»Das ist wie ... wie bei Tieren.«
»Wir sind Tiere. Es ist nichts dabei, Tier zu sein.«
»Aber wir sollten mehr sein.«
»Das ist nicht immer möglich.«
Der Nebel zerriß. Adam sah einen ungeheuren Sonnenreflektor durch den Dunst schimmern, viel mehr Ozean, als er je gesehen hatte. Der Strand war breit, weiß, nur an den höher gelegenen Rändern von Strandgut und Treibholz gesäumt, an der tiefergelegenen Küste glänzend und hart und von Brechern glattgehämmert, so daß er in der Sonne funkelte.
»Ich wollte, daß du das siehst«, sagte sie. »Hier saß ich immer und sagte mir, wenn man dort unten alle die scheußlichen Schmerzen und das Leid aufhäufte, würde sie die Flut wegschwemmen.«
Er dachte darüber nach, als sie zu seinem Entsetzen einen freudigen Schrei ausstieß und vor seinen Augen über den Rand des Abgrunds verschwand, der weit unten in einem schwindelerregenden Winkel von mindestens hundert Grad endete. Ihre Sitzbacken hinterließen in dem weichen roten Sand eine gerade Furche. Im nächsten Augenblick lachte sie von unten zu ihm herauf. Es blieb ihm nur eines übrig. Er setzte sich auf den Rand, schloß die Augen und glitt hinunter. Die Allmacht schleuderte ihn lodernd in furchtbarem Verderben und Brand aus den ewigen Himmeln hinab in bodenlose Verdammnis. John Milton. Er hatte Sand in den Schuhen, und zweifellos war seine Scholle nicht groß genug gewesen: sein Gesäß war aufgeschunden. Das Mädchen bog sich vor Lachen. Als er die Augen öffnete, sah er, daß sie, wenn sie glücklich war, äußerst hübsch war; nein, mehr als das, sie war das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte.
Sie kämmten den Strand ab, fanden eine Anzahl stinkender Schwämme, aber keinen Schatz; beobachteten einen Hundshai, der mit wellenförmiger Bewegung durch eine klare kleine Bucht zog; hoben acht unzerbrochene Seeigel auf; gruben roten Ton aus der Klippe und formten einen Topf, der zerbrach, als ihn die kalte Brise getrocknet hatte.
Als sie zu frieren begannen, versuchten sie erfolglos, den Sand aus ihren Schuhen zu klopfen, kletterten die steile Klippe über die altersschwache Holztreppe empor und gingen in die warme Hütte zurück. Die Sonne strömte durch das Fenster und übergoß das verbeulte Sofa. Während er im Kamin Feuer machte, legte sie sich nieder, und als es prasselte, machte sie Platz für ihn; er legte sich neben sie, und sie schlossen die Augen und ließen den Sonnengott ihre Welt in einen großen roten Kürbis verwandeln.
Nach langer Zeit öffnete er die Augen, rollte sich herum, küßte sie sehr zart und berührte sie noch zärtlicher mit den Fingerspitzen. Ihre Lippen waren warm und trocken und salzig. Es war still, mit Ausnahme der Brandung und dem Gekreisch einer Möwe draußen, dem Knistern des Feuers und ihres Atmens drinnen. Er berührte ihre kleine, feste Brust durch das blaue Wollhemd, und sie dachten beide an ihren Vater, als er die gleiche Geste in ein verächtliches Brandmal verwandelte, mit dem er seine Frau gezeichnet hatte.
Das hier ist etwas anderes, sagte er ihr stumm. Verstehe es. Bitte verstehe es. Er konnte in ihr ein schwaches Zittern wie einen unterdrückten Schauer spüren, mehr Angst als Verlangen, die sich irgendwie, trotz all der Mädchen und Frauen, die er besessen hatte, auf ihn übertrug, so daß auch er zu zittern begann; dennoch ließ er seine Hand weiter den Raum zwischen ihnen überbrücken, bis er spürte, daß das Zittern nachließ, seines und ihres.
Diesmal küßte sie ihn, zuerst zögernd, und dann in einem Gefühlsausbruch, als wollte sie ihn verschlingen, und es erschütterte ihn; schließlich trennten sie sich in stummer Übereinkunft und halfen einander hastig mit Dingen wie Knöpfen, Reißverschlüssen und Schnallen. Es war, wie er es erwartet hatte: keine weißen Stellen, keine Trägerzeichen, sah er mit flüchtigen Blicken, die seine Beine unter ihm wegzogen.
»Du hast einen kleinen Dickbauch«, bemerkte sie.
»Ich bin regelmäßig gelaufen«, sagte er, sich verteidigend.
»Du bist sehr fest«, sagte er.
»Nicht immer.«
Dann lagen sie wieder dicht beieinander. Gott, wie süß in der warmen Sonne! Sie küßte sein beschädigtes Ohr und weinte, und er erkannte mit einem plötzlichen neuen Gefühl, daß er nichts nehmen wollte, er sehnte sich nur danach, zu geben, ihr zärtlich alles, was er in der Welt besaß, zu geben, alles, das Adam Silverstone war.
Schließlich verspürten sie Hunger.
»Morgen«, sagte sie, »stehen wir rechtzeitig für die frühe Flut am Head-of-the-Meadow auf. Ich fange dir einige kleine, aber dicke Flundern, und du kannst sie als guter Chirurg für mich putzen, und ich röste sie dir auf Holzkohle, eingerieben mit frischem Zitronensaft und einer Menge Butter.«
»Mmm .« Dann: »Aber was ist mit heute?«
»Heute ... wir haben noch einige Eier übrig.«
»Glaube ich nicht.«
»Portugiesische Suppe?«
»Was ist das?«
»Specialite de la region. Nudeln und Gemüse, hauptsächlich Kohl und Tomaten, mit Schweinefleisch zusammen gekocht. In Provincetown gibt es ein gutes Lokal. Mit heißem knusprigem Weißbrot serviert. Dazu gutes kaltes Bier vom Faß, wenn du magst.«
»Gemacht, Charlie.«
»Ich bin kein Charlie.« Sie funkelten einander an, und er grinste.
»Das habe ich gemerkt.«
Sie wanderten im Zimmer herum, hoben hingeworfene Kleidungsstücke vom Fußboden auf, zogen sich nur leicht verlegen an, gingen dann zum Wagen hinaus und fuhren langsam durch den vollkommenen Tag die Route 6 hinunter, an den Dünen vorbei, die fünf Meilen nach Province-town. Sie aßen die Suppe, die heiß und rauchig schmeckte, voll köstlicher Fleischstücke, gingen dann, als ein Boot einlief, an den Fischkai, und Gaby handelte schamlos, bis sie für fünfunddreißig Cents eine noch immer um sich schlagende wunderschöne große Flunder kaufte, als Versicherung gegen die Möglichkeit, daß es am nächste Mor-gen regnete oder sie verschlafen und nicht fischen gehen würden.
Als sie in die Hütte zurückkamen, legte sie den Fisch in den Eisschrank, kam zu ihm, nahm sein Gesicht in ihre Hände und hielt es fest. »Deine Hände riechen nach Flunder«, klagte er, küßte sie dann lange und sah sie an, und sie wußten beide, daß er sie wieder lieben würde, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, sich den Fischgeruch von den Händen wegzuwaschen.
»Adam«, sagte sie mit schwankender Stimme, »ich will dir sechs Kinder schenken. Mindestens sechs. Und fünfundsiebzig Jahre lang mit dir verheiratet sein.«
Verheiratet, dachte er.
Kinder?
Dieses verrückte Weibsbild.
»Gaby, hör zu ...«, sagte er ängstlich.
Sie zog sich zurück, und er griff wieder nach ihr, um sie festzuhalten, während er sprach, aber sie wollte nichts davon hören. Sie sah ihn fest an.
»Oh, Herrgott«, sagte sie.
»Hör zu .«
»Nein«, sagte sie. »Ich will nichts hören. Ich bin nicht sehr geschickt. Es ist keine Überraschung für mich, ich habe es immer gewußt. Aber du. Gott«, sagte sie. »Armer Adam. Du bist ein - ein Nichts.«
Sie lief ins Badezimmer und versperrte die Tür. Er hörte kein Weinen, aber nach einer Weile kam das Geräusch von etwas Schrecklichem, das stoßweise Geräusch von Speien, das Ziehen der Wasserspülung.
Mit einem tiefen Schuldgefühl klopfte er an die Tür. »Gaby, fühlst du dich nicht wohl?«
»Geh zum Teufel«, keuchte sie, und jetzt weinte sie.
Nach langer Zeit hörte er das Geräusch von fließendem Wasser, als sie sich wusch, und endlich öffnete sich die Tür, und sie erschien.
»Ich will weg«, sagte sie.
Er trug die Reisetaschen zum Wagen, sie drehte das Gas ab und versperrte die Tür von innen und kletterte durch das Fenster, an dem er die Bretter wieder festmachte. Als er versuchte, sich hinter das Lenkrad zu setzen, fauchte sie ihn an. Sie fuhr selbstmörderisch, bis sie schließlich auf der Route 128 in Hingham ein Strafmandat wegen überhöhter Geschwindigkeit bekam, wobei der Polizist als Hüter und Bewahrer der öffentlichen Sicherheit bissig und sarkastisch war.
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