»Mach dir nichts draus«, sagte sie schließlich und drückte ihn sanft nach hinten, bis er rücklings mit geschlossenen Augen auf der Matratze lag; die Sprungfedern seufzten, als sie aufstand.
Sie war eine sehr erfahrene Frau.
Als er nach ganz kurzer Zeit die Augen öffnete, stand ihr Gesicht dicht vor seinem und verdeckte die ganze Welt für ihn, ein sehr ernstes Gesicht, wie das eines kleinen Mädchens, das in ein Problem versunken ist; dort, wo sich die Nasenflügel an der grausam gebogenen Nase weiteten, begann Schweiß zu schimmern, die grauen Augen waren sehr groß, die Iris flammender Jett, die Pupillen warm und feucht, allumfassend; die Augen wurden größer und größer, bohrten sich in seine und sogen seinen Blick an, bis er es zuließ, daß der seine in sie hineinglitt, tief, tief, mit einer Zärtlichkeit, die seltsam und neu war. Vielleicht, Gott, dachte er flüchtig, ein eigenartiger Augenblick, um religiös zu werden.
Monate später, als sie zum erstenmal jenen Morgen in Worte zu fassen und zu erörtern vermochten - es war lange bevor sie wieder rastlos geworden war und er begonnen hatte, ihre Liebe wie Sand zwischen seinen Fingern verrieseln zu spüren -, erzählte sie ihm, daß sie sich ihrer Erfahrenheit geschämt hatte und traurig gewesen war, ihm nicht das Geschenk der Unschuld machen zu können.
»Wer kann das schon?« hatte er sie gefragt.
Jetzt wurde das stöhnende Geräusch der in den Rohren gefangenen Luft zu einem hohlen Pfeifen. Angewidert gab Meomartino jeden Versuch auf, sich auf die schriftlichen Arbeiten zu konzentrieren, und schob den Stuhl zurück.
In der Tür erschien Peggy Weld mit geröteten Augen und das Gesicht von allem Make-up reingewaschen. Ihr Maskara muß zerflossen sein, sagte er sich.
»Wann wollen Sie meine Niere herausnehmen?«
»Ich weiß es nicht genau. Es sind viele Vorbereitungsarbeiten zu machen. Tests und solche Dinge.«
»Wollen Sie, daß ich ins Krankenhaus ziehe?«
»Wenn es soweit ist, ja, aber noch nicht gleich. Wir verständigen Sie, wenn es an der Zeit ist.«
Sie nickte. »Vergessen Sie lieber, daß ich Ihnen erzählt habe, ich sei im Hotel zu erreichen. Ich werde bei meinem Schwager und den Kindern in Lexington wohnen.«
Mit dem frischgewaschenen Gesicht war sie unendlich anziehender, dachte Meomartino.
»Wir nehmen die Sache in Angriff«, sagte er.
6
SPURGEON ROBINSON
Spur lebte genau im Mittelpunkt einer ihm vertrauten Insel, die sich mit ihm bewegte, wohin er auch ging. Einige Patienten schienen dankbar für seine Hilfe zu sein, aber er wußte, daß andere ihre Augen nicht von dem Purpur seiner Hände auf ihrer blassen Haut losreißen konnten. Eine uralte Polin stieß seine Finger von ihrem verrunzelten Bauch dreimal zurück, bis sie ihm erlaubte, ihr Abdomen abzutasten.
»Sie Arzt?«
»Ja.«
»Echter Arzt? Auf Schule gewesen, und so alles?«
»Ja.«
»Na ja ... ich weiß nicht ...«
Bei den Negerpatienten war es meistens leichter, aber nicht immer, da ihn einige automatisch für einen Überläufer hielten: Wenn ich hier niggerarm und voller Schmerzen im Bett liege, und der Weiße da die ganze Zeit an mir herumbohrt und mir wehtut, was hast dann du in diesem weißen Anzug und einem feinen Leben zu suchen?
Er fühlte sich nie ganz wohl in seiner Rolle als Neger in einem Intelligenzberuf, umgeben von Weißen, so wie es zum Beispiel für die Orientalen im Stab ganz selbstverständlich war, voll anerkannt zu werden. Eines Tages sah er im OP Dr. Chin und Dr. Lee warten, um Dr. Kender als dem chirurgischen Chefstellvertreter in seinen Operationsanzug hineinzuhelfen. Alice Takayawa, eine der Anästhesieschwestern, Tochter eingewanderter Japaner und in erster Generation Amerikanerin, also einenisei, hatte soeben einen Hocker dicht an den Kopf des Patienten gerückt und setzte sich nieder. Dr. Chins Gesicht war ausdruckslos, als er Dr. Kender die Handschuhe geöffnet hinhielt.
»Sir, Sie kennen ja wohl das Blaue Team und auch das Rote Team?«
Dr. Kender wartete.
»Darf ich Ihnen das Gelbe Team vorstellen?«
Der Ausspruch rief großes Gelächter hervor, wurde im ganzen Krankenhaus herumgetragen und machte die chinesischen Ärzte noch beliebter, als sie es schon vorher gewesen waren. So etwas hätte Spur in nüchternem Zustand einem weißen Vorgesetzten niemals über seine Farbe sagen können. Seine Freundschaft mit Adam Silverstone ausgenommen, wußte er von Stunde zu Stunde nie wirklich, wie er mit dem übrigen Stab stand.
Als er eines Morgens um drei Uhr eben auf seinem Weg zu einer Kaffeepause allein dahinschlenderte, sah er Lew Holtz und Ron Preminger einen dritten Spitalarzt, Jack Moylan, im Gang aufhalten. Sie flüsterten mit heftig zitternden Schultern und vielen verstohlenen Blicken in Richtung Unfallstation miteinander. Moylan zog zuerst eine Grimasse wie bei einem schlechten Geruch, dann jedoch grinste er und ging zur Unfallstation.
Holtz und Preminger gingen breit grinsend durch die Halle hinunter, und beide sagten Hallo zu Spur. Holtz sah aus, als wollte er stehenbleiben und noch etwas sagen, aber Preminger zupfte ihn am Ärmel, und sie gingen weiter.
Spurgeon hatte noch zehn Minuten frei. Er schlenderte selbst langsam zur Unfallstation.
Ein schwarzer Junge - vermutlich sechzehn Jahre alt -saß auf der Holzbank allein in dem nur schwach erhellten Gang. Er sah Spurgeon an. »Sind Sie ein Spezialist?«
»Nein. Nur ein Spitalsarzt.«
»Wieviele Ärzte braucht man? Ich hoffe, sie kommt wieder in Ordnung.«
»Bestimmt sorgt man gut für sie«, sagte er vorsichtig. »Ich bin gerade auf einen Kaffee heruntergekommen. Willst du einen?«
Der Junge schüttelte den Kopf.
Spur warf zwei Münzen in die Kaffeemaschine, zog den vollen Becher heraus und setzte sich neben den Jungen auf die Bank. »Unfall?«
»Nein . Ah, es ist etwas Persönliches. Ich habe es dem Doktor drinnen erklärt.«
»Oh.« Spurgeon nickte. Langsam schlürfte er den Kaffee. Jemand hatte einenDaily Record auf der Bank liegengelassen. Das Boulevardblatt war vom Druck der Sitzbak-ken nur leicht zerknittert, und er hob es auf und las die Baseballberichte.
Zwei Türen weiter unten kam Jack Moylan aus der Unfallstation. Spurgeon meinte ihn lachen zu hören, als er die Halle hinunterging. Jedenfalls sah er, wie Moylan den Kopf schüttelte.
»Jetzt paß auf. Ich bin Arzt«, sagte Spurgeon. »Wenn du mir sagst, was geschehen ist, kann ich vielleicht helfen.«
»Haben die hier viele farbige Ärzte?«
»Nein.«
»Wir, äh, haben geparkt, ja?« sagte der Junge, der beschlossen hatte, ihm zu trauen.
»Ja.«
»Wir haben das gemacht. Sie wissen, was ich meine?«
Spurgeon nickte.
»Bei ihr war es zum erstenmal. Nicht bei mir. Das, äh, Ding rutschte von mir herunter und blieb in ihr drin.«
Wieder nickte Spurgeon, schlürfte Kaffee und hielt die Augen auf den Becher gerichtet.
Er begann das Ausspülen zu erklären, aber der Junge unterbrach ihn.
»Sie verstehen nicht. Ich habe alles darüber gelesen. Aber wir konnten es nicht einmal aus ihr herauskriegen. Uuh, wurde sie hysterisch! Wir konnten nicht zu meinem Bruder oder auch nicht zu ihrer Mutter gehen. Die hätten uns umgebracht. Daher habe ich sie direkt hier hergebracht. Der Doktor da drinnen hat fast eine Stunde lang Spezialisten hineingerufen.«
Spurgeon trank seinen Kaffee aus und stellte den Becher sorgfältig auf die Zeitung. Er stand auf und ging in die Unfallstation.
Sie waren in einem Untersuchungszimmer mit zugezogenen Vorhängen. Das Mädchen hielt die Augen geschlossen. Ihr Gesicht, der Wand zugekehrt, war wie eine geballte braune Faust. Sie lag in Lithotomiestellung auf dem Tisch, die Füße in den Steigbügeln. Potter, der durch einen otolaryngologi schen Kopfspiegel, der ein Auge bedeckte, spähte, verwendete eine dünne Stablampe als Zeigestab und hielt einem Spitalsarzt, der hinter dem Kopf des Mädchens stand, einen gelehrten Vortrag. Der Spitalsarzt war aus der Anästhesiologie. Spurgeon kannte seinen Namen nicht. Er krümmte sich vor stummem Gelächter.
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