Die Frau, die Katahomenleandraleal den Zugang zu solcher Kunst gelegt hatte, sah die Lichter blitzen, als die Nacht hereinbrach, und kauerte, nun doch etwas ängstlich, zwischen Schlingpflanzen, die andere Schlingpflanzen umschlangen.
Ein Tier sah zwischen dem smaragdenen Krautvorhang zu ihr herein.
Seine Augen leuchteten wie kleine Glutkohlen, seine Meißelzähne wie Eis im Dunkeln.
Es war ein dicklicher Nager.
«Was… passiert da?«fragte die Frau, als das Tier anfing, sie zu beschnuppern.»Was macht ihr?«
Die Tiere hier, wußte sie, konnten reden, auch wenn sie keine Gente waren.
«Verkehrswege«, sagte das Tier, das ebensosehr dazu da war, die Frau in ihrem Versteck zu beschützen, wie dazu, sie am Davonlaufen zu hindern,»werden optimiert. Es wird… 'ne neue Stimmung vorgenommen.«
«Stimmung.«
«Ja, na ja: Wie wenn man ein Klavier stimmt. Katahomenleandraleal wacht aus der Versenkung auf. Aus der Bedenkzeit. Will den Wettbewerb anheizen zwischen öhmm spontaner Energieemission und Försterschem Energietransfer, in allen biologischen Systemen. Katahomenleandraleal stimmt sich den Dschungel besser.«
«Energie…«
«Es geht schlicht darum«, zahnte das Mahlzahnfrettchen keck,»wie erregte Moleküle wieder abgestellt werden können, wenn sie ihre Aufgabe versehen haben.«
«Erregte Moleküle«, sagte die Frau und leckte sich salzigen Schweiß von der Oberlippe.
«Ja. Das kann entweder durch resonante Energieübertragung zu einem anderen Molekül geschehen, in Gestalt spontaner Emission eines Photons, oder indem die Deaktivierung nichtradiativ, also nicht strahlend, erreicht wird. Diese beiden Verfahren stehen miteinander im Wettbewerb, überall in der Biologie. Der fluoreszente Resonanzenergietransfer wird seit Jahrmillionen in Prozessen wie der Photosynthese eingesetzt. Die Vorfahren — hihi, deine vor allem, meine weniger — haben ihn auch benutzt, um biologische Sonden zur Analyse gewisser heikler Prozesse einzusetzen, die Interaktion zwischen Proteinen zu erhellen oder Abstände im Nanometerbereich zu messen…«
Die Komponistin schwieg, sie dachte: Das hast du also aus meinen Erläuterungen gezogen.
Arbeitsteilung.
Du machst Tiere zu Fachidioten. Na schön: Wenn's der Wahrheitsfindung dient.
Die Frau vermochte nicht (und verspürte auch keine Neigung dazu), sich als die Nachfahrin von Personen zu sehen, die irgend etwas analysierten, verstanden, beeinflußten. Sie sah sich eher als verspätete, verzettelte, verlorene Angehörige einer Art, die fast vollständig von der Planetenkruste vertilgt worden war, weil sie sich einfach nicht aufs Überleben konzentrieren konnte. Charmant, im Grunde. Liebenswert täppisch, ein bißchen läppisch. We're alright, in our own peculiar way .
Daß einige von dieser Sorte fortlebten in der neuesten Welt, war eine zweifelhafte Gnade, die sie ein paar von ihnen selbst ganz und gar nicht analysierten, verstandenen oder gar beeinflußten Zufällen verdankten. Das hatte sicher viel mit Mikroprozessen, molekularen Leitern und ähnlichem zu tun, wovon das Tier gesprochen hatte. Weiß der Satan.
Es musterte sie, als es fertig war, ein Weilchen, nicht abschätzig, nicht mitleidig, mit diesen Brikettäuglein.
Dann sagte es:»Schauen Sie sich mit Ihren Kindern nur Programme an, die auch für ihr Alter geeignet sind.«
Die Frau atmete schnaufend aus, erschöpft und ein wenig beleidigt. Dann sagte sie:»Weißt du was, ich schau mir nur Programme an, die für schwule Triebtäter im Seniorenalter geeignet sind. Nicht, daß du oder sonst ein lebendes Geschöpf verstehen könnte, was das heißen täte.«
«Miese Grammatik«, rügte der Nager. Dann verschwand seine scharf gezeichnete Maske im pechschwarzen Wildwuchs.
Die Frau dachte an Leute, die es nicht mehr gab, und eine ganz besondre Person.
Irgendwann schlief sie ein. Da träumte sie von Farnfächersekret aus Frauenleibern, von klaffenden Wunden, von orangeroten Booten mit lahmgelegten Motoren und von silbernen Menschen, die sich darin zusammendrängten, um gemeinsam, weil sie keine Wahl hatten, ein öliges, giftiges Meer zu befahren. Geh zur Ameise, mahnte der Himmel, der flimmerte, du Faulpelz, lern von ihrer Emsigkeit, sei gefälligst weise. Die Ameise ist ein Kentaur in ihrer Drachenwelt. Dies hier ist nur eine Gutenachtgeschichte, die dir durch deine lange Ohnmacht hindurchhelfen soll, denn wenn du morgen aufwachst, wirst du kämpfen müssen.
Ein Flaum, wie er auf den längsten Sätzen der Dichter liegt, bildete sich auf ihren geschlossenen Augenlidern. So sah sie nicht die Wechsel der Beleuchtung, die sie zu früh hätten erwachen lassen. Ihre Hirnphysiologie war primitiv: Erwachen durch Dämmer kam ihr natürlicher vor als Erwachen durch Laute; ähnlich wie ihr Verstand leidigerweise eher dazu geeignet war, an Götter zu glauben, als dazu, die zutreffenden Behauptungen der Wissenschaften zu verstehen.
Im Gras und in den Blüten um sie, in Rinden und Blättern kam ein Vibrieren auf, das die Schlafende endlich weckte. Es war Katahomenleandraleal, die sich allen und allem erklärte:»Ich weiß jetzt, wie mein Leben geht. Ich bin eine Frau, ich bin weiblich, meine Verkörperung hat die erste Formentscheidung getroffen.«
«Platonisch, hm?«Das Menschenweibchen rieb sich vergnatzt den Schlaf aus den Augen.
«Alles andere als das«, sagte die Göttin.
Insekten zeigten auf eine freie Moosfläche; da stand ein hirschrückenbraunes Ledersofa. Die Frau stakste, noch leicht benommen, dorthin und streckte ihre starren Glieder darauf aus. Sie sah durch die wenigen Lücken im Baumbewuchs in den Himmel hoch; alles war jetzt wieder möglich.
«Du bist zufrieden, ja?«schmeichelte die Gottheit der Menschenfrau.
«Du auch?«Keine schlechte Gegenfrage.
«Ja. Ich weiß jetzt mehr über mich als zuvor, das gefällt mir. Ich habe ein Geschlecht und hatte zuerst schon einen Namen und habe immer noch keine Spezies, zu der ich gehöre und die sich von Blutes wegen zu mir bekennt. Es gibt weiterhin Arbeit. «Die angenehme Altstimme wummerte bis tief in die Knochen der Frau auf dem Sofa.»Und ich will mich bei dir bedanken. Ich weiß, daß du das nicht erkennen kannst, aber in manchem bist du mir überlegen. Bedenke das Wunder, daß du zuerst eine Spezies hattest, zu der du gehörst und die sich von Blutes wegen zu dir bekennt, und dann ein Geschlecht, und dann erst einen Namen.«
Schweigen.
«Einen Namen«, wiederholte Katahomenleandraleal,»und ich kenne ihn nicht. Wie soll ich dich nennen?«
Bei den Gente, unterm Löwen Cyrus Iemelian Adrian Vinicius Golden, dachte die Frau, würde mich das niemand fragen. Wann, fragte sie sich, haben wir das verspielt, wir Menschen, daß man uns beim Namen nennt? Wer hat uns eigentlich den alten Auftrag aus der Hand geschlagen, uns die Erde untertan zu machen und alles zu benennen, was da kreucht und fleucht, ein jedes nach seiner Art?
Sie erinnerte sich noch an den Zensus, die Umstände, die man sich gemacht hatte: Insekten, nachts angelockt und abgesammelt mit Lichtfallen, mit Insektizid eingesprühte Baumkronen, um die Käfer zu erwischen — tot prasselten die Kerbtiere in die aufgespannten Netze —; an Löwen und Geparden, in der Savannenhitze fotografiert von offenen Geländewagen aus, einem System paralleler Linien folgend; an die Vogelkopfsteuer, Schnecken im Eimer… und jetzt, fand sie, bin ich am Ende einer Mauer angekommen, von der ich nie gedacht hätte, daß sie ein Ende hat. Soll ich um die Ecke linsen?
Jetzt hab ich eine Göttin, zu der gehöre ich. Eine neue Verkörperung, Geburt und Wiedergeburt, wie sagten wir doch, als ich noch katholisch war: Ave verum corpus .

Natürlich, ich erinnere mich, Musik von Mary Beth, Musik von Elgar. Chor der Worcester Kathedrale. Chor der Keramik. Ecce opus . Belebende, frei flottierende Organpanik, somatischer Kontrapunkt… sie gab Antwort, im Polytopdschungel, auf dem Sofa, und schlang die Arme um sich selbst:»Du kannst mich Späth nennen. Nenn mich: Frau Späth«, und sie dachte: Geometria una et aeterna est in mente Dei refulgens .
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