Die neue Akademie für Kladismus, Taxonomie und Gametenrecht wurde als wassergefüllter, mit allen nötigen Druck-, Nahrungskreislauf- und Lichteinrichtungen versehener Torus aus Fruchtglas unterm Benzolring ins Borbrucker Trägerbrückengeflecht eingepaßt.
«Meerestiefen, mitten in der Stadt!«schwärmte das omnipräsente Laufschwein in der Woche des Montagebeginns. Dann zog sich Hébert Loskauf eine Weile ins Kleinklein der präliminarischen Ausschußarbeit zurück und blieb schließlich selbst den orgiastischen Festen fern, für die ein großer Teil des Liviendaschen Werbebudgets im ersten Jahrfünft nach der Rückmeldung der ehemaligen Löwengattin verwendet wurde.
Die Bauzeit für den Torus betrug siebzehn Jahre.
Als sie beendet war, konnten die Atlantiker und einige wenige Kroyphäen aus anderen Lebensräumen, die mit ihnen intellektuell Schritt zu halten vermochten, in ihr neues Borbrucker Hauptquartier einziehen und das Titanenwerk in Angriff nehmen.
Geduldig saß Hébert Loskauf zwei volle Schweinealter in seinem Dachgarten unter den leuchtenden Kupferwolken auf der Südkante des Benzolrings.
Etwas regte sich von Zeit zu Zeit in seinen Ohren. Dann redete er, ohne daß sich seine Lippen merklich bewegten, mit der fernen Herrin. Wenn sie ihn fragte, wie es voranging, sagte er Sätze wie:»Ich bin zufrieden. Ich erlebe etwas Bedeutendes hier. Ich höre der Corioliskraft, der Abwärme, den Scherkräften, den Zugkräften, den Druckkräften, der Schwerkraft, dem Elektromagnetismus, der starken und der schwachen Kernkraft dabei zu, wie sie überschüssige Zwischenzeit aus dem Wohn- und Arbeitsbereich der Atlantiker pressen. Ich sehe, wie alle Kraftvektoren der Natur Übersprungsbeschlüsse der Unterausschüsse aus den Dokumentationen herausflensen und den Augenblick immer näher heranholen, an dem die zentrale Koordinationskommission ihre Funde und Urteile verkünden wird.«
«Wenn das so ist«, flüsterte die Stimme Liviendas, die niemand hören konnte außer Hébert,»dann bin ich ebenfalls zufrieden.«
Ohne Mandat verfolgte Hébert, wenn er schon mal da war, mit detachiertem Amüsement die seltenen Nachrichten vom auffälligen Verhalten der Herrschertochter Lasara.
Die Klatschplattformen der Pherinfonportale lebten seit einem Dutzend aufgeregter Sommer von nichts anderem als den Parties, Drogendelikten, Selbstverstümmelungen, Affären und theoretischen Leistungen des Wunderkindes, das sich im Okkasiviertel von Kapseits niedergelassen und sich in teils rührender, teils besorgniserregender Parodie der Vita ihrer Mutter mittels mehrerer Heiraten, Scheidungen, Identitätskollusionen, Partialabspaltungen und Rekombinationsmanöver viele extreme Erfahrungen und einige neue Namen zugelegt hatte.»Sie heißt jetzt Lasara Iemelian Oktet Chukwudi Ottobah Sandra Belle Placide Lais Olbers Vinicius Golden«, verriet Hébert seiner fernen Herrin.
«Wenn das so ist«, erwiderte sie, und es klang ihm inzwischen wie ein Wiegenlied,»dann bin ich darüber ebenfalls zufrieden.«
Lasaras Leben mochte ein einziger Unfall sein, ihre geistige Laufbahn war alles andere.
Nachdem sie mit einer makellosen Herleitung der» Abweichungen der Wirtschaftszyklen des befreiten Tierreichs von den national- und globalökonomischen Gesetzmäßigkeiten der Vorfahren während der Langeweile unter besonderer Berücksichtigung der eingetretenen Ungültigkeit des Okunsabyoschen Gesetzes von der Elastizität der Ratio des tatsächlichen zum möglichen produktiven Output eines gegebenen Erzeugungsraums «die Adlermedaille der wissenschaftlichen Gesellschaft des IV. Aedilskonzils gewonnen hatte, warf sie sich auf die Biologie.
Hier erwarb sie sich zunächst höchste Verdienste um die Renaissance der Idee der Orthogenese, ging dann zu deren politischer Nutzanwendung über, mischte also eine Weile unter atemberaubender Steigerung ihrer persönlichen Skandalrate in den obersten Rängen der polyarchischen Partei mit (mehrere Verhaftungen und demonstrativ harte Strafen im Zusammenhang mit Pielapielpalastbesetzungen, Pherinfonverkehrsdisruptionen und anderen Akten zivilen Ungehorsams, darunter der Organisation einer dreiwöchigen Massenblockade zweier Dachskasernen im Umland von Kapseits, waren die Höhepunkte ihres Engagements).
Als der dissidente Dachs Oudemans Dahl sich auf einer Sitzung des Parteivorstands mit donnerndem Groll gegen» pueriles Hysterietheater «und» reiche Schnepfen, die uns als Vehikel für ihre abstoßende Selbstinszenierung mißbrauchen «aussprach, lachte sie ihm ins Gesicht und erklärte formlos ihren Austritt aus der Partei:»Wißt ihr was? Leckt mich, ihr Leichen.«
Als ihr Ruhm nicht mehr steigerungsfähig schien, ließ Lasara ihren zahlreichen Bewunderern in allen einschlägigen Programmen der Schwingspiegel, Schirme, Blätter, Datenschaumkronen und Pherinfoplexe ausrichten, sie habe sich» im Beobachterparadox verfangen: Wir können nicht sehen, wie Gente sich aufführen, die von niemandem gesehen werden, und deshalb lege ich jetzt meine Namen eine Weile ab, auch mein Gesicht, das ihr alle dauernd küssen oder ficken wollt, und suche mir eine neue leibliche Konfiguration. Es ist nötig geworden, daß ich mir eine Weile selber aus dem Weg gehe.«
«Sie macht's, wie's ihre Mutter gemacht hat«, dachten und sagten viele.
7. Ob man der Tochter trauen sollte
Zwischen dem siebzehnten und dem achtzehnten Esprit-Fest, das Hébert Loskauf als besonders geehrter Gast der Hunde, der Katzen und ihrer gemeinsamen Ziehkinder in Borbruck verlebte, hatte das Laufschwein eine folgenreiche Begegnung: Die Libelle Philomena sprach bei ihm vor. Sie überbrachte eine Warnung des Löwen:»Livienda kann machen, was sie will, mit ihrem Vermögen und auch sonst. Aber das Unternehmen könnte sich als ein riesiger Mühlstein um ihren Hals herausstellten — der Reifen, den sie den Fischen gebaut hat, ist am Ende einer, durch den sie selbst springen muß, wie ein dressierter Pudel.«
Hébert Loskauf gab sich unbeeindruckt:»Ob ich dieses Zeug überhaupt weiterleiten will, weiß ich nicht. Das Motiv für die Drohung scheint mir allzu durchsichtig.«
«Drohung?«
«Er hält ihr vor, daß sie ihr Vermögen, auf das er keinen Zugriff mehr beanspruchen darf, zum Fenster hinauswirft, weil sie damit eine Aufgabe in Angriff genommen hat, vor der er sich seit Ewigkeiten drückt. Die Gente, Frau Libelle, fangen schon an, sich zu fragen: Warum muß eigentlich eine zurückgetretene Ministerin aus eigener Tasche finanzieren, was Aufgabe des Staates wäre? Er droht ihr, das Projekt zu sabotieren, damit sie es bleibenläßt.«
Philomena, deren Gesicht zu klein war, als daß sie Launen darauf hätte erkennen lassen können, erwiderte lässig:»Nun hab dich mal nicht so, kleines Schweinchen. Wenn seine Gründe, ihr zu größerer… Sparsamkeit zu raten, auch durchaus von der Art sein können, die du andeutest, so verdient seine… Mahnung doch, ernstlich erwogen zu werden. Ich nehme schließlich nicht an, daß Madame Livienda so ganz und gar abgeschnitten von den Nachrichten mit ihrer Krone raschelt, daß sie keine Kenntnis davon hat, was man über die Versuche der Fische in… ihrer Heimat behauptet?«
«Wessen Heimat? Liviendas?«Hébert war auf der Hut: Die Libelle versuchte ganz offensichtlich, ihn auszuhorchen.
«Ich meine, und du weißt sehr gut, daß ich das meine, das, was im Meer geschieht. In den… Tiefen und Untiefen, den Schlünden und… Schründen.«
Hébert zog das Schnäuzchen schief:»Die wilden Märchen von der Hasardeursphysik? Daß sie dort, unter Hochdruck, an Methoden gegen die Schwerkraft arbeiten und ihre Physiologie stärker verändern als die andern Gente je? Daß ihre Arbeit im Torus für sie nur ein Weg ist, uns Landbewohnern ihre Rechtsvorstellungen einzutrichtern, weil sie uns langfristig zu beherrschen vorhaben? Daß sie fliegen wollen und daß sie ihre Körper für die Eroberung der Luft, später des erdnahen, in noch fernerer Zukunft gar des interplanetarischen und schließlich des interstellaren Leerraums umrüsten?«
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