«Nein.«
«Nein?«Sie schien erstaunt zu sein.»Er hat Sie angegriffen. Sie, Altberg und ich seien eine fragwürdige romantische Fraktion.«»Nein. Für ihn ist es Medizin, mir verdunkelt es den Tag. Warum sollte ich es also lesen? Ich bin kein Masochist.«
«Aber wenn Sie mit dem, was er schreibt, konfrontiert werden?«
«Dann kann ich es nicht ändern. Aber erst dann.«
«Und Sie ertragen es, mit ihm an einem Tisch zu sitzen?«
Meno lächelte gequält.»Sehen Sie, so ist das in dieser kleinen Fakultät. Tagsüber Lanzenstechen, und abends hebt man ein Bier miteinander. Sie werden sich daran gewöhnen müssen.«
«Und das stört Sie nicht?«
«Wer sagt, daß es mich nicht stört? Aber — «
«Sie haben Frau und Kind. «Schevola winkte ab.
«Sie sind recht schnell mit Ihrem Urteil. «Meno trank sein Bier aus.»Hüten Sie sich davor, wenn ich Ihnen den Rat geben darf. So etwas ist zwar reizvoll moralisch und sorgt für einen ehrlichen Herzschlag, aber es tut der Literatur nicht gut. Darüber sollten wir uns auch in bezug auf Ihren Text unterhalten.«
«Was tut der Literatur nicht gut?«Eschschloraques Stimme war heiser, vielleicht lag es am dichten Zigarettenrauch, der das Lokal füllte. Er trug ein seidenes Tuch um den Hals und hatte es im offenen Kragen des weißen Hemds zu einem chevaleresken Knoten geschlungen.
«Das Moralisieren«, erwiderte Meno und schaute Eschschloraque an.»Mit einem anderen Wort: das Bescheidwissen.«
Eschschloraque betrachtete ihn prüfend, rieb sich sacht über die sorgfältig rasierten Wangen. Munderloh beugte sich vor.
«Herr Eschschloraque, ich interessiere mich für Sie.«
«Das nenne ich ritterlich das Visier gehoben. Dank dafür und für den Mut, Ihre Schüchternheit durch so direktes Anklopfen einzugestehen«, erwiderte Eschschloraque und trank dem Verleger zu.»Fräulein Schevola beispielsweise, über die Ihnen Freund Schiffner so viel Schönes zu berichten wußte, ist gar nicht schüchtern. Deshalb sind ihre Schwarzgedanken vorerst verborgen. Ich darf einen weiteren psychologischen Sprung wagen: Das Problem ist der Zensor, der recht hat, meine Liebe. — Im übrigen, Herr Munderloh: Wie wird mir denn? Ihr Haus, so geistreich ohne mich?«
«Ich meinte es persönlich — wenn Sie gestatten. Stalinismus und Esprit, wie geht das zusammen?«
Eschschloraque lächelte.»Schlaf schneller, Genosse, dein Bett wird schon gebraucht! — Na, Herr Rohde, Erinnerungen an alte Kommunalka-Zeiten?«
«Aber Sie können doch nicht … die Toten«, sagte der Frankfurter Pressechef ungläubig.
«Tote müssen sein«, entgegnete Eschschloraque kühl.»Tun Sie doch nicht so, als ob bei Ihnen nicht gestorben würde. Die Feinde gehören ausgemerzt, das ist sinnvoller, bewährter Brauch von Zeitaltern, die Großes vollbringen. Und es ist allemal besser, für eine große Sache zu sterben, als für eine mittelmäßige zu leben. Die echten Demokraten unter Ihnen sollten vor dem Hauptgang protestieren; Scharfsinn meidet die Verdauung.«
«Reden wir doch über Fußball!«Redlich blinzelte in Richtung des Frankfurter Pressechefs, aber der versteifte den Rücken.
«Lieber Redlich, Sie wollen höflich sein und uns Peinlichkeiten ersparen. Sehen Sie, mit den Feinden verhält es sich beispielsweise so: Herr Rohde, den ich schätze, ist ein subtiler Spaßvogel und hat sich jüngst einen, sagen wir, Angestellten-Scherz erlaubt. Als Lektor, der weiß, was sich gehört, korrigiert er mit Bleistift, an einer Stelle jedoch, die man zweideutig lesen kann, setzt er ein rotes Komma. — Sie haben«, lächelte Eschschloraque,»ein rotes Komma hinter den Sozialismus gesetzt. Sollte das etwas zu bedeuten haben? Etwa, daß der Sozialismus nicht das letzte Wort ist?«Eschschloraque hielt einen kleinen Vortrag über Klostermönche, die ihre Kommentare zu den abzuschreibenden Texten auf ebenso subtile Weise gegeben hätten, durch Hervorhebung bestimmter Buchstaben nämlich, über mehrere Seiten und Kapitel, so daß in einer hehren Minneliedsammlung das lateinische Troubadour du bist ein Rohrkrepierer verborgen, für die geübten Augen der Philologen aber sichtbar gewesen sei.
Schiffner zog seinen Kamm aus echtem Büffelhorn aus der Jackett-Innentasche und strählte die weiße Haartolle über seinem markanten, in Krim-Urlauben gebräunten Gesicht.»Deshalb klangst du so furchtbar ruhig am Telefon.«
«Rossi war großartig! Der hat doch die Blauen quasi allein zur Weltmeisterschaft geschossen«, rief Josef Redlich.
«Sie können schreiben?«Munderloh beugte sich zu Judith Schevola.
«Ich versuche es«, erwiderte sie mit abweisend vorgerecktem Kinn.
«Sie versucht es!«Der Verleger hieb mit der Hand auf den Tisch.»Könnten Sie einen Delphin töten?«Die Gespräche am Tisch verstummten erneut.
«Das käme auf die Situation an, Herr … Wie war Ihr Name?«Munderloh starrte erst sie, dann Schiffner an, der sich amüsierte. Eschschloraque faltete die Hände unter dem Kinn zusammen, beobachtete witternd, sein Gesicht hatte den Ausdruck eines Wissenschaftlers, der auf das Ergebnis eines interessanten Experiments wartet, das unmoralisch ist, aber unvermeidlich.
«Mein Name ist Munderloh. Sie gefallen mir. Allerdings ist Ihre Antwort, daß es auf die Situation ankomme, allzu erwartbar. Auf die Situation kommt es nämlich immer an.«
«Ich hasse Delphine«, sagte Schevola kalt.»Sie sind immer so lieb und nett, sie retten Schiffbrüchige und stehen dem Dichter Arion bei, umtanzen Bacchus’ Kahn, sonnen am neuen Lichte den Rücken … aber ich traue ihnen nicht.«
«Es gibt eine Schule der bösen Delphine«, murmelte Redlich.»Schwarze Delphine, die uns nicht wohlgesonnen sind — «
«Josef, was redest du. «Der Frankfurter Pressechef bewegte unmutig die Hand.
«Ich würde schon deshalb gerne mal einen Delphin töten, um zu sehen, was die anderen Delphine machen. Ob sie so lieb und nett bleiben, ob das Klischee stimmt — oder ob sie dann ihren wahren Charakter zeigen«, sagte Schevola, wobei sie Munderlohs Blick — hart, aus Augen, die wie hellblaue Steine wirkten, ein Blick wie ein Stab, wie eine Präpariersonde, dachte Meno — nicht auswich.
«Ich werde Ihr Manuskript lesen«, sagte Munderloh nach einer Weile, in der am Tisch Schweigen geherrscht hatte und nur die Geräusche aus dem vorderen Teil der» Jägerschänke «zu hören gewesen waren.»Ich werde es lesen, wenn Haus Hermes es mir überläßt.«»Schwimmen Sie gern?«Er nahm eine Visitenkarte, kritzelte etwas auf die Rückseite, schob die Karte über den Tisch zu Schevola.
«Nicht in Vertragsverhandlungen«, antwortete sie, nachdem sie die Karte gelesen und Munderloh lange Sekunden in die Augen gestarrt hatte.
«Schön. — Wachsen also nicht nur Knechte in diesem Land.«
«Nicht so, Herr Munderloh, bitte … nicht so!«Redlich hatte sich nach vorn gereckt.»Sie treiben Finsternishandel, Lichtenberg, Heft L. Und fühlen den Druck der Regierung sowenig als den Druck der Luft, Heft J.«
Munderloh nickte.»Vielleicht haben Sie falsche Vorstellungen von den Verhältnissen bei uns. Vielleicht ich von den Verhältnissen bei Ihnen. Trinken wir doch auf das, was uns eint. «Er hob sein Glas, das er mit Wein gefüllt hatte, trank Redlich zu.
«Wir, die wir wissen, was für ein kostbares Gut Wahrheit ist … Und es ist auch eine Wahrheit, Sprache in ihrer Reinheit darzustellen …«Redlich sank zurück, sein rundliches, schnurrbärtiges Gesicht mit den verquollenen Augen, das Meno an Joseph Roths Gesicht erinnerte, geriet wieder in den Schatten. Schiffner legte ihm die Hand auf den Arm.
«Auf jeden Fall sind Sie, seid ihr«, Redlich wies mit großzügiger Geste über die Frankfurter Reihe,»viel besser gekleidet als wir!«Er lachte, hielt sich die Hand vor den Mund.
«Sie schwimmen nicht gern, stimmt’s?«Munderloh beugte sich vor, verschränkte die Hände. Es waren starke, bäurisch grobe Hände mit behaarten Fingerrücken, Meno war sich sicher, daß Munderloh in der Lage war, Walnüsse zwischen Daumen und Zeigefinger zu knacken. Der würde das Lager überstehen — diesen kantigen Kopf, die wie mit dem Beil gehauene Nase, stark wie ein Tukanschnabel, diesen Holzfällerrücken würden die Befreier sehen, die das Tor öffneten; er ist einer, der überlebt, dachte Meno und runzelte die Stirn, weil es ihn irritierte, daß er Munderlohs äußere Erscheinung mit dem Lager in Verbindung brachte; der Gedanke erschien ihm perfide. Redlich antwortete nicht auf Munderlohs Frage. Sie brachen auf. Vor der» Jägerschänke «wartete Philipp Londoner, der Eschschloraque und Schiffner vertraut begrüßte. Schevola war verschwunden.
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