Der Affe Sdhütz Arroyo aber hielt fünf bauchschmerzgeplagte Jahre lang Ausschau, in Sturzbächen, aufsteigendem Rauch, Ölfeuern, in Seifenfilm auf Pfützen, im Wirbeln, in Wolkenmustern, Konvektionszellen und überall sonst, wo flüssige Dynamik war. Er wußte, daß Ryuneke den neuen technischen Möglichkeiten das Äußerste an Flucht und Sublimierung abgewinnen würde.
Fast war er jetzt enttäuscht: Der giftige Winzling hier, das soll's gewesen sein?
«Ich bin bloß eine Puppe, die dir sagt, wohin du gehen sollst, Pensionär.«
Der Orang-Utan ächzte wie eine alte Tür, kratzte sich unter der rechten Achsel und kippte dann den Rest seines Getränks halb in den Hals, halb ins Brustfell.
Er blickte zum breiten Fenster, betrachtete die Kondenstropfen auf der Scheibe, jeder ein kleines Auge, das nicht zwinkern konnte.»Wo steckt er also? Der Boß?«
«Es ist, wie die Leute sagen: Ryuneke Nirgendwo. Sie könnten auch sagen: Ryuneke Überall. Wo du ihn vermutet hast, in Dämpfen und Flüssigkeiten. Er muß aufpassen, daß es ihn nicht mehrfach gibt, daß er sich nicht in die Quere kommt.«
«Woher weißt du, wo ich ihn vermutet habe?«
«Hast du ihn nicht suchen lassen? Hast du nicht Fischroutinen ins Pherinfonnetz ausgeworfen, bis ins Wasser, zu den Atlantikern?«
«Ein Schlag ins Wasser«, witzelte der Affe müde.
Ganz ernsthaft antwortete der Fuchsenbote:»Wo er Wasser ist, ist er selbstredend ein anderes Wasser als das Wasser, das ihn gegebenenfalls umgibt.«
«Anderes Wasser.«
«Exakt.«
«Und mit Hilfe solcher Hinweise soll ich ihn jetzt finden? Mich bei ihm zum Dienst melden?«
«Ihn finden, keineswegs. So findet ihn niemand, das ist es doch. Die Abweichung vom Normalwasser, die gleichzeitig für den Zusammenhalt der Substanz sorgt, die ihn trägt, ist nur mit Instrumenten zu erkennen, die sich niemand anderer leisten könnte als er selbst. Wo er Luft ist oder zähes Magma, gilt ganz dasselbe. Überall verhält er sich wie Öl im Wasser, unmischbar mit dem Rest, und doch von allen Seiten abgeschlossen.«
«Und seine gesamte Person ist…«
«I wo«, meckerte der Bote schwer belustigt,»Gesamtperson, darüber ist er hinaus. Es reicht eine Art Haken in der materiellen Welt, ein Anker, Köder, was du willst. Ein Sequenzchen Erinnerung, eine Signalflagge. Verzeih die nautischen Metaphern; er liebt das. Die Regel, aus deren Befolgung bei der kunstgerecht durchgeführten Selbstreplikation des Ankers unweigerlich das Muster werden muß, das er bei seinem letzten wachen Hiersein war, ist seine Signatur und sein Selbst, also vergiß die, hehe, Gesamtperson.«
«Doll.«
«Man hat's vorher getestet.«
«Replikation. Nirgendwo, überall. Begriffen. Und wie verschafft er seinem Willen in der Wirklichkeit Geltung, wie…«
«Als Abdruck — irgendwann müssen Wesen wie du oder ich ihn einatmen oder trinken, und dann verändert er zunächst unsere Mikrophysiologie, dann das, was wir denken, und kommt schließlich durch uns wieder zu sich, falls er das für ein Weilchen braucht. Wenn er dann wieder verschwindet, weil seine Geschäfte im Diesseits erledigt sind, wird der anfängliche Diffusionsprozeß einfach wiederholt.«
«Einfach«, grinste Sdhütz wie unter Schmerzen.
«Bist du zufrieden? Alles beantwortet?«fragte der Fuchs, der sich, was Sdhütz Arroyo eben erst bewußt wurde, überhaupt nicht vorgestellt hatte.
War alles beantwortet? Ja, doch, er mußte es zugeben, er nickte bedächtig. Mit typischen Ryuneke-Antworten: Wahr, aber nutzlos.
«Fein. Hör zu«, sagte der Fuchs, und der, den er anredete, erkannte im selben Moment, daß das Tier tatsächlich nicht aus Fleisch und Blut und Haaren, sondern aus Eis war, nur von Lichtreflexen und geschickt gefalteten Brechungsindizes so gefärbt, daß man seine Oberfläche für grellorange Röte hielt,»und wenn du dir's gemerkt hast, nimm bitte das Hölzchen im Papierschirm in deinem Drink und… piek mich hinters rechte Ohr. Ich möchte wirklich nicht länger existieren als unbedingt nötig.«
«Äh.«
«Diese Welt zieht mich runter. Ich habe von meinem Vater den Hang zum Nichtsein geerbt.«
«Dein Vater, der… was will er denn jetzt von mir?«
«Was er will? Er will seine Investitionen anfassen können. Gerade fängt eine an, sich zu rentieren.«
«Welche denn?«
«Das Neue Heldentum im Pherotainment, du wirst davon gehört haben. «Ah, dachte Sdhütz, das städteübergreifende Pherinfontheater für die Faulen und Stumpfen. Er kannte den Dreh, aus dem die Mode» Neues Heldentum «entstanden war: Irgendwelche Gente zogen über Land, halfen den Hilflosen, nahmen ihre Taten in Pherinfonregistern auf und strahlten sie in alle Welt ab. Tue Gutes so spektakulär, daß man es riechen kann.
«Er hat da eine sichere Bank in drei Idolen. Die werden bald höher angesehen sein, bei der Jugend in den zivilisierten Zonen, als alle vor ihnen, berühmter als selbst der Löwe. Ich sage dir, noch bevor der Krieg kommt, kennt jeder ihren Namen. Ein Pferd, ein weißer Tiger und ein Frettchen…«
«Nein, nein, nein«, schüttelte der Affe den Kopf,»laß es. Erzähl mir das nicht. Der Krieg… so was… das… ich meine, was will er jetzt von mir, im besonderen?«
«Ah, der springende Punkt, die Gesamtperson des Affen Sdhütz«, nickte der Eisfuchs.»Er will dich als Sicherheit. Als wachsame Redundanz. Du sollst einen begleiten, der offiziell keinen Begleiter haben darf, einen, von dessen Treiben die drei Helden unsere lieben Gente ablenken sollen.«
«Einen. «Der Affe kaute das Wort wie Saures.
«Einen Wolf. Der sich für was Besondres hält. Wird also leicht sein, ihm vorzuenthalten, daß er nur ein Fädchen im großen Gewebe ist. Der König… muß ihn bald fortschicken. Du wirst ihm folgen, damit er keine Dummheiten macht. Und du wirst berichten, was ihm widerfährt.«
«Wem werde ich…?«
«Philomena. Mir. Dem Fuchs Ryuneke zur Not selber, wo's paßt. Wem auch immer, es wird sich dir schon wer vorstellen. Sind wir klar miteinander?«
«Klar nicht«, riß sich der Affe zusammen,»aber fertig.«
Der Jungfuchs legte den Kopf schief und schaute scharf das Hölzchen an.
Peinlich berührt, aber folgsam nahm der Affe es zwischen die gelenkigen Finger und stach dem Boten ins angewiesene Ohr. Der Winzfuchs begann augenblicklich zu schmelzen.
Hinterm Gebirge ging die Sonne unter.
Sdhütz Arroyo interessierte sich nicht mehr dafür. Er hob die Rechte, winkte dem Bedienten:»Was Härteres, bitte, und schnell. Dann legt mir ein Seil bereit und laßt mich runter, über der nächstgelegenen Ansiedlung. Der Spaß ist aus. Ich muß zur Arbeit.«
2. Gedächtnisgrüfte
Die Reihen der Vitrinen waren trostlos lang und wurden, wenn man sie suchend abschritt, nur immer länger.
Glücklicherweise funktionierte die Klimaanlage, sonst wäre eine Suche an dem Ort in diesem Mördersommer sicher tödlich gewesen.
Kupferstiche von Kelchblumen, numismatische Kabinette, astrogatorische Instrumente, der eine oder andere Volutenkrater, Virenschaumlacktanks, Aquarelle, die längst nicht mehr vorhandene Palaisanlagen zeigten, bemooste Kanonenrohre, Kristallspeicher, Nonalgos, kaputte Zeitmaschinen mit verhakter Gangschaltung, grüne Stopfjacken, Clipmaschinen für Aktenlagerung, Mikrofilme, Schmorspuren auf Buchrücken, in Gold gegossenes Edelgeschmeiß, das während der Befreiung im Eilverfahren hingerichtet worden war, Helme von Schweizergardisten des letzten Papstes, mit getrockneter Zahnpasta verschmierte Ammoniten, Jaspisuren, Teleskope, eine einäugige Nofretetebüste, alte Furcht in Flaschen.
Der vermeintliche Esel Storikal gab sich Mühe, möglichst gelehrt zu wirken:»Es ist im öhi übrigen jaaahh vielleicht kein Zufall überhaupt, daß die Kunstformen bingbong des Barock fff huhotz ausgerechnet in jeneselbebebere Epoche fallen, rickiticki, die andererseits durch die, die, die Aufklärung bestimmt äh ist, das heißt die jaaahahahaaa Vielfalt und auch der Bombast der pfopp, pfopp, der Formen paßt, wenn auch unsere jahalalala, unsere Intuitionen uns etwas anderes nahelegen wollenwummsen, jaaaaahh, gar nicht so übel zur ipsopipso Beseitigung von…«
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