»Ja, mache ich sofort. Aber drei Kilo würden Herkules auf keinen Fall schaden. Und dir übrigens auch nicht, mein Schatz. Deine neue Freundin hält euch ja offensichtlich etwas kurz. Wenn ich die letzten Abende nicht gekocht hätte …« Sie lässt offen, was dann gewesen wäre.
Was sie damit sagen will, verstehe ich nicht. Es klingt aber nicht so, als ob es unbedingt nett gemeint war. Kurz gehalten? Bezieht sich das etwa auf meine Beine? Aber für die kann Carolin ja gar nichts. Und sie sind wegen meines Terrier-Vaters auch eher ein Stück länger als bei Dackeln üblich. Außerdem ist Marc ziemlich groß. Das kann es also auch nicht sein. Aber was meint sie dann?
»Mutter, Carolin ist eine ausgezeichnete Köchin. Aber sie ist gleichzeitig eine berufstätige Frau, sie hat also gar nicht die Zeit, mich ständig zu verpflegen. Das muss sie auch nicht. Ich bin schließlich schon groß und kann mir im Zweifel selbst ein Brot schmieren.«
Frau Wagner schnappt hörbar nach Luft. »Na ja, mein Junge. Man muss wissen, wie man seine Prioritäten setzt. Nicht jede Frau stellt immer den Beruf an erste Stelle.«
Jetzt ist es an Marc, tief einzuatmen. Fast scheint es, als wolle er noch etwas sagen. Dann aber nimmt er nur die Akte, die ihm seine Mutter entgegenhält, und geht wieder ins Behandlungszimmer zurück.
Kurze Zeit später ist Lucys Problem anscheinend gelöst und Marc mit seiner Sprechstunde fertig.
»So, Herkules, dann wollen wir mal in deine alte Heimat starten. Hoffentlich klappt diese Ponygeschichte gleich. Ich könnte einen Erfolg bei Carolin momentan gut gebrauchen. Irgendwie läuft es gerade nicht ganz rund bei uns, mein Freund.«
Es läuft nicht rund? Bei Marc und Carolin? Was denn? Also, laufen tut doch sowieso nie jemand von den beiden. Marc springt in sein Auto, sobald er die Praxis verlässt. Und Carolin fährt eigentlich immer Fahrrad. Wenigstens geht sie noch mit mir spazieren, in letzter Zeit absolviert sie dabei aber auch nur das absolute Pflichtprogramm. Also, dass es mit dem Laufen ein Problem gibt, ist eine Diagnose, die ich schon vor Monaten hätte stellen können.
Wir verlassen das Haus, Marc verfrachtet mich – natürlich! – kurzerhand auf den Beifahrersitz seines Autos und fährt los. Es ist ziemlich viel Verkehr auf den Straßen. Als wir wieder einmal anhalten müssen, fasst Marc mit seiner rechten Hand kurz unter meinen Bauch.
»Also, mein Lieber, es tut mir leid, dir das so sagen zu müssen: Aber du hast eine ganz schöne Wampe bekommen. Meine Mutter kocht jetzt seit zwei Wochen für uns, und du hast schon mindestens ein Kilo zugenommen. Wenn das in dem Tempo weitergeht, können wir dich bald rollen. Ich glaube, ich muss mal dein Fressen rationieren. Übergewicht ist gar nicht gesund, schon gar nicht für Hunde mit so einem langen Rücken.«
Ich starre Marc fassungslos an. Was fällt dem ein? Ich bin doch nicht dick ! Und falls ich tatsächlich ein klein wenig zugelegt haben sollte, dann eindeutig nur, weil ich in letzter Zeit zu wenig Auslauf habe. Marc nimmt die Hand zurück und legt sie wieder ans Steuer.
»Aber andererseits: Warum soll es dir besser gehen als mir? Mich mästet sie ja auch. Ist eben meine Mutter. Ich hoffe nur, sie fällt Caro noch nicht auf die Nerven. Vielleicht war meine Idee mit der Krankheitsvertretung doch nicht so gut.«
Dazu kann ich wenig sagen. Also, sagen kann ich natürlich sowieso nichts. Aber selbst wenn ich könnte – ich finde es schön, dass Frau Wagner nun da ist. Auch wenn ich ein klitzekleines bisschen zugenommen haben sollte. Und Luisa ist glücklich, ihre Oma so oft zu sehen. Denn die kümmert sich nicht nur um die Praxis, sondern auch um Luisas Hausaufgaben. Vor dem Abendessen zeigt Luisa ihr jetzt immer ihre Schulhefte, und Oma Wagner sagt ihr, ob sie das richtig oder falsch gemacht hat. So lernen Menschenkinder lesen und schreiben. Ob ich das auch könnte? Wäre bestimmt spannend. Ich würde mir ein Buch schnappen und diese Zeichen anstarren, und dann würden auch in meinem Kopf Bilder entstehen. Bei einem Buch über die Jagd bestimmt welche von Füchsen und Kaninchen.
Das Auto wird langsamer, ich schaue aus dem Fenster. Wir haben die Stadt verlassen und fahren an einem Wäldchen vorbei. Marc biegt von der großen Straße ab, jetzt geht es direkt durch den Wald. Von hier oben aus dem Auto heraus ist es sehr schwer zu erkennen – aber ich glaube, dies ist bereits die Auffahrt zum Schloss! Aufgeregt hüpfe ich auf dem Sitz auf und ab.
»Da freust du dich, nicht? Aber bleib noch sitzen, wir halten ja gleich an.«
In diesem Moment taucht auch schon das Schloss auf. Es ist im Wesentlichen ein riesiges weißes Haus mit einem großen Portal in der Mitte und zwei hohen Türmen an der Stirnseite. Davor ein Schlossplatz mit einem Springbrunnen und dahinter ein riesiger Park. Marc parkt sein Auto auf dem Schlossplatz und lässt mich heraus. Ich atme tief ein und genieße den Geruch, der immer noch so viel von Heimat für mich hat. Klar, ich wohne jetzt schon mehr als mein halbes Leben bei Carolin, aber den Ort, an dem man seine Kindheit verbracht hat, vergisst man wohl nie.
Und er vergisst einen auch nicht: In diesem Moment kommt meine Schwester Charlotte auf mich zugeschossen. Sie wedelt wie wild mit dem Schwanz und kann nur mühsam vor meinen Pfoten bremsen.
»Carl-Leopold! Das ist ja toll! Du bist es wirklich!« Sie schlabbert mir über die Schnauze, dann setzt sie sich. »Immer, wenn der Tierarzt kommt, renne ich sofort zu seinem Auto in der Hoffnung, dich mal wiederzusehen. Schade, dass du so selten mitkommst.«
»Tja, ich bin ja meistens bei meinem Frauchen in der Werkstatt. Aber heute hat Marc selbst daran gedacht, dass er mich mitnehmen könnte. Er will irgendetwas über eure Pferde und Ponys wissen.«
Charlotte schaut erstaunt. »Nanu? Ich glaube, die sind alle gesund. Ansonsten sind die ja sooo langweilig. Furchtbar dumme Tiere. Gänzlich uninteressant. Was will er denn mit denen?«
»Ich habe es auch nicht ganz verstanden. Aber Marc hat eine Tochter, Luisa, und die mag Ponys. Damit hat es irgendwas zu tun. Und mit ihren Freundinnen.«
»Aha. Menschenkinder und Ponys. Der Alte wird begeistert sein. Ich glaube, wenn es nach ihm ginge, wären die Gäule schon längst abgeschafft. Aber die junge Gräfin ist auch so ein Pferdenarr – und deswegen bleiben die Viecher. Sag mal, was ganz anderes«, Charlotte mustert mich, »hast du irgendwie zugenommen? Du siehst so … so … kräftig aus.«
Jetzt fängt die auch noch damit an!
»Vielleicht ein ganz kleines bisschen. Aber ich glaube eher nicht.« Ich hoffe eher nicht! Was wird sonst Cherie denken, wenn wir uns das nächste Mal begegnen? Golden Retriever sind extrem sportliche Zeitgenossen, ich kann mir nicht vorstellen, dass ein kleiner, dicker Dackel bei ihr besonders gut ankommt. Ich versuche, mein Bäuchlein einzuziehen und Charlotte besonders selbstbewusst anzustrahlen.
»Du hast nicht zugenommen? Okay, dann bilde ich es mir wohl ein. Ist ja auch kein Wunder – der Alte drillt hier alle Hunde auf schlanke Linie, ein Stück Herz zu viel, und es gibt Ärger. Selbst hinter mir ist er her, obwohl ich doch Emilia gehöre und sowieso nicht zur Zucht tauge.«
Emilia ist die Köchin auf Schloss Eschersbach. Als der alte Schlossherr auf die glorreiche Idee verfiel, uns beide Mischlingskinder ins nächste Tierheim zu verfrachten, beschloss Emilia, wenigstens eines von uns aufzunehmen. Warum ihre Wahl gerade auf Charlotte fiel, weiß ich nicht. Vielleicht Solidarität unter Frauen?
Mittlerweile steht auch der alte von Eschersbach neben uns und unterhält sich mit Marc. Ich kann mir nicht helfen, und auch, wenn ich längst ein erwachsener Dackel bin: Vor dem Alten habe ich immer noch Angst. Neben Marc sieht er nicht einmal besonders imposant aus, für einen Menschen eher schmal und gebrechlich, aber sobald ich seine schnarrende Stimme höre, werde ich ganz unruhig. Brrr, besser ich stromere ein wenig mit Charlotte herum.
Читать дальше