein, wollte sie nich«, sage ich in das Gelächter hinein. Was war das eben? Mir ist komisch auf einmal. Was als Verteidigung einer Freundin gedacht war, wird zur Verteidigung einer Fremden.
«Na, jeenfalls, wollt ick bloß ma sagen«, Ecki nimmt plötzlich den Blick von mir weg,»jeenfalls, kannst ja uch öfter ma hierherkomm.«
«Keine Zeit«, sage ich prompt.
Wie auf ein Stichwort hin wacht Gniedeck plötzlich auf:»Wieso?«
Ja, wieso? Ich kann doch jetzt nicht noch mit irgendwelchen — nicht existenten — Pflichten im Haushalt oder gar Hausaufgaben kommen.
«Ach, na ja, da red ich eigentlich nich drüber.«
Ich hätte nie gedacht, dass es so leicht ist, von einem Augenblick auf den anderen zur interessantesten Person in einer Gruppe von Leuten zu werden, die sich so recht für nichts interessieren.
«Wieso?«, sagt Gniedeck noch einmal. Vielleicht ist es das einzige Wort, das er nach der Kerzenschlachtung noch zwischen seinen Wortschatzstümpfen aufstöbern konnte. Im Moment ist es für alle das einzige Wort.
«Na los, sag doch!«
«Kannste ruhig sagen, wir erzähln dat uch nich weiter!«
«Is dat wat mit Drogen?«, fragt Börner.
Ich lächle.
«Nein«, sage ich,»mit Hasen. Es is wegen den Hasen.«
«Hasen? Wat denn für Hasen?«
«Züchteste Karnickel, oder wat? Wie mein Opa?«
Sabrina kriegt einen Lachanfall.
«Karnickel!«, sage ich verächtlich.»Wenn ich Hasen sage, dann mein ich auch Hasen, noch nie n Hasen gesehn?«
«In echt?«, fragt Toffi.
Und Ecki:»Nee, im Fernsehn, Mann!«
Alle gackern nur kurz auf, aus Angst, irgendwas Erhellendes zu verpassen.
«Und wat is nu mitte Hasen?«
«Was soll damit schon sein? Fell ab und ab in den Kochtopf. Meine Mutter macht den besten Hasenbraten weit und breit. Schon mal Hasen gegessen?«
«Wie jetz? Wo haste die denn her?«
«Wo ich die herhab? Na, wie stellt ihr euch das denn vor? Dass die mir zugelaufen kommen? Nee, da muss man schon selber was für tun, und da braucht man eben Zeit für. Jede Menge Geduld, ich weiß nich, ob ihr Geduld dafür hättet, kann ich mir eigentlich nich vorstellen. Man muss da auch alleine gehen, sonst is ja gleich der ganze Wald in Alarm. Ich bin oft da draußen, hier quer übers Feld, ich kenn die Stellen. Wo man gut Hasen aufstöbern kann. Meist unter Baumstümpfen.«
«Du gehst uff Hasenjacht?«
«Ja. Sprech ich irgendwie undeutlich?«
«Na, nee, aber …«
Dem guten Ecki dämmerts langsam, dass man noch geilere Sachen machen kann, als an die Blumentapete von nem ausgeweideten LPG-Büro zu pinkeln.
«Mitm Gewehr?«
«Nee-e«, sag ich.»Mitm Messer.«
«Echt?«, fragt Toffi.
Ecki guckt mich nur noch ungläubig und irgendwie auch leicht säuerlich an.
«Na, ich nehm doch kein Gewehr in die Hand. Auch viel zu auffällig. Nee. Man muss sich nur einfach vors Loch setzen und lange genug warten. Irgendwann kommt schon einer raus. Aber man darf da nich dösen. Da muss man nämlich schnell sein, ganz schnell zupacken, und in der andern Hand muss man schon das Messer bereit haben, und dann zack, die Kehle durch. Ein Schnitt, keine Pfuscherei.«
Das Mädchen neben Toffi, höchstens dreizehn, reißt die Augen auf.»Du machst die tot?«
Ich bin kurz irritiert, weil die Betonung auf ›tot‹, nicht auf ›du‹ liegt.
«Na, denkst du, ich führ die an der Leine spazieren?«
Nervöses Lachen.»Und wie viele haste da schon so gefangen?«
«Na, so — vielleicht ungefähr zwanzig.«
«Zwanzig?«
«Na ja, man kriegt ja auch nich immer einen. Paar sind mir auch durch die Lappen gegangen, muss ich ja zugeben. Manchmal fängt man lange keinen. Dann muss eben was andres her, das staut sich sonst so an. Wisst ihr, wie bei Katzen, wenn die lange keine Maus fangen und einem dann in die Hacken krallen.«
«Und wat fängste denn?«
«Na ja, sollt ich vielleicht nich sagen, aber, na ja … wir sind ja hier unter uns. Hunde.«
«Wat?! Du killst Köter?!«Eckis Stimme hat Mühe, nicht im Überschlag hängen zu bleiben.
«Na ja, so würd ich das nich nennen. Is ja auch leichter mit denen, die sind ja zutraulicher. Is euch noch nich aufgefallen, dass es n paar weniger geworden sind im Dorf? Die meisten denken dann ja sowieso, dass ihr Wauwi eben abgehauen is.«
«Mann, spinnst du? Ick könnt dich anzeigen deswegen!«
«Ach, Ecki, tu dir keinen Zwang an. Übrigens hab ich mir Jacquelines Westi schon ausgeguckt, dürfte euch doch recht sein. Aber ich wart noch n bisschen, bis sie ihn richtig dickgefüttert hat.«
Es ist schwierig, nicht als Erste zu lachen. Aber es dauert ein paar Sekunden, und dann macht die dicke Anne auf einmal ganz schnell hintereinander:»Höhöhö!«
Paul grinst vor sich hin. Und ich versuche, nicht zu sehr loszuprusten, das ist auch so eine Anomalie bei mir. Dass ich am meisten immer über die Dinger lachen muss, die ich selber von mir gebe. Börner zeigt mir einen Vogel. Toffi braucht ein bisschen und guckt erst von einem zum anderen, bevor er in die Laute miteinstimmt, die eher wie Reaktionen auf den comic relief in einem Horrorfilm klingen als nach echtem Amüsement. Außer bei Toffi, der sich gar nicht wieder einkriegt.»Köter!«, stößt er immer wieder hervor,»Köter!«Ich mache mir Sorgen, ob er mitbekommen hat, dass der Hasen-Teil dazugehörte.
Ecki grunzt ein bisschen.»Mann, du hast echt ne Macke!«Er guckt vor sich hin, als hätte er irgendwas zu seinen Füßen entdeckt, das seine Gemütsverfassung arg aus dem Gleichgewicht bringt. Dann scheint ihm plötzlich etwas einzufallen, und er grinst.
«Na, jetz weiß ick jeenfalls, warum de mit diese Wachlowski rumhängst. Gleich und gleich gesellt sich gerne, oder wie dat heißt.«
«Ecki! Wo haste dat denn gelesen?«
Sie lachen, lachen wie immer. Ecki, der Anführer, hat die Ordnung wiederhergestellt.
Ich versuche, mein schales Bier in einem Zug auszutrinken. Ich schaffe es nicht ganz, ein Rest bleibt drin. Ein Rest bleibt immer, denke ich. Wieso? Ich grüble, ob mir ein Beispiel einfällt. Es fällt mir keins ein. Im Moment.
Als ich schon Anstalten machen will aufzustehen, denn ich gehe jetzt, jawohl, mit oder ohne Paul, knufft mich auf einmal Sabrina in die Seite. Meine Hand wird kurz gegen die von Paul gedrückt, er reagiert nicht.
«Eh«, sagt Sabrina, ich sehe sie erschrocken an.»Eh, sag ma, du bist doch uch uffm Gymnasium.«
Ich weiß nicht so recht, ob das eine Frage sein soll, vorsichtig nicke ich.
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