«…des Untergangs«, beendete Dmitri lächelnd den Satz. Dann wandte er sich für einen Moment vom Spiegelschirm ab und seinem Getränk zu.
Der Wolf war dankbar für die Klimaanlage, die ihm nach Trockeneis schmeckende Luft zuführte.
Er hatte sich vorgenommen, die schummrige Hotelbar wenn möglich bis spät in die Nacht nicht mehr zu verlassen und dann allenfalls ein, zwei Stündchen durch die engeren der Borbrucker Gäßchen zu streifen, auf der Suche nach Hinweisen aufs Meinungsklima, die der Löwe gebrauchen konnte.
Das Hotel war ein glasbetonierter zylindrischer Riegelrundbau, über eine Brückenaufhängung in den Stadtkern integriert, orthogonal zum Benzolring. Die meisten Gäste dieses wie der übrigen zentralen Hotels hielten sich wegen der ersten Verlautbarung der Reformstiftung in Borbruck auf; ganz wie Dmitri Stepanowitsch selbst.
Er war inkognito gekommen, ohne riechbare Diplomatenkennung. Umsichtigerweise hatte er überhaupt noch niemandem, mit dem er nicht unmittelbar zusammenarbeitete, auf die Nase gebunden, daß er vor einem halben Jahr mit dem Weltenbummlertum abgeschlossen hatte und in die Dienste des Löwen zurückgekehrt war. Borbruck sollte nur die erste Station auf der neuen geheimdiplomatischen Reise sein. Sein eigentliches Ziel war Landers.
Der Barkeeper, ein Stromfrosch aus den Sümpfen hinterm Vorortgürtel von Kapseits, interessierte sich so gut wie gar nicht für die Liveübertragung der Rede des Zanders, sehr dagegen für die Geschichte der brenzligen Abenteuer des Wolfs, die dieser, teils wahrheitsgemäß, teils wild zusammengelogen, im Tausch für die inzwischen vierte Runde» aufs Haus «zum besten gab. Sie war das Aufregendste, was der Frosch zu hören bekommen hatte, seit ein Habichtsmädchen aus dem Isottatempel von Kapseits einmal sturzbetrunken bei ihm erschienen war, sich in die Bewußtlosigkeit weitergesoffen und auf dem Weg dahin einen stockend deliranten Monolog in seinen aufgestellten Kragen gelallt hatte, den er bis heute nicht vergessen, aber auch nicht verstanden hatte:»Das…Wetzelchen ist der Weg, aber der… Weg ist nicht das Wetzelchen… wir… wir… die Kirche hat wird… wird, wir… es wird… Wetzelchen wird im… weder im, wo nicht, wo der Fuchs nicht nirgendwo überall ist, wo… weil der, der ist nirgends und über, überall ist der… aber das… das Wetzelchen ist weder nirgendwo noch überall sondern… eben da wo im Gegenteil, im Gegenteil vom Fuchs…«
Hauptsache Nachschub:»Komm, mach noch einen.«
«Klar, sicher. Und dann?«fragte der Frosch und schenkte ätzenden Krautschnaps ein.
«Gut, also, der Hafen, weißt du«, holte Dmitri gedehnt aus,»der Hafen stand zu dem Zeitpunkt ja schon seit zwei Tagen und Nächten in Flammen. Hätt ich gewußt, worauf ich mich einlasse, ich wäre lieber noch ein bißchen im Gebirge geblieben.«
«Wo du den Fallensteller gerissen hast?«Der Frosch rekapitulierte, was der Wolf ihm erzählte, alle zehn Minuten, mit drolligem Eifer. Dmitri schleckte nach dem guten Gift im Glas, dann fuhr er fort:»Mmpf, also. Da an den Docks, die Horden… konnten mich nicht verängstigen. Wer waren die schon? Bettler, Bananenpacker und andere Tagelöhner, die den Kadaver dieser Riesenfrau glotzend und ungläubig umstanden. Ich gucke also hoch, und was seh ich hinterm Feuerschein?«
«Was siehst du?«
«Einen Streifen Blau. Ein Licht. Ein Zeichen, denk ich mir. So eine Art Bann, eine spukhafte Hausrechtsbehauptung. Gefährliche Geister. Aufgesagt von den Insekten, weißt du…«
«Solche, wie Madame Livienda war?«
«Richtig, diese Art.Das kannten die da nicht, aber bei uns weiß man… na, waren ja alles Bauern gewesen, bevor sie in die drei Städte gekommen sind. Verzweifelt geradezu, was ihre… ich meine, die wollten unbedingt zeigen, daß sie auf dem laufenden waren. Jeder kannte meine Feuermarke, niemand kannte mich. «Er ließ sich vom Frosch, passend dazu, einen krummen Zigarillo anzünden.
«Na und dann?«
«Ja, was? Die Insekten hatten ihre Rechte geltend gemacht. Der Pöbel glotzte. Unfreundlich, knurrend, um den Eindruck zu verstärken, den sie von mir gewonnen hatten, wandte ich mich ab. Erreichte auch ohne ihre Hilfe den Hafenabschnitt, den ich suchte.«
«Wo die Traumtanker anlegen.«
«Ja.«
«Hattest du die Mittel? Ich meine, für den Zugang, für die Passage?«
Der Wolf antwortete mit gepreßtem Schnauben, er fand die Frage lustig.»Ich hatte Karten. Tauchte meinen teuersten Trumpf ins kalte Wasser, zum Aufladen, du kennst die alten Akkukärtchen, Izquierdafabrikat. Auf Plastahl, aber magnetisiert. Fraß erst mal etwas rohen Fisch, versteckte mich, als der Zugang bezahlt war, ein paar Tage in einem der Tanker, um mich zu regenerieren.«
«War's ein sehr großer?«
«Einer von diesen Mehrhunderttonnern. Ehemalige britische Rohöltransporterflotte.«
«Stolze Schiffe.«
«Pff. Lag im dunklen Eck. Hab mich ganz schön geschüttelt, bis die Verbindung stand und die Alpträume abklangen. Aua, weißt du: Weh mir, ich armer Wolf. Diese Nummer.«
Der Frosch lachte.
«Aber was denn, auch egal. Ein eiserner Käfig, schön. Ich kümmerte mich lieber um den Innenraum meiner eigenen… na, im Kopf, verstehst du.«
Der Frosch nickte voll Respekt: Innenraum, Quantenprozessoren, zweite Generation, das Erlesenste vom Seltenen. Was für ein Wolf, sagte das aufgesperrte Maul des Frosches tonlos, was für ein Held.
«Ich hab mir später die Aufzeichnung geben lassen… verängstigt starrten mich die Wächter an, als ich die Iris… bei der Passage. Flüstern, nur ja nichts Falsches sagen. Dann der falsche Himmel, die üblichen zeremoniellen Sachen, wie im Isottatempel eigentlich… ich kannte das alles, bißchen pantheresk war der Avatar, gar nicht mal wölfisch, und ansonsten, wie sagt man? Humanoid.«
«Daß sie das nicht ändern…«
«Wozu? Ein bißchen Tradition wollen wir dulden, oder?«
«Ich weiß nicht. Das hat was Antileonisches!«murrte der Frosch.
«Antileonisch, hö, kannst du nicht haben, hm?«zog Dmitri ihn auf.
«Ich bin«, sagte der Frosch,»strikter Legitimist: Wenn ich nichts für den König tun kann, tu ich lieber gar nix.«
Du bist, dachte der Wolf, strikt Frosch: Wenn du mal tatsächlich irgend etwas für irgendwen tun mußt, platzt du bestimmt. Der Forsch schenkte nach; Dmitri Stepanowitsch fuhr fort:»Hab mich herrisch aufgeführt. Seien wir ehrlich, nichts Besseres verdient dieses Pack. Werkzeug fürs Schlachtopfer, die vierte und fünfte Pforte, das haben sie mir nebenher noch gezeigt, eigentlich krude. Dann bin ich weiter. Die von den Leuten mir aufgezwungene Kartencodierung, während der Leerung der Akkus angenommen, hatte ich auch später noch lange dabei, wieder an Land. Den Schakalstreifen haben sie mir ausgehändigt. Sollte eine Anspielung sein, nehme ich an. Kein guter Witz.«
«Eine Frechheit«, fand der Frosch.»Ich meine… einem Wolf gegenüber, der schon im Präferenzgebirge war.«
Ein lässiges Abknicken des rechten Wolfsohrs sagte: Ist mir gleich. Dann gähnte Dmitri und fand den Faden wieder:»Ich habe neue Formen ausprobiert, neue Gestalten, während der Reise drüben, durch den Hallraum. Mich da drinnen, im Kopf, sozusagen komplett runterrasiert auf eine… Grundform: ein konkaver Wolfskörper ohne Haare. Fing dann an, nur noch Milch zu trinken. War achthundert astronomische Äonen subjektiver Zeit dort drin, bis man mir den Schakalstreifen endlich in einen bessere Kartencode umgetauscht hat.«
«Einen neuen Trumpf wahrscheinlich, hm?«
«Pik-As. Ich suchte und wußte, daß ich zugleich von den, na ja, lebendigen Sicherungen des Systems selber gesucht wurde — die alte Nummer: Je suis fait pour enregistrer les signaux. Je suis un signal .«
« Un orphéeisme d'un ordre de magnitude que …«, gab sich der Frosch gebildet.
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