»Übliches Frühstück. Obstsaft, ein Ei, Haferflocken. Und ein Glas Milch.«
»Streichen Sie seinen Namen vom Operationsprogramm«, sagte Meomartino. »Setzen Sie ihn für übermorgen an, verdammt.«
»Oh, und Toast auch«, sagte der Patient.
Meomartino sah die Hausärzte an. »Können Sie sich vorstellen, was geschehen wäre, wenn wir den Dickdarm beim Vorhandensein dieses kompakten Stuhls aufgemacht hätten? Können Sie sich vorstellen, durch einen solchen Mist hindurch Blutgefäße abzuklemmen? Können Sie sich das Übermaß an Infektionsmöglichkeiten vorstellen? Nein, wahrscheinlich können Sie es erst, wenn Sie es selbst erlebt haben.«
»Doktor«, sagte der Patient ängstlich, »soll ich den Rest stehenlassen?«
»Sie lassen sich Ihr Huhn jetzt gut schmecken«, sagte er. »Morgen früh werden Sie die Diät bekommen, die Sie heute hätten bekommen sollen, eine flüssige Diät. Wenn irgend jemand versucht, Ihnen morgen etwas Festeres als Gelee zu geben, essen Sie es nicht und lassen Sie mich sofort holen,comprende?«
Der Mann nickte.
Seltsamerweise wußte keine der Schwestern, wer Mr. Roche das Frühstück und Mittagessen serviert hatte.
Zwanzig Minuten später saß Meomartino in seinem Büro. Er bereitete eine Dienstbeschwerde gegen die unbekannte Schwester vor, welche die beiden Tabletts ser-viert hatte, und unterzeichnete sie mit einem zornigen Gekritzel.
Nachmittags kam ein Anruf von Longwood.
»Ich bin durchaus nicht glücklich über die Zahl der Bewilligungsscheine für Obduktionen, die Sie abgeliefert haben.«
»Ich habe mein Bestes getan«, sagte er.
»Surgical Fellows an anderen Stationen haben doppelt soviele Bewilligungen erhalten wie Sie.«
»Vielleicht gab es auf ihren Stationen mehr Todesfälle.«
»An unserer eigenen Abteilung hat ein anderer Chirurg in diesem Jahr weitaus mehr Bewilligungen bekommen als Sie.«
Er brauchte Longwood nicht nach dem Namen des Chirurgen zu fragen. »Ich werde mir in Zukunft größere Mühe geben«, sagte er.
Kurz darauf kam Harry Lee ins Büro.
»Ich habe soeben eins aufs Dach gekriegt, Harry. Dr. Longwood will mehr Obduktionsbewilligungen von mir haben. Ich werde diesen Anschnauzer an jeden Hausarzt weitergeben, der an einem meiner Fälle arbeitet.«
»Wir sind nicht jedesmal, wenn wir einen Patienten verloren haben, vor der Familie auf die Knie gefallen«, sagte der chinesische Facharztanwärter. »Das wissen Sie selbst. Wenn sie einer Obduktion zugestimmt haben, dann haben wir ihre Unterschriften bekommen. Wenn sie triftige persönliche Gründe für die Ablehnung haben ...« Er zuckte die Achseln.
»Longwood wies darauf hin, daß Adam Silverstone viel mehr Zustimmungen eingebracht hat, als ich.«
»Ich wußte nicht, daß Sie beide miteinander im Wettstreit liegen.« Lee sah ihn neugierig an.
»Jetzt wissen Sie es.«
»Jetzt weiß ich es. Soll ich Ihnen verraten, wie einige Stationen die Bewilligungen bekommen?«
Rafe wartete.
»Sie treiben den Hinterbliebenen den Widerstand mit Angst aus, deuten an, daß die ganze Familie den Keim zu irgendeiner geheimnisvollen Krankheit in sich tragen könnte, die auch den Patienten tötete, und daß durch eine Obduktion der Chirurg nur ihr Leben retten will.«
»Das ist ekelhaft.«
»Stimmt. Wollen Sie, daß auch wir damit anfangen?«
Rafe sah ihn an und lächelte. »Nein, tun Sie einfach nur Ihr Möglichstes. Wie viele Bewilligungsscheine haben wir letzten Monat eingereicht?«
»Keinen«, sagte Lee.
»Verdammt.«
»Wir konnten nicht gut Obduktionsbewilligungen bekommen«, sagte Lee milde.
»Warum zum Teufel nicht?«
»Weil wir letzten Monat auf der Station keinen Patienten verloren haben.«
Ich will mich nicht entschuldigen, dachte er. »Das bedeutet, daß ich euch allen ein Fest schulde.«
Lee nickte. »Sie oder Silverstone.«
»Ich werde es geben«, sagte Meomartino. »Ich habe eine Privatwohnung.«
»Adam hat jetzt auch eine Wohnung, soviel ich höre«, sagte Lee. »Zumindest wohnt er nicht mehr im Krankenhaus.«
Dort also geht Liz hin, dachte Meomartino betäubt.
Lee lächelte.»Une necessite d'amour, vielleicht. Selbst auf Formosa hatten wir solche Arrangements.«
Zu seinem Ärger merkte Meomartino, daß er wieder die Engel auf der Taschenuhr mit dem Daumenballen rieb.
»Sie können die Nachricht verbreiten«, sagte er. »Das Fest findet bei mir statt.«
Liz war entzückt.
»Oh, ich liebe Feste. Ich werde die Gastgeberin sein, die dir Onkel Harlands Stellung einträgt, wenn er in Pension geht«, sagte sie, zog die langen Beine auf die Couch und füllte einen Schmierblock mit einer Liste alles dessen, worum man sich kümmern mußte, Schnaps, Canapes, Blumen, Servierhilfe .
Er erinnerte sich plötzlich voll Unbehagen, daß die meisten Leute auf der Station nicht an große Blumenrechnungen oder Dienstbotengehälter gewöhnt waren, wenn sie einander bewirteten.
»Wir wollen es ganz einfach machen«, sagte er. Sie schlossen einen Kompromiß: nur einen Barmann und Helga, die Frau, die für sie regelmäßig stundenweise arbeitete.
»Liz«, sagte er, »ich wäre dir dankbar, wenn du nicht .«
»Ich werde keinen Tropfen trinken.«
»Das ist nicht nötig. Nur übertreib es nicht.«
»Keinen Tropfen. Laß mich dir beweisen, daß ich es kann«, sagte sie.
Der Waffenstillstand mit dem Tod war nicht von Dauer. Am Freitag, dem Tag vor dem Fest, bekam Melanie Bergstrom eine Lungenentzündung. Angesichts einer rasch steigenden Temperatur und der Tatsache, daß beide Lun-gen betroffen waren, pumpte sie Kender mit Antibiotika voll.
Peggy Weld saß neben dem Bett ihrer Schwester und hielt ihre Hand unter dem Rand des Sauerstoffzeltes. Meomartino fand Ausreden, um ins Zimmer zu kommen, aber Peggy interessierte sich nicht für ihn. Ihr Augen waren auf das Gesicht ihrer Schwester geheftet. Er hörte nur einmal ein Gespräch.
»Durchhalten, Baby«, befahl Peggy.
Melanie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, die durch ihr mühsames Atmen ausgetrocknet waren. »Du wirst dich um sie kümmern?«
Der Sauerstoff zischte laut.
»Was?«
»Ted und die Mädchen.«
»Hör zu«, fauchte Peggy. »Ich habe dein ganzes Leben lang deine Dreckarbeit gemacht. Du wirst dich selbst um sie kümmern.«
Melanie lächelte. »Ah, Peg.«
»Du wirst jetzt nicht nachgeben!«
Aber am frühen Morgen starb sie in der Abteilung für Intensivpflege.
Joan Anderson, die kleine blonde Lernschwester, entdeckte es.
Joan war ruhig und diszipliniert, aber nachdem sie Meomartino die Meldung gemacht hatte, begann sie zu zittern.
»Schicken Sie sie heim«, sagte er zu Miss Fultz.
Aber die Oberschwester hatte hundert junge Mädchen erlebt, die plötzlich vor der Realität des Todes gestanden waren. Für den Rest des Tages teilte sie Miss Anderson den unangenehmsten Patienten der Abteilung zu, Männern und Frauen, die überflossen von Verbitterung und Selbstmitleid.
Meomartino wartete auf Peggy Weld, als sie ins Krankenhaus kam.
»Hallo«, sagte er.
»Guten Morgen. Wissen Sie, wie es meiner Schwester geht?«
»Setzen Sie sich einen Augenblick und plaudern wir miteinander.«
»Es ist vorbei, nicht?« sagte sie leise.
»Ja«, sagte er.
»Arme Mellie.« Sie wandte sich zum Gehen.
»Peg«, sagte er, aber sie schüttelte den Kopf, ging weiter und verließ das Krankenhaus.
Einige Stunden später kam sie zurück, um die Sachen ihrer Schwester abzuholen. Sie war blaß, hatte jedoch trok-kene Augen, was ihn bekümmerte. Er hatte das Gefühl, daß sie eine Frau war, die warten würde, bis sie völlig allein war, und wenn es Wochen dauern sollte, dann aber einen hysterischen Anfall bekommen würde.
»Fühlen Sie sich wohl?« fragte er.
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