Das hat dann noch ne ganze Zeit gedauert, und wir dachten schon, da passiert gar nichts mehr, die kommt nie, und wir haben schon gar nicht mehr die ganze Zeit dadran gedacht, und Onkel Helmut haben wir nicht mehr besucht, weil der jedesmal bloß davon gequatscht hat und immer gesagt hat:»Die kommt!«, und gegrinst hat.
Aber dann war sie doch auf einmal da. Onkel Helmut hat uns angerufen. Mutti hat zu ihm gesagt:»Spinnst du, das geht nicht«, und so, aber Onkel Helmut konnt es der Tante ja schlecht verbieten, was er zu Mutti auch gesagt hat und weshalb sie dann den Hörer aufgeknallt hat und gesagt, dass Helmut für sie ein für allemal gestorben wär. Und kurz danach ist die auch tatsächlich bei uns angerückt und hat gesagt, wir sollen» Tante Rosalind «zu ihr sagen, da musst ich lachen, aber sie hat nicht gemeckert. Sondern mir was zum Naschen geschenkt und ein dunkelblaues Kleid, das mir eigentlich schon zu klein war, aber ich hab das trotzdem immer angezogen, solang es ging, obwohl ich sonst Kleider gehasst hab, aber das hab ich mir immer angepellt, nur zu Hause natürlich,»damit kannst du doch nicht rausgehn«, hat Mutti gesagt, bis der Reißverschluss geplatzt ist, und dann kams aber auch sofort weg. Noch mehr hab ich Thorsten um seine Mütze beneidet, so eine karierte, aber der war nun erst beschissen dran, weil draußen durfte er die auch nicht aufsetzen, und drinnen mit Mütze, na ja. Zum Glück kam dann die Wende. Aber das hat ja da noch keiner geahnt, und dann saß da diese Westtante bei uns in der Wohnstube, und das ganze Dorf wusste schon Bescheid.
Aber wo sie nun schon mal da war, haben Mutti und Vati sich wohl so gedacht, können sie ihr auch ihre Schätze zeigen, schließlich war sie die einzige Gelegenheit weit und breit. Das wurde uns ja auch jeden Tag eingeschärft, dass wir das ja keinem erzählen sollen, was wir für Musik zu Hause haben, weil sonst Mutti und Vati vielleicht nicht mehr arbeiten dürfen und vielleicht ins Gefängnis müssen und Thorsten und ich ins Heim. Zum Glück brauch ich das keinem zu erzählen, hab ich gedacht. Aber manchmal hab ich mir versucht vorzustellen, wie es wohl so wär im Heim.
Jedenfalls haben sie dann Tante Rosalind ihre ganzen Beatles-Platten unter die Nase gehalten und waren mächtig stolz dadrauf, die wollte aber, glaub ich, gar keine davon hören.»Über das Alter bin ich ja nu schon raus, nech«, hat sie gesagt. Oma hat sich gut mit ihr verstanden,»das is ne feine Frau«, hat sie zu mir gesagt, mit der würde sie endlich mal ordentliches Deutsch reden können, und die würde das gar nicht komisch finden. Ich hab mich bloß gewundert, woher Oma die Westsprache kennt.
Ich glaub, die ist gar nicht so lange geblieben, höchstens zwei Tage oder so, aber jetzt im Nachhinein kommt mir das wie ein endlos langer Besuch vor, weil wir alle die ganze Zeit nicht wussten, was wir eigentlich machen sollen, wir konnten ja nun auch nicht mit ihr die Dorfstraße rauf und runter. Thorsten und ich haben MENSCH-ÄRGER-DICH-NICHT mit ihr gespielt und sie hat uns gefragt, wann wir Geburtstag haben und Mutti und Vati. Mutti hat dann zum Schluss zu ihr gesagt, dass sie uns auf keinen Fall Pakete schicken soll, aber die hat das wohl irgendwie falsch verstanden.
Und so war dann das Ende vom Lied, dass kurz vor Muttis Geburtstag ein ganz flaches Paket ankam, von Tante Rosalind, und dadrin war eine Beatles-Platte, ich glaub, Help!. Da war das Theater erst groß! Aber was wollten sie machen. Das Dilemma war nur, als Mutti die Platte ganz vorsichtig aus der Hülle genommen hat, ist sie auf einmal in zwei Teile auseinandergefallen. War ja klar, was passiert war, wahrscheinlich hatten die bei der Post irgendein schweres Paket da draufplumpsen lassen, nur dass Mutti jetzt dachte, dass die das extra und mit Absicht und» aus purer Missgunst «gemacht hätten. Die hat total verrückt gespielt, die ganze Zeit rumgeheult, dass mir am Ende auch ganz komisch wurd und ich beinah mitgeheult hätt, dabei war ich ja eigentlich froh, sozusagen. Sie hat sogar versucht, die wieder zusammenzukleben, aber ging natürlich nicht, schon gar nicht mit KITTIFIX. Aber ich seh sie da noch sitzen, ganz steif, mit den Ellbogen schräg nach außen, und die beiden Plattenteile aneinandergepresst, und man durfte nichts sagen. Ich musste mir so das Lachen verkneifen, besonders als nach einer Stunde Rumsitzen und Zusammenpressen das Ding dann wieder auseinandergeklappt ist, als sie losgelassen hat! Hat die geheult, vor Wut!
Ansonsten wahrscheinlich Schwarzmarkt. Aber die mögen da bis heute nicht drüber reden, zumindest nicht mit mir,»das is ja nu vorbei, Gott sei Dank«, sagen die maximal dazu, als wenn die Schiss haben, dass da jetzt noch einer kommen und sie irgendwie dafür belangen könnte, oder als wenn ich das nun immer noch rumerzählen könnte,»aus purer Missgunst«! Sieht ja jetzt fast so aus, als ob sie Beweisstücke aus dem Haus schaffen. Ich versteh das nicht. Ich mein, wozu denn erst der ganze Aufwand. Und ein Akt war das immer, wenn Vati wieder mal sonnabends nachmittags noch nach der Schule nach Berlin gefahren ist, was man denn auch wieder keinem erzählen durfte. Und dann kam er mitten in der Nacht zurück, ich konnte nie einschlafen, bis er nicht zurück war, obwohl er ja doch nie was andres mitgebracht hat als eben irgendeine neue Beatles-Platte, und manchmal nicht mal das. Die haben sie dann immer gleich noch nachts gehört, und ich hab das auch gehört, und auch, was sie da nebenbei gemacht haben, und morgens gabs Frühstückseier und Kuchen und die Beatles und ich hab auf mein Ei und meinen Kuchen geheult, vor Wut, weil ich mir nun für die nächste Zeit sämtliche Wünsche, die ich so hatte, gleich» abschminken «konnte.
Für was andres hatten die nie Geld übrig. Die andern kriegten ein Monchichi aus dem Intershop, und Sarotti-Schokolade, bei uns gabs zu Weihnachten Unterwäsche, Garnituren.»Na, gefällt dir die neue Garnitur?«Ich krieg Ausschlag bei dem Wort! Und Strumpfhosen! Und die Beatles, sogar unterm Tannenbaum. Ich wollte WEIHNACHTEN IN FAMILIE von Frank Schöbel, den mochte ich. Aber das war nur für die andern, für uns gabs was Besondres, das hat nicht jeder, yeah, yeah, yeah. Mutti hat versucht, mit mir zu tanzen danach. Ich bin weggerannt. Dieses Glänzen auf ihrem Gesicht, und wie sie Vati dann angeguckt hat. Ich hab mich geekelt vor diesen Typen, vor ihren doofen Frisuren. Mir war das irgendwie peinlich, ich hab mich richtig geschämt. Für Mutti und Vati, aber eigentlich noch mehr für mich selber, ich hab gedacht, wie bekloppt muss man sein, um so bekloppte Eltern zu haben, oder so ähnlich. Manchmal hab ich ja gedacht, das sind gar nicht meine Eltern, und das war sogar noch, bevor Vati das damals zu Mutti gesagt hat, und da hab ich noch gedacht, sie haben mich aus irgendeinem Heim geholt, und Thorsten erst recht.
Ich wusste nie die Titel der Songs, ich war die ganze Zeit bloß damit beschäftigt, ihre klebrigen Melodien aus dem Kopf zu kriegen, diese Texte, die ich auswendig konnte, bevor ich sie überhaupt kapiert hab, da wars dann eh schon zu spät. Ich versuch ja immer noch, morgens aufzuwachen und sie nicht singen zu hören in meinem Kopf, die haben ihre verdammte Band da reingebeamt oder was weiß ich.
Da habe ich mich also entschieden, den Vorstellungen der Leute vom Leben eines Pastors doch noch Genüge zu tun. Allzu leicht aber wollten sie es mir nicht machen und haben mir Steine aufgehäuft auf dem Wege der Rechtschaffenheit, der erste Stein aber heißt Misstrauen, denn sie trauen dem Worte Gottes nicht aus dem Munde eines städtischen Studierten, der zweite Stein aber heißt Missgunst, denn sie vergönnen dem Pfarrer nicht das Pfarrhaus, alldieweil es schon anderweitig behaust ist, der dritte Stein schließlich heißt Missbilligung, denn sie billigen nicht die Wandelhaftigkeit ihres Hirten, der zunächst Mutter und Vater verließ, um einem Hirtenweibe anzuhangen, und dann das Hirtenweib verließ, um seine Schafe alleine zu weiden, so dass man der Vermutung anheimfallen könnte, dass auch seine Schafe einst eine verlassene Herde sein würden.
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