Wieder kam ein Taxi in Sicht, glitt vorbei, aber dann blieb es stehen, drei Meter vor ihnen, und zwei Männer stiegen aus.
»So komm doch«, sagte er und zog sie hinter sich her. »Bevor es uns entwischt.« Er rief nach dem Taxi, während sie ausrutschten und dahinschlitterten. Die beiden Männer waren jetzt ausgestiegen und kamen auf sie zu, und er sah, daß der eine Meomartino und der andere Dr. Longwood war. Der Alte sollte in einer solchen Nacht nicht ausgehen, dachte er.
Er zog sie nicht weiter. Sie sackten einfach zusammen und warteten. Meomartino starrte sie an, als er sie erreichte, sagte jedoch nichts.
»Wo bist du gewesen?« fragte Dr. Longwood. »Wir haben dich überall gesucht.« Er warf einen Blick auf Adam. »Wo haben Sie sie gefunden?«
»Hier«, sagte Adam.
Er wurde sich bewußt, daß ihr Arm noch immer um seinen Hals lag, daß er sie noch immer um die Taille hielt. Er machte sich los und übergab sie Meomartino, der stumm wie ein Fisch war und ihn anstarrte.
»Ich danke Ihnen sehr«, sagte Longwood steif. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Ihr Mann und ihr Onkel teilten sich die Last und brachten sie zum Taxi. Die Tür öffnete sich und schloß sich endlich, der Motor heulte auf, die Hinterräder drehten durch. Matsch flog zurück und traf ihn wie eine Strafe am rechten Hosenbein, aber das war schon naß, und es kümmerte ihn nicht, denn er erinnerte sich an den verklemmten Reißverschluß.
»Taxi«, murmelte er hoffnungslos, als ein besetztes gelbes Taxi aus der Finsternis auf ihn zuschoß.
In den folgenden Tagen wartete er, an einer schweren Erkältung leidend, daß Longwood Blitz und Donner auf den Verführer seines Fleischs und Bluts herunterprasseln lassen würde. Der Alte konnte ihn auf alle möglichen Arten vernichten. Aber zwei Tage nach der Katastrophe vor dem Hotel hielt ihn Meomartino im Aufenthaltsraum der Chirurgen auf. »Meine Frau erzählte mir, daß Sie, als ihr schlecht wurde, so freundlich waren, sich beträchtliche Mühe zu machen, um ihr ein Taxi zu verschaffen.« Seine Augen sahen ihn herausfordernd an.
»Nun ...«
»Es war ein Glück, daß Sie sie zufällig getroffen haben. Ich möchte mich bei Ihnen bedanken.«
»Nicht der Rede wert.«
»Sie wird Ihre Hilfe bestimmt nicht wieder brauchen.« Meomartino nickte und ging, irgendwie Sieger. Nie hatte Adam soviel Abneigung und soviel Respekt empfunden. Was war aus seiner Revanche geworden, fragte er sich.
Longwoods Wut brach nicht über ihn herein. Adam arbeitete schwer, blieb im Krankenhaus und verbrachte seine dienstfreien Stunden in seinem Zimmer oder in der Patho-logie oder im Tierlabor. Er erbte alle möglichen chirurgischer Fälle, einen Blinddarm, eine Gallenblase, mehrere Magenoperationen, weitere Hautverpflanzungen bei Mr. Grigio.
Mrs. Bergstrom bekam ein Weihnachtsgeschenk: eine Niere. In der vorletzten Dezembernacht schmiß ein plötzlicher sonntäglicher Schneesturm vier Zoll reines Weiß auf die schmutzige Stadt herunter. Jenseits des Flusses, in Cambridge, stahl der sechzehnjährige, stockbesoffene Sohn eines berühmten Gelehrten einen Wagen, und als er vor dem Polizeifahrzeug davonsauste, das ihn vorsichtig über die Schneeglätte des Memorial Drive verfolgte, fuhr er an einen Betonpfeiler und war auf der Stelle tot. Seine kummervollen Eltern verlangten nur, nicht genannt zu werden, um der unbarmherzigen Publicity zu entgehen, und spendeten die Augenhornhaut des Jungen der Augenklinik und je eine Niere dem Bringham- und dem Suffolk-County-Krankenhaus. Adam saß bei Kender und quälte sich mit dem Problem ab, welche Dosis immunounter-drückende Medikamente man Mrs. Bergstrom mit der neuen Niere geben sollte.
Kender entschied sich für 130 mg Imuran.
»Ihre Nierenfunktion ist sehr niedrig«, sagte Adam zweifelnd.
»Wären 100 mg nicht genug?«
»Das letzte Mal habe ich 90 mg gegeben«, sagte Kender, »und sie stieß die Niere entschieden ab. Ich will sie nicht wieder das Ganze durchmachen lassen.« Sie operierten nach Mitternacht, und als man Mrs. Bergstrom aus dem Operationssaal brachte, gab die neue Niere Urin ab.
Am Silvesterabend war Adam wieder im Operationssaal und bereitete sich auf eine Milzoperation bei dem ersten betrunkenen Fahrer vor, der so vernünftig gewesen war, sich die Milz nur zwei Wohnblöcke vom Krankenhaus entfernt auf der Autobahn zu zerreißen. Adam wartete, die behandschuhten Hände auf der Brust gekreuzt, mit Harry Lee als Assistenten. Norm Pomerantz gab die allgemeine Anästhesie, wobei die Dosierung nicht einfach war, weil sich der Mann bereits mit Alkohol betäubt hatte. Es war sehr still im OP.
»Es ist zwölf Uhr, Adam«, sagte Lee.
»Ein glückliches Neues Jahr, Harry.«
Am folgenden Abend studierte Adam, besorgt über die Medikamentendosierung, die Kender Mrs. Bergstrom gegeben hatte, ihre Aufzeichnungen stundenlang, fand jedoch keine Beruhigung in ihnen, gab schließlich auf und schlief über seinem Heft ein, den Kopf auf den Armen. Er träumte von Zimmer 314 und der Frau; die Gestalt, die sich ihm anbot, verschmolz mit einer anderen, wurde schlanker, fester und weniger reif, bis er Gaby liebte, statt einen Ritus mit Liz Meomartino durchzuführen.
Als er erwachte, lachte er sich aus.
Irgendwie aber wußte er, daß der Mann, der schließlich bei Gaby Pender landete, sich nie sorgen müßte, wenn er einen anderen Arzt heimsandte, um einige Glasplättchen abzuholen.
Bei ihr gab es andere Probleme. Gut, daß er das verrückte kleine Weibstück los war, sagte er sich.
Eine Stunde später ging er zum Telephon und wählte ihre Nummer.
Er erwartete Susan Haskell, aber statt der Stimme der Zimmergenossin war es ihre, die Hallo sagte.
»Gaby?«
»Ja.« »Hier Adam.«
»Oh.«
»Wie ist es dir gegangen?«
»Fein. Das heißt, zunächst nicht, aber jetzt.«
»Wirklich?« fragte er sehnsüchtig.
»Ja.«
»Mir nicht. Glückliches Neues Jahr, Gaby.«
»Glückliches Neues Jahr, Adam.«
»Gaby, ich -«
»Adam.« Sie hatten gleichzeitig gesprochen, und jetzt warteten sie beide.
»Ich muß dich sehen«, sagte er.
»Wann?«
»Ich habe heute abend Dienst. Höre, komm um neun Uhr auf den Parkplatz des Krankenhauses. Falls ich nicht gleich auftauche, warte auf mich.«
»Wieso glaubst du, daß ich gelaufen komme, wenn du mit dem Finger schnalzt?« fragte sie kalt. »Und wartend herumstehe?«
Er erschrak, Verdruß und großes Bedauern erfüllte ihn.
»Oh, Adam, mir geht's auch nicht gut«, platzte sie heraus. Sie lachte und weinte gleichzeitig, seines Wissens das einzige Mädchen, das das zustande brachte. »Ich bin dort, Liebling. Adam-Liebling.« Und legte auf.
DRITTES BUCH
Der Kreis schließt sich Frühling und Sommer
12
ADAM SILVERSTONE
Adam hatte ruhig und sehr ausführlich mit Gaby gesprochen, als sie auf dem Parkplatz des Krankenhauses in dem blauen Plymouth saßen, bei aufgedrehter Heizung, während draußen der Schnee fiel; das Blinklicht eines Krankenwagens blinzelte sie an, bis eine Schicht Weiß die Windschutzscheibe so dicht bedeckte, daß die restliche Welt ausgeschlossen war.
»Es war meine Schuld«, sagte er. »Ich werde es nie wieder zulassen, daß wir einander das antun.«
»Du hast mich fast erledigt. Ich konnte nicht einmal mehr mit einem anderen Mann reden.«
Er schwieg.
Es blieben noch andere unerfreuliche Tatsachen, denen man sich stellen mußte.
»Mein Vater ist ein hoffnungsloser Alkoholiker. Derzeit scheint er sich zu beherrschen wenn man das so nennen kann. Aber er ist schon früher einmal schwer zusammengebrochen und wird es wahrscheinlich wieder. Wenn es soweit ist, werde ich jeden Cent, den ich zusammenkratzen kann, brauchen, um ihn in Pflege zu geben. Ich kann nicht heiraten, solange ich nicht in der Lage bin, etwas Geld zu verdienen.«
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