Ich habe geträumt, ich sei Bundespräsident geworden. Ein achtköpfiges Gremium hat mich gewählt. Eigentlich wollten mehrere Mitglieder im ersten Wahlgang nur ein Zeichen des Protests setzen, indem sie mir eine Stimme geben, doch die Dummköpfe hatten sich nicht untereinander abgesprochen. So daß ich plötzlich fünf der acht Stimmen hatte und Bundespräsident war. Danach wollten sie mich zu einem freiwilligen Rückzug bewegen, aber ich blieb hart, als ich erfuhr, ich würde 20.000 Euro im Monat bekommen.
Ich habe keine Ahnung, woher dieser Unsinn in meinem Hirn stammt. Vielleicht sind es die Kritiken. Diese Woche erscheint Die Arbeit der Nacht , und in Österreich gibt es allerhand gute Besprechungen. Auf den Fotos sehe ich schockierend übergewichtig aus. Na, egal. Daniel wurde vom Spiegel gefragt, ob er über mich schreibt, er hat es gemacht, und nun bin ich gespannt, was passiert.
Zu Mittag habe ich das fünfte Interview. Ich finde es interessant zu beobachten, daß auch dieser fünfte Journalist die Wikipedia-Seite über mich vor sich liegen hat. Ich finde es schon deswegen interessant, weil ich die selbst geschrieben habe. Also zumindest die erste Fassung. Ist schon eine Weile her, zwei Jahre bestimmt, ich hatte keine Lust, darauf zu warten, bis irgendein Lump Bösartigkeiten über mich verbreitet. Ein wirklich sachlicher Artikel übrigens, ich lobte mich nicht besonders, über mein zweites Buch schimpfte ich sogar, natürlich im Rahmen. Aus taktischen Gründen von mir hinterlassene Detailfehler (falsches Geburtsjahr etc.) wurden von eifrigen Usern bald korrigiert, die seither den Artikel auch immer wieder auf den neuesten Stand bringen, so daß er keine große Ähnlichkeit mehr hat mit meinem.
Karin Graf ruft an, sie freut sich über den Artikel im Spiegel . Christina Knecht, die Pressebetreuerin des Hanser Verlags, erzählt mir von einer klugen und positiven Besprechung in der Neuen Zürcher Zeitung , sogar Michael Krüger sei beeindruckt gewesen. Wolfgang Matz schließlich sagt, wir werden einige Auflagen drucken. Dann ruft meine Mutter an.
«Wieso bist du nicht auf der Bestsellerliste und dein Freund immer noch?«
Unvermittelt fällt mir die Geschichte ihres ersten Treffens mit Else ein. Wir saßen in einem Café in Graz, einer scheußlichen Spelunke, in der meine Mutter aus unerfindlichen Gründen gern zu Mittag ißt. Ich erwähnte, ich hätte eine neue Freundin, und als sie so interessiert dreinschaute, sagte ich, wenn sie will, kann sie sie gleich kennenlernen, Else war nämlich gerade in der Nähe einkaufen. Meine Mutter verstand mich falsch, sie begann den Kopf ungeniert nach allen Seiten zu drehen, weil sie annahm, Else sei bereits hier. Sie deutete auf eine übergewichtige, blasse Mittfünfzigerin mit abgearbeitetem Gesicht, vor der ein Glas Rotwein stand:»Ist sie das?«
Ich habe den Humor eines Achtjährigen. Ich stehe mit Stanislaus am Fenster und schieße mit einer Wasserpistole auf die Leute im Garten. Die kreischen, schauen zu uns hoch, und ich rede mich auf meinen Sohn heraus, der ebenfalls eine Wasserpistole in der Hand hält. Ihm gefällt das. Else nennt mich einen Kindskopf, ich höre trotzdem nicht auf. Eine Viertelstunde lang hole ich immer wieder neues Wasser, bis die da unten richtig durchnäßt sind. Aus einem Nachbarfenster dudelt Musik, irgendein Gute-Laune-Trottel aus dem Radio erzählt etwas von einem bevorstehenden Robbie-Williams-Konzert, normalerweise würde mich das jetzt stören.
Am späten Nachmittag kommt Ursel und übernimmt Stanislaus. Else und ich gehen zu Akakiko essen. Danach ist sie mit einer Freundin verabredet. Ich weiß nicht recht, wohin ich soll. Ich rufe Daniel an. Der kann nicht, weil er einen Artikel für die New York Times schreiben muß. Ich rufe den Prinzen an. Der ist irgendwo in Kärnten, wo er Baldur an seinem neuen Zuhause besucht. Der Professor ist in Brasilien. Und sonst fällt mir niemand ein, den ich jetzt fragen könnte, ob er mit mir etwas unternehmen will. Ich kenne nur unspontane Leute.
Weil ich ja mein Englisch verbessern will, komme ich auf die Idee, ins English Cinema zu gehen. Sie spielen Pirates Of The Caribbean 2 . Johnny Depp, also gut, ich versuche es.
Im Wartesaal des Haydn-Kinos stelle ich mich in eine Ecke. Die Leute erkennen mich. Sie schauen zu mir her, schauen wieder weg, reden miteinander, schauen wieder her. Ich stehe da und tue so, als bemerke ich nichts. Es muß sich sonderbar anfühlen, wirklich bekannt zu sein. Wenn das bei mir jetzt schon solche Dimensionen hat, denn mehr und mehr Leute schauen unauffällig zu mir. Gefällt mir aber irgendwie. Was ein paar Rezensionen ausmachen können.
Ich beobachte eine junge Frau, die ihrerseits mich beobachtet. Sie hat einen Silberblick, aber sonst sieht sie recht gut aus. Ich frage mich, wo sie über mich gelesen hat. Sie sieht nicht aus wie jemand, der viel liest. Sie schaut mich an, als würde sie mich kaum sehen. Diese Fehlstellung der Augen.
Diese Fehlstellung der Augen. Ist überhaupt keine Fehlstellung der Augen. Die schaut woandershin. Schaut über mich. Wo…?
Ich stehe unter dem Bildschirm, der Trailer zeigt. Die Leute, die mich anstarren, starren nicht mich an, sondern informieren sich über bevorstehende Kinopremieren.
Der Film ist ein Reinfall. Erstens verstehe ich zuwenig, zweitens geht mir die Geschichte auf die Nerven. Mittendrin verschwinde ich, und ich bin froh, als ich auf der Straße stehe, obwohl ich nicht weiß, was ich jetzt anfangen soll.
Zwei SMS. Eines von Thomas Maurer, der eine Besprechung gelesen hat und gratuliert. Das andere von Bernd: Baby, wir warten auf dich im a 2!
Eigentlich sollte man sich nicht mit Männern treffen, die einen Baby nennen, aber mir bleibt nichts anderes übrig, es ist kein Abend, allein zu Hause zu sitzen.
Alle Stammgäste und Kellnerinnen, die dienstfrei haben, sind da, und alle sind betrunken und überdreht. Bernd sitzt unansprechbar in einer Ecke. Enrico, der Student, der gegenüber wohnt, fällt mir um den Hals, auf der anderen Seite umarmt mich seine Freundin Tanja. Sie ist so hinüber, daß sie schwuppdiwupp auf der Nase liegt. Wir helfen ihr hoch, Enrico setzt sie auf einen Barhocker. Ich frage, ob sie nicht vielleicht, wenn sie schon nicht nach Hause gehen will, lieber an einem Tisch sitzen würde, aber sie beginnen gleich fröhlich auf mich einzubrüllen, und mir bleibt nichts übrig, als mich dieser Atmosphäre von Dunkelheit, Unmoral und Rausch zu ergeben. Ich bestelle B-52.
Alex, der Wirt, regt sich fürchterlich darüber auf, daß jemand in seinem Klo etwas an die Wand geschrieben hat:»Bitte, wer ist so verrückt und schreibt Samen an die Wand?«Er kann sich kaum beruhigen. Nicht, daß er wirklich wütend wäre, er kann sich nur nicht von dem Gedanken an einen Menschen befreien, der solche Dinge an Wände schreibt.
Ich gehe auf die Toilette, es stimmt. Die ganze Wand ist unbeschriftet, keine Klosprüche, keine Graffiti, nur ein kleiner Schriftzug: Samen . Das heißt, eigentlich steht da Somen . Ich habe keine Ahnung, was ihn so erschüttert, er sollte froh sein, daß da nicht ganz andere Sachen stehen. Kurz habe ich den Verdacht, er könnte es selbst geschrieben haben.
Zwei Stunden später bin ich betrunken. Ständig schmeißt jemand eine Runde, und man muß mittrinken, ob man will oder nicht. Ich will eigentlich. Mich stört nicht ein mal, daß Tanja ihr Glas umschüttet und jemandem ein Viertelliter Weißwein in den Schuh hineinrinnt. Es ist der rechte. Ich versuche das unangenehme Gefühl am Fuß zu ignorieren.
Auch Enrico wird allmählich verhaltensauffällig. Ich kenne das bei ihm schon. Gerade hat er allen Ernstes gesagt:»Ich bin ein Ausländerfreund. «Ich weiß gar nicht, was die da um mich reden und wie er auf so etwas kommt. Ich lache.
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