«Es ist alles… belegbar. Es gibt Bilder, Filme, Messungen. Subozeanische Beschleuniger von… Kontinentalplattenausmaßen, alteriertes Cavorit, Tanks voller entartetem Fermionengas, aus denen sie… Fahrzeuge bauen, die unsern trägen… Luftschiffen bald die Manövrierräume streitig machen werden.«
«Geschichten. Geschwätz von pressierlichen Dachsen, die nicht genug Feinde haben und gern mal wieder einen Krieg vom Zaun brechen möchten.«
«Der Löwe…«
«Ja, freilich. Immer macht er sich Sorgen, träumt seine Alpträume. Die Keramikungeheuer in Brasilien sollen ja auch so eine Bedrohung sein — ich frage mich manchmal, ob der Löwe nicht, falsch beraten von dir und Georgescu, einfach nach kriegsrechtsartigen Befugnissen schielt, ob er nicht die Vorfahrenunarten wiederbeleben will. Transkontinentale Sicherheitspolitik, sogenannte Abschreckung, am Ende umfangreiche Waffengänge, nicht nur gegen Menschen.«
«Du gehst sehr weit, mein… Schweinchen. Du wirst dir die Zunge verbrennen.«
Das war das letzte, was Philomena hören ließ, bevor sie grußlos davonschwirrte.
«Sie redet«, vertraute Hébert seinen Eindruck von der Unterhaltung einigen treibenden Blättern im Höhenföhn auf seinem Balkon an, die alles, was er sagte, zu Livienda tragen würden,»als wäre es ihr ein überlebenswichtiges Anliegen, daß man merken soll, wie sehr sie Livienda, von der sie stammt, verachtet und wie groß ihr Respekt vor dem Löwen ist, zu dem sie sich geschlagen hat. Wir kriegen hier neben den Polyarchen, den Dachsen und den Libertären bald neue Parteien, wenn wir nicht aufpassen. Und mit denen zeichnen sich auch schon wieder die Dinge ab, die wir aus der Langeweile kennen.«
8. Was der Zander fand
«Progressive Phylogenie«: Das Projekt, das Livienda angestoßen hatte, erhielt seinen offiziellen Namen von den Pherinfonnetzen. Man munkelte, der käme, auf Umwegen, von der» geschädigten «Lasara — sie stünde, um ihren alten Herrn zu desavouieren, aus der verlarvten Abgeschiedenheit ihres Untergetauchtseins heraus seit längerem mit Westfahl Sophokles Gaeta in Kontakt.
Der war es, der die neue Formulierung schließlich offen in Umlauf brachte — und als Kennung einem Riesenmolekül anheftete, mit dem allen Interessierten, und das hieß: den meisten Gente überhaupt, verkündet wurde, daß der große Tag gekommen war:»Erstmaliges vollständiges Zusammentreten aller Generalkommissionen sämtlicher atlantischer und sonstiger Experten im Gametenrechtsreformtorus am ersten Cusatag des neuen Jahres.«
«Wir entschuldigen uns bei allen, die auf unsere Arbeit an endlich zureichenden Rechtsgrundlagen für die geregelte Reproduktion hoffen, in aller Form dafür, daß das Plenum erst jetzt tagt«, erklärte Westfahl der Vollversammlung eine Woche später leicht verschnupft.
Ein paar weitschweifige Erklärungen folgten; der Zander beruhigte sich erst wieder, als er sah, mit wieviel Wohlgefallen das Laufschwein seinen gütigen Blick von der Loge aus auf dem Vorsitzenden und dessen engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ruhen ließ.
Die eigentliche Auftaktrede konnte beginnen:»Hohes Kollegium, verehrte Aedile, liebe Freunde. Der historische Teil unserer Forschungen, die Auseinandersetzung mit dem Erbe der Überwundenen, stellte uns in den letzten drei Jahren vor Schwierigkeiten, die nicht antizipiert worden waren, weder von der generösen Schenkerin«, ein nervöser Blick in Richtung Hébert Loskauf, ein verständnisvolles Nicken desselben,»noch von uns selbst. Allein die Kalender, die Daten, die Datierung selbst, der ungeheure biometrische Verhau des aus der Langeweile Hinterlassenen, all diese korrumpierten Informationen, der haarsträubende Unsinn von Religionen und Kulturräumen, der sich wie ein Schimmelpilz über alles Interessante gelegt hat und den davon abzulösen nicht selten auch die Unterlagen selbst zerstört — es war entsetzlich. Ein Beispiel: Islamische und chinesische Kalender waren lunar, christliche und buddhistische waren solar, ich weiß, die Worte sagen den meisten, auch den Fachgelehrten, nicht viel, aber wenn man biologische und geologische Zeiträume in Anschlag bringt… wer sich auskennt, wird wissen, daß erst ein läppisches Halbjahrtausend vergangen ist, seit der letzte wahre Weltkrieg tobte, und wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn die Verheerungen, unter deren…«
So ging das eine gute Weile weiter.
Héberts Aufmerksamkeit drohte bereits abzudriften, da kam der Zander endlich zur Sache:»Der bedauerliche Abhub dieses allesdurchdringenden, übelkeiterregenden Aberglaubens ist auch bei lebenswichtigen Angelegenheiten nicht aus dem Gewebe der von den Vorfahren erschaffenen und ertragenen Verhältnisse herauszutrennen. Das macht es besonders schwierig, sich auch nur die einfachste Anfangsübersicht zu erarbeiten. Liest man etwa davon, daß der Tatbestand des sogenannten ›Sodomism‹, also der spezifischen ›widernatürlichen Unkeuschheit‹ im Sinne des atavistischen menschlichen Gametenrechts, keineswegs erst dann erfüllt war, wenn der Same des Menschenmännchens in die für deren reproduktiven Empfang ja auch gar nicht hinreichend gerüsteten entsprechenden Gefäße einer der für niedrigerstehend gehaltenen Spezies eingeleitet wurde, sondern schon etwa ein geringer Teil desselben, der, ich zitiere, eine sogenannte ›Einpflanzung des Geblüts‹ sollte vollbringen können, so wird nicht nur Ihnen, meinen hier versammelten hochgeschätzten Kolleginnen und Kollegen, sondern gewiß auch dem anspruchslosesten Teil des gemeinen Publikums klar, daß das Ausmaß der metaphysischen Verirrung, die sich bis in den lexikalischen Bestand der uns zur Verständigung hinterlassenen Sprachen eingenistet und dort verfestigt hat, in feinster Verteilung, zartester Giftwirkung Schäden anzurichten geeignet ist, die unserer nun endlich mit Tatkraft und Weitsicht in die Wege geleiteten gigantischen Reforminitiative als Partisanen des Absurden, Unrätlichen und Verbrecherischen zu schaffen machen müssen, das wir zerstören und dessen unteilbar kleinste Bestandteile wir bis zur letzten Zeichenkette abtragen, ausmerzen, beiseite schaffen müssen, wenn wir jemals hoffen wollen, denen, die diese Erde bewohnen, verbriefte und unveräußerliche Rechte garantieren zu können, welche als verbindliche Grenznutzenbestimmungen für bislang verborgene Freiheitsgrade der Fortpflanzung die Diversität und evolutive Persistenz unserer fortschrittlichsten Quasigattungen stabilisieren helfen mögen.«
Der zwischen salbungsvollem Knödeltremolo und klinischer Genauigkeit changierende Tonfall verbarg arglosen Zuhörern erfolgreich die revolutionären Implikationen, die wahre Reichweite des Unterfangens, dessen erste Stufe mit der Einberufung dieser Konferenz genommen war.
Hébert Loskauf aber war alles andere als arglos. Er konnte die Erwartung grundstürzender Dinge bis ins Ringelschwänzchen spüren und war sicher, daß, mochten auch nicht einmal alle Anwesenden und sicher nicht die Mehrheit der pherinfonisch zugeschalteten Gente richtig auffassen, worum es überhaupt ging, zumindest der träumende Herrscher diese sanfte, aber nachdrückliche Herausforderung seiner Autorität unmittelbar begreifen mußte. Wie würde er sich verhalten?
Vielleicht verhinderte die äsopische Redeweise des Zanders ja, daß der Löwe bis zum Eingreifen gereizt wurde — ein Gedanke, der sofort zu nichts zerging, als Westfahl auf dem Podium fortfuhr:»Man hat uns also, das muß ich so grob sagen, einen greulichen Misthaufen aus falschen Ansätzen und verkehrten Begründungen zugemutet, als die richtige Lebensform für Gente, nach der Befreiung. Evolutive Vorteile, stabile Strategien, Selektion, immer dieselben Stichworte aus der Hoch- und Spätlangeweile — aber wer sagt uns überhaupt, daß wir diesen überkommenen Plunder nur mit einem Vorzeichenwechsel versehen müssen, vom Kopf auf die Füße stellen, von innen nach außen krempeln, um unsere Zukunft erfolgreich planen zu können, um unser Genomerbe zu schützen und, soweit möglich, zu verbessern? Ich kenne mich, um rasch persönlich zu werden, unter Wasser aus — schöne Farben hat meine Heimat, sie fördern den ästhetischen Sinn. Das sehen Sie, hier, oben, unten, überall im Torus — und die jüngeren unter den Antilopen haben«, er schenkte den Angesprochenen, die sich noch immer bewegten, als atmeten sie durch Mund und Nase (die Alterierung ihrer Physiologie mit Kiemen und stabilisierenden Flossen war ihnen selbst nach dem langen Aufenthalt im Torus nicht zur zweiten Natur geworden), ein freundliches Nicken,»uns gleich in der zweiten Woche unserer Arbeit hier eine schöne Studie über die genetische Abkunft der klassischen Fischfarben vorgelegt: je bunter, desto größerer Paarungserfolg. Gut, fein — kräftige Farben, das denkt man sich leicht, stehen für ausgezeichnete Gesundheit — aber woher wissen wir, daß das nicht einfach eine Überlebensfrage war, daß also etwa Jäger bunte Beute verschmähten, weil man an der Buntheit sah, daß diese Protogente fliehen würden, also zuviel Hatzaufwand erheischten? Männliche Lerchen singen ihre berühmtem Lieder, wenn sie von Falken verfolgt werden, nicht nur als Ouvertüre zum Vögeln. Überhaupt scheint mir, auch im Lichte der berühmten ökonomischen Outputergebnisse von Lasara Iemelian Oktet Chukwudi Ottobah Sandra Belle Placide Lais Olbers Vinicius Golden«, Hébert zuckte zusammen, wie er hoffte, unmerklich: Was für ein gefährlicher Name, was für eine politisch riskante Nennung in diesem Kontext, der Zander ließ wirklich nichts aus,»in den Präliminaruntersuchungen dieser Arbeitsgruppe eine falsche Betonung der Nutzfaktoren sexualbegleitender Unterschiede zwischen dimorphen Spezies gegenüber einer realistischen Betrachtung von deren Kosten vorgeherrscht zu haben — ein Vorurteil, dessen wir uns inzwischen schon bei vielen weiterführenden Studien glücklich entledigt haben, genau wie des falschen Verständnisses der sozialen Eigenarten unserer Ahnen, der falschen Maße der Partnerwahlquoten und so weiter. Aber ›fortschrittlich‹, meine Freunde, können wir das alles nur nennen, wenn wir uns unserer Zielsetzung dabei bewußt werden, wenn wir sie unbeirrbar verfolgen, wenn wir uns nicht mehr abbringen lassen davon. Wie lautet sie? Das läßt sich simpel sagen: Wie können wir die maximale Vielfalt innerhalb der verbliebenen äußerlichen Arten sowie hinsichtlich der Anzahl der überhaupt vorhandenen Varianten mit dem Überleben der Tierwelt, der Biosphäre insgesamt, im Lichte erwartbarer wie unerwartbarer Gefahren auch gametenpartnerrechtlich, nicht nur militärisch, sichern?«
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