Ich möchte mit Ihnen an einem Regennachmittag fernsehen und Ihnen die Hälfte meiner Haferflockenkekse schenken.
Sie warf ihm schnell einen Blick zu, sichtlich verblüfft.
Ich möchte über Ihre Wortspiele kichern, gleichgültig, wie pathetisch sie sind.
Ich möchte von Herzen über alle Ihre Witze lachen, selbst wenn sie mir unverständlich sind. Seine Finger flogen dahin, spielten Läufe und freudige kleine Lachausbrüche, und sie wandte ihm den Kopf zu ... und ... ah, sie lächelte!
Ich möchte diesen amüsierten afrikanischen Mund küssen. Vorsicht, heimtückische Gitarre.
Du bist eine schwarze Blüte, die nur ich auf diesem wunderbaren schmutziggrauen Strand entdeckt habe.
Jetzt war die Musik kaum mehr unerotisch zu nennen. Sie flüsterte ihr ins Ohr, streichelte sie.
Das Lächeln verblaßte. Jetzt wandte sie das Gesicht von seinen Augen ab.
Ich muß mein Gesicht in dem runden Braun deines Bauchs vergraben.
Jetzt träume ich davon, nackt mit dir zu tanzen, dein Gesäß in meinen Handflächen.
Das Mädchen stand auf. Sie hob ihre Decke auf, ohne sie zu falten, und verließ den Strand, sie ging schnell, vermochte jedoch nicht, ihren wunderbaren Gang zu verbergen, zu verstellen oder zu ruinieren.
Gottverdammte heißärschige Gitarre.
Er hörte zu spielen auf und sah erst jetzt einen Wald häßlicher Knie vor sich. Die vier Kerle, der Dicke, die beiden Kinder und einige Fremde standen wie erstarrt neben seiner Decke.
»Huui«, flüsterte er, ihr nachblickend.
Die folgenden sechsunddreißig Stunden waren arg. Noch am selben Abend bereitete er vier Patienten für einen chirurgischen Eingriff vor, eine Aufgabe, die er haßte; den Bauch oder den Hodensack eines Patienten zu rasieren, mit dem Messer in unerwartete Muttermale zu geraten, unvermutete Flecken abzuschneiden und widerborstige kleine Haarbälge, die der schärfsten Klinge spotteten, war etwas ganz anderes, als das eigene, wenn auch häßliche Gesicht zu rasieren. Er assistierte Silverstone am Montagmorgen getreulich bei einer Blinddarmoperation und durfte zur Belohnung ein übles Paar infizierter Mandeln ausschälen.
Dienstag, acht Uhr früh, war er dienstfrei und um zehn Uhr dreißig auf dem Strand. Der Vormittag war bedeckt und windig, und als er hinkam, waren nur sehr wenige
Leute da. Er sah den Möwen zu und lernte eine Menge über leichte Aerodynamik. Um etwa elf Uhr dreißig brach die Sonne durch, er fror nicht mehr so, und als er vom Mittagessen zurückkam, waren allmählich mehr Leute eingetroffen, aber es blieb leicht windig, und von dem Mädchen keine Spur.
Er verbrachte den frühen Nachmittag damit, auf der Suche nach sinnlichen braunen Beinen über andere zu steigen. Aber er fand das richtige Paar nicht, daher übte er Kraulen und Hand-über-Hand-Schwimmen, schlief etwas, wobei er von Zeit zu Zeit mit einem jähen Ruck erwachte, sich aufsetzte und auf dem Strand herumstarrte. Schließlich las er eine Sechsjährige namens Sonja Cohen auf, und sie bauten aus Sand Jerusalem, ein interkonfessionelles Bauprojekt, das um vier Uhr sieben von einer römischen Welle zerstört wurde. Das kleine Mädchen setzte sich ans Wasser und weinte.
Er verließ den Strand im allerletzten Augenblick, kehrte gerade noch rechtzeitig ins Krankenhaus zurück, um ganz schnell zu duschen, und meldete sich in der Abteilung zum Dienst, immer noch mit leicht knirschendem Sand aus Sonjas Schaufel auf der Kopfhaut.
Die Schicht in der Abteilung war langweilig, aber leichter zu ertragen. Er hatte sich mittlerweile mit der Tatsache abgefunden, daß er das Mädchen nie wiedersehen würde, und er war zu der Überzeugung gelangt, daß sie nicht so auffallend gewesen sein konnte, wie in seiner Erinnerung. Am Donnerstagabend stellte der Kretin Potter in einer Selbstdiagnose einen Virus fest, was wahrscheinlich bedeutete, daß er etwas ganz anderes hatte, und befahl sich ins Bett. Adam stellte die Diensteinteilung um, mit dem Ergebnis, daß Spurgeon vier Stunden Dienst in der Unfallstation bezog.
Als er dort eintraf, saß Meyerson trübsinnig auf einer Bank und las eine Zeitung.
»Was muß ich über den Betrieb hier wissen, Maish?«
»Sehr wenig, Doc«, sagte der Fahrer. »Merken Sie sich eines: Wenn jemand hereinkommt, der aussieht, als kratzte er ab, dann weisen Sie ihn in eine der Abteilungen ein. Schnell. Alte ungeschriebene Regel.«
»Warum?«
»In Stoßzeiten ist dieser Laden gerammelt voll. Manchmal müssen die Patienten lange warten. Sehr lange. Es spricht sich herum, daß irgendwer im Unfall abgekratzt ist, und das erste, was die Leute denken, ist, daß in dieser gottverdammten Station jeder stirbt, bevor sich einer um ihn kümmert.«
Dies veranlaßte Spurgeon, sich auf eine anstrengende Arbeit gefaßt zu machen, aber es wurden vier ruhige Stunden, überhaupt nichts von der wahnwitzigen Tätigkeit, die er erwartet hatte. Er las die einzige Notiz auf dem Wandbrett dreimal,
An: Das gesamte Personal
Von: Emmanuel Brodsky, R. N., Ph. B., Chefpharmazeut Betrifft: Fehlende Rezeptblöcke
Der pharmazeutischen Abteilung kam zur Kenntnis, daß in den vergangenen zwei Wochen eine Anzahl von Rezeptblöcken verschiedener Kliniken als fehlend gemeldet wurden. Im Sommer dieses Jahres entdeckte man, daß auch eine gewisse Menge von Barbituraten und Amphe-taminen fehlte. Wegen des zunehmenden Mißbrauchs von Rauschgiften legt die pharmazeutische Abteilung dem Personal nahe, weder Rezeptformulare noch Drogen und Medikamente an Stellen zu hinterlassen, wo sie in unverantwortliche Hände fallen können.
Am frühen Abend brachte Maish eine Alkoholikerin herein, die Spur nicht sehr überzeugend erzählte, die Quetschungen an ihrem mißhandelten Körper rührten von einem Sturz auf der Treppe her. Er wußte, daß sie jemand -ihr Mann, ein Liebhaber? - geschlagen hatte. Die Röntgenaufnahmen erwiesen sich als negativ, aber er wartete mit der Entlassung, bis er, der Krankenhausregel folgend, daß nur vorgesetzte Fachärzte endgültige Anordnungen über Unfallpatienten treffen dürften, einen Oberarzt herbeigerufen hatte. Adam hatte einen freien Abend und arbeitete in Woodborough. Endlich kam Meomartino und schickte die Frau zu heißen Bädern heim. Es war genau das, was er selbst zwanzig Minuten früher getan hätte, dachte Spurgeon, und hielt Krankenhausregeln für läppisch.
Kurz nach zehn Uhr abends kam ein farbiges Paar namens Sampson mit seinem vierjährigen Kind, das schrie und aus einer zerschnittenen Handfläche blutete. Nachdem er Glassplitter entfernt hatte, legte er ein Dutzend Nähte an; der kleine Junge war irgendwie vom Waschbecken im Badezimmer heruntergefallen, während er eine Medizinflasche in der Hand hielt.
»Was war in der Flasche?«
Die Frau blinzelte. »Irgendein altes Zeug. Ich habe vergessen, was. Es war rötlich. Ich hatte es schon sehr, sehr lange.«
»Sie haben Glück. Er hätte den Inhalt auch trinken können. Jetzt wäre er vielleicht tot.«
Sie schüttelten verständnislos den Kopf, als spräche er eine fremde Sprache.
Diese Leute, dachte er.
Er konnte ihnen nur eine kleine Flasche Ipecac geben und hoffen, daß sie, falls der Junge je etwas Giftiges, aber Nichtätzendes schluckte, daran denken würden, ihm sofort eine Dosis davon zu geben, so daß er speien würde, während sie auf den Arzt warteten.
Falls sie einen Arzt rufen, dachte er.
Knapp nach Mitternacht brachte ein Polizeistreifenwagen Mrs. Therese Donnelly herein; sie war angeschlagen, aber wütend.
»Ich habe ein Rätsel für Sie. Was wird aus einem Iren, wenn man ihn zum Polizisten macht?«
»Ich passe«, sagte er.
»Ein Engländer.« Der Polizist an ihrer Seite bewahrte sorgfältig eine ausdruckslose Miene.
Mrs. Donnelly war einundsiebzig. Sie war mit ihrem Wagen mit voller Wucht an einen Baum gefahren. Sie hatte sich bei dem Aufprall den Kopf angeschlagen, behauptete jedoch, sie fühle sich wohl. Es war erst der dritte Unfall, den sie in mehr als achtunddreißig Jahren vorsichtigen Fahrens gehabt hatte, betonte sie.
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