— Wenn ich also in das Land der Wazungu reise und eine dieser Karten kaufe, dann kann ich all die kindischen Scherze von Baba Sidi nachlesen?
— Oh ja, Baba Ali, aber du mußt dich beeilen, die Wazungu, sie sind gewissenhaft, vielleicht zieht bald ein anderer von ihnen durch diese Gegenden und sammelt neues Wissen. Diese Karten werden von ihnen immer wieder neu gezeichnet, es ist ein beliebtes Spiel bei den Wazungu, nein, es ist mehr als ein Spiel, der Stolz von Menschen hängt davon ab, und die Freundschaft von Bwana Burton und Bwana Speke, sie zerschellte endgültig an diesen Karten.
— Wie ist das möglich?
Ein Laut. Piksend. Ein krummer Klagelaut. Eine ganze Oktave an der Gurgel gepackt. Zwei Schreie, die seinen dünnatmigen Schlaf erdolchen. Zuerst denkt er, diese Laute stechen aus einem Traum hervor, der ins Wachsein ragt, bis er sich des tiefen Himmels seines Zeltes bewußt wird und der engen Einfriedung der Plane zu allen Seiten. Die wunden Klagen kommen von draußen. Er richtet sich auf, ergreift sein Gewehr, kriecht aus dem Zelt, kann die Gefahr nicht ausmachen, sieht sie nicht in der verschlafenen Morgendämmerung, der Laut dringt durch seinen Hinterkopf, er reißt das Gewehr herum, schießbereit, doch er sieht nichts außer einen Vogel, einen häßlichen Vogel, der seinen Schnabel öffnet und den Schrei ausstößt, der seinen Schlaf erdolcht hat. Burton spürt einen unbändigen Zorn auf diesen winzigen Vogel, der sich eine solche Lautstärke anmaßt. Er packt das Gewehr am Lauf und schwingt es, doch der Vogel kann fliegen, er flattert davon, mit entrüsteten kleinen Piepsern, die Burton ohne irgendeine Genugtuung zurücklassen.
Am Tag zuvor sind sie von Kazeh aufgebrochen, zur letzten Etappe des Heimwegs. Für die Rückreise zur Küste mußten sie erneut Träger rekrutieren. Sie standen vor ihm, aus einer weiteren Nyamwezi-Ernte, zusammengetrommelt von Snay bin Amir, junge Männer, herausgeputzt in ihrer Ungeduld, übereifrig, erfrischend unschuldig. Manche von ihnen standen auf einem Bein, wie die Kraniche auf dem Malagarasi-Fluß, die Sohle des vom Boden losgelösten Fußes an das durchgestreckte Knie gedrückt, ihre Arme um den Nacken ihres Nebenmannes gelegt, eine lässige Geste, die kaum die erste Woche überstehen würde, andere hockten auf ihren Fersen, umarmten mit beiden Armen ihre Knie und richteten ihren Blick erwartungsvoll auf den Führer der Expedition.
Er ist widerwillig aufgebrochen. Kazeh war ihm erneut zur Oase geworden, und es fällt schwer, eine Oase zu verlassen. Sich wieder der Öde von Ugogo auszusetzen. Er fürchtete sich nicht davor, er wurde von keinen bösen Vorahnungen geplagt. Es war schlimmer. In Gedanken vorausblickend, empfand er bereits den Schmerz, der ihn erwartete, die Qual. Furcht war dies nicht, sondern ein Unbehagen, das fortdauern würde — das wußte er, und dieses Wissen war der Fluch jeder Rückreise. Zumal er sich auf den Ausgang nicht freuen konnte. Speke war vernarrt in seine ungelenke, unverständige Lösung des großen Rätsels. Seine Skizzen, seine kartographischen Vermutungen konnten zu keiner logischen Erklärung zusammengefügt werden. In seinen Flüssen floß das Wasser bergauf, und Seen entleerten sich in die Richtung, die er ihnen vorgab. Es war lachhaft, und doch — dieser Gedanke verstörte Burton, er vermieste ihm die Rückkehr —, es war nicht ausgeschlossen, daß Speke auf eine verquere Weise recht hatte, es war möglich, daß alle Einzelheiten falsch waren, die große Behauptung sich aber als richtig erwies. Sobald sie britischen Boden betreten werden, wird der Disput zwischen Speke und ihm eskalieren, geschürt in der öffentlichen Arena, seine vielen Feinde werden die Gelegenheit zu gerne aufgreifen, die vielen Spekulationen werden es jedem erlauben, wehrhaft für die Seite einzutreten, der man sich verbunden fühlt. In Kazeh konnte er nicht bleiben, und nach England zurückzukehren, das einzige Land auf der Welt, in dem er sich überhaupt nicht heimisch fühlte, war ihm zuwider. Beste Voraussetzungen, dachte er grimmig, sich erneut in die Öde zu begeben.
SIDI MUBARAK BOMBAY
Bwana Burton bezweifelte Bwana Spekes Behauptung, der zweite große See sei die Quelle des Flusses, den sie Nil nennen. Oder wenn er es sei, dann müsse dies erst noch bewiesen werden, ein Beweis, der nicht geboren wurde, als Bwana Speke mit eigenen Augen einen See erblickte, von dessen Dasein sie schon wußten. Als Bwana Speke und ich unterwegs waren, hatte Bwana Burton in Kazeh eigene Karten skizziert, nach den Angaben von Snay bin Amir und den anderen Arabern, und als wir zurückkamen, haben die Wazungu die Lage des Sees und seine Umrisse auf ihren jeweiligen Karten verglichen, und es gab kaum Unterschiede zwischen den Skizzen von Bwana Burton und den Skizzen von Bwana Speke, und Bwana Burton sagte: Siehst du, du hast dich unnötig verausgabt, wir haben die Fakten im wesentlichen schon gekannt.
— Wahrlich, kein Dolch ist so scharf wie die Zunge des Menschen.
— Nachdem er aber die Karte von Bwana Speke genauer angesehen und die Behauptungen von Bwana Speke angehört hatte, mußte Bwana Burton seine eigene Karte verändern, ihr wißt ja, die Größe des Tieres, das du erlegt hast, hängt von der Größe des Tieres ab, das dein Rivale erlegt haben will. Seine Karte mußte beweisen: Der erste große See ist die Quelle des Flusses, den sie Nil nennen. Eines Abends bin ich in sein Zimmer gegangen, in dem Haus, das er und Bwana Speke in Kazeh bewohnten, ich wollte ihn etwas fragen, und ich sah, wie er gerade zeichnete, er zeigte sich erfreut über meine Anwesenheit und fragte mich ein wenig über die Einzelheiten unserer kurzen Reise zum zweiten großen See aus. Und dann erklärte er mir ausführlich seine Karte, als bedürfe die Wahrheit meiner Zustimmung. Die Namen auf seiner Karte, die er mir vorlas, es waren Namen wie Changanyika und Nyanza, und er muß mein Erstaunen gesehen habe, als er mir erklärte, es gebe für ihn nichts Verrückteres, als fernen Orten im Inneren dieses Landes englische Namen einzubrennen. Auf der Karte konnte ich nicht nur diese zwei Seen erkennen, sondern auch Berge, und ich verstand nicht alles, was er mir erklärte, aber doch soviel, es seien Berge, die keiner von uns gesehen hatte, von denen er aber annahm, es gebe sie, weil seine Bücher davon sprachen, diese Berge, die er die Berge des Mondes nannte und die er so lange auf seiner Karte hin und her geschoben hat, bis sie der Behauptung von Bwana Speke im Wege standen, der zweite große See sei die Quelle.
— Ein Hintern kann nicht zugleich auf einem Pferd und auf einem Esel sitzen.
— Das ist wohl wahr, aber wenn zwei sich streiten, können beide recht haben.
— Baba Sidi, mein Kopf war schon immer ein Faulpelz, und jetzt bin ich zudem noch alt und dieser Abend auch, und ich verstehe kein Wort von dem, was du sagst.
— Egal, es ist egal, Baba Burhan, es geht um zwei Wazungu, die große Berge hin und her schieben, so wie es ihnen gerade gelegen kam.
— Berge, die man nie gesehen hat, kann man leicht verschieben.
— Bwana Burton hat den einen oder anderen Fehler in Bwana Spekes Karten gefunden, er hat ihn auf diese Fehler hingewiesen, und daraufhin hat Bwana Speke seine Zeichnung verändert. Ich habe sie in seinem Zimmer gesehen, er hat den einen See verkleinert und den anderen See vergrößert und die Berge weiter nach Norden versetzt. Ich war verwirrt, weil ich nicht verstehen konnte, wieso die Wazungu, die sonst so gewissenhaft waren, so leichtfertig mit diesen Karten umgingen, für die sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten. Aber als ich mit dem Mganga über dieses seltsame Verhalten der Wazungu sprach, erzählte er mir die Geschichte von den Bergen, von den drei Brüdern, die auf Wunsch ihres Vaters, des Königs der Berge, auf Reisen gingen, und ich habe verstanden, was mir bis dahin verschlossen geblieben war, die Karten der Wazungu waren Märchenerzähler, und Bwana Speke und Bwana Burton wandelten ihre Märchen immer wieder etwas ab, wie es sich für gute Märchenerzähler gehört.
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