— In letzter Zeit sind einige Wagogo nach Sansibar gekommen, und ich habe gehört, es gebe mit ihnen immer Ärger.
— So sind sie, die Wagogo. So wurden sie uns schon beschrieben, als wir sie noch nicht kannten. Wir hatten genug Warnungen erhalten, um uns vor ihnen zu hüten. Sie erwiesen sich als elende Lügner und schlimme Diebe, diese Wagogo aus den Wäldern ohne Bäume, die soviel über uns gehört hatten wie wir über sie, die uns mit heißhungrigen Fragen empfingen, und die uns erst etwas Ziegenmilch anboten, als ihnen die Fragen ausgegangen waren. Stimmt es, fragten sie, diese Weißhäutigen besitzen nur ein Auge und vier Arme? Nein, sagte ich. Das stimmt nicht. Stimmt es, fragten sie, diese Weißhäutigen sind voller Wissen? Nein, sagte ich, sie kennen nicht einmal Magie. Stimmt es, fragten sie, wenn sie durch das Land reisen, fällt vor ihnen Regen, und hinter ihnen bleibt Dürre zurück? Nein, sagte ich, auch sie müssen die Dürre durchschreiten. Stimmt es, fragten sie, diese Weißhäutigen erzeugen die fleckige Krankheit, weil sie Wassermelonen kochen und die Kerne wegwerfen? Nein, sagte ich, das sind Märchen von schwangeren Frauen. Stimmt es, sie erzeugen die Viehseuche, weil sie die Milch kochen und dann hart werden lassen? Nein, sagte ich, auch dies stimmt nicht. Stimmt es, fragten sie, diese Weißhäutigen mit den geraden Haaren sind die Herrscher des großen Wassers? Nein, sagte ich, sie fahren auf dem Meer in Booten, in denen euer ganzes Dorf Platz fände, aber bei Sturm ertrinken sie so, wie du und ich ertrinken würden. Stimmt es, fragten sie, sie sind gekommen, unser Land zu rauben? Unfug! Völliger Unfug! Das sagte Bwana Burton, jedesmal, wenn er sich über die Worte eines anderen Menschen ärgerte. Diese Barbaren, sagte er, je weniger sie besitzen, desto mehr befürchten sie, jemand wolle ihnen das wenige wegnehmen. Sie erinnern mich an die hageren Männer in Somalia, die vor unseren eigenen Augen langsam verhungerten, die aber genug Kraft hatten, um uns lautstark zu verdächtigen, wir würden den Reichtum ihres Landes ausspionieren. Welchen Reichtum denn? Ich weiß nicht wieso, bei diesem Thema redete sich Bwana Burton in Rage. Begreift ihr denn nicht, schrie er mich an, als sei ich die Quelle allen Mißtrauens, was für ein gewaltiges Opfer es für uns wäre, wenn wir uns in eurem Land niederlassen würden, und was für ein wundervoller Segen für euch. Es ist nicht mein Land, sagte ich zu ihm, und ich kann die Ängste dieser Menschen nicht übersetzen. Doch nach dem heutigen Tag, meine Brüder, zweifle ich um so mehr an den Worten von Bwana Burton, sie sind überführt worden von den Flaggen, die heute, hier in Sansibar, von den Wazungu gehißt wurden. Denn so, wie ich die Wazungu kennengelernt habe, sind sie gewiß nicht gewillt, sich für uns zu opfern.
— Und doch sind sie gekommen und scheinen hierbleiben zu wollen.
— Fragt sich nur, ob sie den Armen das wenige wegnehmen wollen, das diese haben, oder ob die Armen nicht so arm sind, wie es den Anschein hat?
— Letzteres, Baba Adam, gewiß letzteres. Nicht ohne Grund hat Bwana Burton einige Male zu mir gesagt: Dieses Land könnte reich sein, du glaubst gar nicht, wie reich es sein könnte. Ich habe an den Reichtum von Bombay und an den Reichtum von Sansibar gedacht und zu Boden geblickt, auf eine rissige Ackerkrume, und ich habe ihm nicht geglaubt. Ich habe mich wohl getäuscht.
Nachdem sie sich durch Steppe, Regenwald, Öde und nutzloses Land geschlagen haben, erscheint ihnen Kazeh, das kleine, staubige und trockene Kazeh, wie eine Oase, wie eine Stadt von Welt. Nach 1000 Meilen, 134 Tage nach dem Aufbruch. Sie marschieren in die Stadt hinein, als hätten sie auf ihrem Weg keine einzige Erniedrigung und keine einzige Verletzung erlitten. Die Belutschen haben in der Früh ihren Säckchen die elegante Kleidung entnommen, die für feierliche Anlässe dieser Art gedacht ist, haben sie angelegt, um wie verwandelt eine Karawane anzuführen, die sich stolz vor den Augen der versammelten Dorfschaft präsentiert, mit Fahnen im Auftrieb, mit tönenden Hörnern und Musketen, die ihre Salutationen bis zur einsetzenden Taubheit wiederholen. Die Einheimischen, die bis zum letzten Greis den Pfad säumen, nehmen die Herausforderung an, sie erwidern das Getöse, Ruf um Ruf, Schall um Schall, Pfiff um Pfiff. Das ganze Dorf begrüßt sie, und doch hat Burton noch keinen ausmachen können, der sie zeremoniell empfangen würde. Er erblickt drei Araber, die in weiße wallende Gewänder gekleidet sind. Sie treten vor und heißen Burton auf das wärmste willkommen, in ihrer eigenen Sprache, denn Omani Khalfan bin Khamis muß Kazeh schon vorher erreicht und sie umfassend über diesen Fremden in Kenntnis gesetzt haben, der fließend und vollendet Arabisch spricht. Sie kosten das seltene Vergnügen aus, indem sie sich aller denkbaren Formeln der Begrüßung bedienen. Sie bitten ihn, wenn er so gütig wäre, ihnen zu folgen, und an ihrer Zielstrebigkeit, an der Art, wie die drei sich wortlos einreihen, erkennt Burton, daß sie die Frage, wer ihn bewirten dürfe, vorausblickend geklärt haben. Burton hält inne. Er hat etwas vergessen. Er dreht sich um und sieht Speke, ein Dutzend Schritte hinter ihm, sein Gesicht kalt und glatt. Burton eilt zu ihm zurück, er entschuldigt sich. Ich muß mich mit ihnen gutstellen, erklärt er, sie werden für uns sehr wichtig sein. Geh schon, sagt Speke mit gespieltem Verständnis, wenn es denn so wichtig ist. Ich werde im Lager nach dem Rechten sehen.
Die Araber zeigen ihm den offenen Platz, auf dem Karawanen ihr Lager errichten können, dann kündigen sie an, ihn in dem Haus eines Händlers unterzubringen, der nach Sansibar zurückgezogen sei. Auf dem kurzen Weg entschuldigen sie sich wortreich, daß er so weit zu Fuß gehen müsse, und Burton beteuert, es sei für ihn keine Belastung. Sie treten ein in ein Haus mit Vordach, und er erkennt, daß die Wände frisch verputzt worden sind und der Boden vor kurzem gefegt. Er wird der Dienerschaft vorgestellt, dann überlassen die Araber ihm das Haus und kündigen an, ihn abzuholen, wenn er sich ausgeruht und frisch gemacht hat. Burton verabschiedet sich von ihnen mit Worten der Dankbarkeit. Eine Weile später bitten sie ihn zu Tisch, um seinen Hunger auf eine richtige Mahlzeit und ihre Neugierde auf seine Expedition zu stillen. Es ist eine offene Einladung, doch Burton bemerkt zu Speke, der inzwischen das zweite Zimmer des Hauses bezogen hat, es sei das beste, wenn er alleine mit den Arabern verkehre, denn in ihrer eigenen Sprache, in der Gegenwart von jemandem, der ihre Bräuche kenne und achte, würden sie sich entspannen, sich öffnen. Natürlich, Dick, sagt Speke, ich würde dir nur im Weg stehen. Sein Tonfall hat sich kein bißchen verändert.
Das Essen wird ihm für immer in Erinnerung bleiben, gefüllte Ziege, saftiger Reis und Truthahn in gut gewürzter Sauce, Hühnerklein und Maniok, das in Erdnußcreme gedünstet worden ist, ein Omelett mit Rosinen, auf dem geklärte Butter zerläuft. Vor allem aber, weil er zum ersten Mal erfährt, aus verläßlicher Quelle, daß es nicht bloß einen großen See gibt, sondern zwei, der eine schnurstracks in östlicher Richtung, der andere schnurstracks in nördlicher. Aber seine Gastgeber, die versammelten Araber von Kazeh, wissen nicht, ob der Nil aus einem dieser Seen nach Norden herausfließt. Sie versprechen, weitere Erkundigungen einzuholen, sie versprechen, ihm zu helfen, soweit sie können, aber zuerst müsse er dem König aufwarten — König Saidi Fundikira, der von seinem Sitz im nahe gelegenen Ititemya aus regiere. Nach dem Essen laden sie ihn zum Gebet ein, sie nehmen an, wer so ausgezeichnet Arabisch spricht, der kann nur ein Moslem sein, und sie sind enttäuscht, als Burton ablehnt. Er muß ablehnen, wegen Said bin Salim und den Belutschen, die jeden frühen Morgen das Gebet beachtet haben und die es nicht verstehen würden, wenn er in der herrschaftlichen Umgebung von Kazeh zu einer Achtung zurückfinden würde, an der es ihm auf der ganzen bisherigen Reise gemangelt hat. Schade, denn er verspürt auf einmal ein starkes Bedürfnis, Zikr zu beten, in einem hingebungsvollen Chor.
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