9.
NAUKARAM
II Aum Vidyaavaaridhaye namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
— Eins verstehe ich nicht. Dein Herr, er war Offizier, und doch scheint er seine Tage nach eigener Lust und Laune gefüllt zu haben?
— Er mußte einige Male nach Mhow reiten. Das war seine einzige Aufgabe, neben den Übungen mit den Sepoy natürlich. Jeden Morgen, außer am Sonntag, da gab es ein gemeinsames Gebet der Firengi. Aber Burton Saheb nahm daran nicht teil, er hatte wenig übrig für den Glauben seiner Leute. Es verwunderte mich. Er war mehr interessiert an Aarti, an dem Freitagsgebet, an Shivaaratri und an Urs. Es war merkwürdig. Ich habe ihn gefragt, später, als ich Fragen stellen durfte, die ein Diener seinem Herren üblicherweise nicht stellt, wieso er dem fremden Gebet näherstand als dem eigenen. Er sagte mir, die eigenen Bräuche seien für ihn nur Aberglaube, Hokuspokus …
— Was war das?
— Leere Sprüche, yantru-mantru-jalajala-tantru. Magie …
— Maya.
— Ja, wenn Sie so wollen. Die fremden Traditionen hingegen seien faszinierend, weil er sie noch nicht durchschaut habe.
— Hat er so lange gebraucht, unseren Aberglauben zu durchschauen? Du hättest ihn zu mir bringen sollen. Die Mantras sind Steine, die sich unsere Brahmanen aus dem Mund ziehen, und wir erstarren in Ehrfurcht, als würden sie uns etwas Wertvolles überreichen. Ist dir aufgefallen, die Zauberer schwenken bei ihren Kniffen oft Fackeln, um uns abzulenken, genauso wie es die Priester während des Aarti tun. Gleiche Handhabung. Gleiche Illusion.
— Ich bin nicht ein so großer Mann wie Sie, ich kann mich nicht darüber lustig machen.
— Meine Worte waren ernst.
— Oim aim klim hrim slim.
— Willst du mich beleidigen!
— Nein, nicht zu dem Preis, den Sie verlangen. Ich kann mir keine Beleidigung leisten. Ich will weitererzählen, wir sollten nicht über uns reden.
— Vor allem solltest du nicht vergessen, wem du Respekt schuldest.
— Sein Regiment hatte eine einzige Aufgabe. Solange wir in Baroda waren, wurde es nur einmal im Jahr eingesetzt. Als Schutz, nein, eher als Ehrung, für den Maharaja, zu Ganesh Tschathurti. Die dreihundert Sepoy und die Offiziere, sie marschierten zum Palast, in ganzer Montur, mit den Musikern, die Teil des Regimentes waren. Sie begleiteten die Prozession zum Vishvaamitra-Fluß. Sie spielten so laut sie konnten, damit alle sie hörten über den Klang der Glocken und der Becken und der Muscheln hinweg. Und als der Maharaja über die Brücke schritt, salutierten sie mit Schüssen. Die Schüsse waren die lauteste Ehrung des Festtages, alle waren äußerst zufrieden.
— Gut, genug, ich war dabei, ich weiß, wie die Firengi ihre Macht demonstrieren. Er hatte also Zeit, er war neugierig, und du hast einen Lehrer für ihn aufgetrieben. Einen geeigneten Lehrer, wie es sich anhört, einen Lehrer von großer Gelehrsamkeit.
— Der beste Lehrer in Baroda. Durch seine Anleitung lernte Burton Saheb unsere Sprachen schnell. Er reiste ein Jahr später nach Bombay, und er glänzte in den Prüfungen, in Hindi und Gujarati. Danach verdiente er auch etwas mehr Geld.
— Das hat er dir gesagt? Das mit dem Geld. Er muß dir wirklich vertraut haben.
— Ansonsten änderte sich wenig. Er übersetzte manchmal beim Gericht. So wie ich ihn kenne, bin ich mir nicht sicher, wie genau er übersetzt hat. Er saß den größten Teil des Tages zu Hause, wie gehabt. Er hatte keine andere Aufgabe, als zu lernen. Er war fleißig, er hat geschuftet wie ein Ochse in einer Ölmühle. Im nächsten Jahr wiederholte sich alles, er ließ sich in Bombay erneut prüfen, dieses Mal in Marathi und Sanskrit. Er hat erneut bestanden, mit Auszeichnung, und er kehrte wiederum nach Baroda zurück, um an seinem Schreibtisch zu sitzen und von mir umsorgt zu werden. Irgendwann werden ihm die Sprachen ausgehen, dachte ich. Er war ein junger Mann. Doch dann, im dritten Jahr, mußten wir Baroda verlassen. Unerwartet. Das war für mich ein schwerer Schlag. Offensichtlich haben seine Herren bemerkt, wie wenig er zu tun hatte. Burton Saheb wurde versetzt, es hätte nicht schlimmer kommen können. Nach Sindh, in die Wüste, ans andere Ende der Thar-Wüste.
— Warte, warte, warte. Wir wissen zuwenig über die Zeit in Baroda. Du überspringst zuviel. Es wäre wichtig zu erfahren, wie dieser Lehrer, wie heißt er noch einmal … Upanitsche … wie er Burton Saheb unterrichtet hat.
— Was hat der Lehrer mit meiner Arbeit gemein? Wieso sollen wir uns damit aufhalten?
— Schließlich hast du ihn ausfindig gemacht, es ist nicht zuletzt dein Verdienst, wenn der Angrezi so erfolgreich gelernt hat.
— Der Lehrer, Upanitsche Saheb, wie ich schon gesagt habe, er war kein üblicher Munshi. Er hat behauptet, Burton Saheb könne nicht wie ein Gujarati sprechen lernen, wenn er nicht wie ein Gujarati esse. Und dann hat er ihm nahegelegt, er solle auf Fleisch verzichten, mehr Gemüse und Nüsse und Früchte essen, öfter kleine Portionen, und nicht diese schweren Mahlzeiten. Die Firengi bildeten sich ein, sagte er, sie hätten Mägen wie Elefanten. Burton Saheb nahm diese fremden Regeln an, er änderte sein Essen, er wies mich an, den Koch entsprechend zu unterweisen, und der Koch war gar nicht glücklich darüber, er war so stolz darauf, einige Gerichte der Firengi gelernt zu haben.
— Ich habe noch nie gehört, daß ein Angrezi so viel arbeitet. Früher hießen sie, ich weiß nicht, ob du dich daran erinnern kannst: jene, die nicht arbeiten müssen.
10.
EINER, DER WIE EIN FELSEN SITZT
Endlich ein Auftrag, der den Alltag aufbrach, den schon nach einer Woche starren Alltag. Er sollte einem Vertreter der Ostindischen Gesellschaft Begleitschutz bieten, ihn wohlbehalten nach Mhow bringen, wo der andere Teil seines Regimentes stationiert war. Der Auftrag war leicht zu erfüllen. Immerhin würde er die Stadt verlassen können, solange die kühlere Jahreszeit währte. Bevor sie aufbrachen, sprach der Mann ein Gebet, eines jener Gebete, die den Anschein erweckten, Gott habe eine persönliche Vormundschaft über diesen seinen Schutzbefohlenen übernommen. Er verlor kein Wort über seine Arbeit — vielleicht hatte er, als lizenzierter Händler, der Opium aus Malwa nach China verschiffte, den Gürtel seines Gewissens etwas lockern müssen. Sie nahmen den Weg nach Osten, in Richtung des Narmada-Flusses. Zu ihrer Linken trottete eine Ziegenherde. Sie erreichten Kelenpur, ein Dorf. Dann Jambuwa, ein Fluß ohne Wasser. Was hat es zu bedeuten, daß die Flüsse alle weiblich sind? Lauter Göttinnen, um genau zu sein. Burtons Versuch, eine Konversation in Gang zu bringen, wurde mit einem mißbilligenden Blick quittiert. Unweit des Wegrandes saßen einige Entwurzelte mit Frauen und Kindern, kochten an einem Lagerfeuer. Sie erreichten Dhaboi, ein altes Fort, dessen Baumeister in den Festungsmauern lebendig eingegraben wurde. Ein Grunzen war die einzige Reaktion auf diese Auskunft. Dieser Mann war ein Haus mit zugenagelten Fenstern und Türen. Burton gab die Suche nach einem geeigneten Thema auf. In der Ferne zeichnete sich die Vindhyachal-Kette ab. Sie überquerten die Narmada bei Garudeshwar. Heiliger als jeder andere Fluß, bemerkte Burton. Er war nicht gewillt, das Schweigen hinzunehmen. Wußten Sie eigentlich, die Befreiung von der Sünde dauert am Jamuna-Fluß sieben Tage, am Saraswati drei Tage und am Ganges einen Tag, aber schon der Anblick der Narmada reicht aus, um aus aller Schuld entlassen zu werden. Raffinierter Mythos, meinen Sie nicht auch? Dreckwasser, sagte der Opiumhändler. Mit reinigenden Eigenschaften, erwiderte Burton. Der Opiumhändler gab seinem Pferd die Sporen. Burton holte ihn bald ein. Ich fürchte, sagte er, Sie kennen den Weg nicht. Und mit unserem Führer werden Sie sich schwer verständigen können. Er spricht ein abgerissenes Hindustani und nur ein einziges Wort Englisch: shortcut. Unverschämtheit, murmelte der Opiumhändler. Ein faszinierendes Detail noch über die Ganga. Weil sie so viele Menschen reinwäscht, wird sie selber unrein. Einmal im Jahr nimmt sie die Form einer schwarzen Kuh an und wandert zur Narmada, um in ihr zu baden, nicht unweit von hier. Das Dorf heißt … Bewahren Sie Haltung, Mann. Der Opiumhändler erhob zum ersten Mal seine Stimme. Sie haben recht, ich verliere mich in Details. Viel wichtiger, wenn die Kuh aus dem Wasser steigt, ist sie weiß, ganz und gar weiß. Tüfteln Sie das mal aus. Worauf Burton sein Pferd nach vorne trieb.
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