»Diese Wendung hört man oft genug«, fuhr Ray fort. »Aber man trifft kaum jemals einen Menschen, der tatsächlich versucht, seine eigene Großmutter zu verkaufen.«
»Warum nicht?«, fragte die Frau.
»Fünfzig Mücken«, sagte Ray.
»Unerhört«, sagte die Frau. »Er ist mit >Zehn< ausgezeichnet.«
»Nein, fünfzig für die Großmutter, mit der Ray ausgeht«, sagte Charlie. »Der Frosch ist nicht zu verkaufen, Ma’am. Tut mir leid. Er ist fehlerhaft.«
»Warum stellen Sie ihn dann ins Regal? Warum ist er ausgezeichnet? Ich sehe keinen Fehler.«
Offensichtlich konnte sie nicht erkennen, dass der dämliche Porzellanfrosch nicht nur in ihren Händen leuchtete, sondern mittlerweile sogar pulsierte. Charlie beugte sich über den Tresen und nahm ihn ihr weg.
»Er ist radioaktiv, Ma’am. Tut mir leid. Sie können ihn nicht kaufen.«
»Ich bin nicht mit ihr ausgegangen«, sagte Ray. »Ich bin nur auf die Philippinen geflogen, um mich mit ihr zu treffen.«
»Er ist nicht radioaktiv«, sagte die Frau. »Sie wollen nur den Preis in die Höhe treiben. Gut, ich gebe Ihnen zwanzig dafür.«
»Nein, Ma’am. Es ist eine Frage der öffentlichen Sicherheit«, sagte Charlie und versuchte, ein besorgtes Gesicht zu machen, presste den Frosch an seine Brust, als wollte er sie vor gefährlicher Strahlung schützen. »Und außerdem ist er wirklich lächerlich. Ihnen wird aufgefallen sein, dass dieser Frosch ein Banjo mit nur zwei Saiten spielt. Im Grunde ein Hohn. Warum lassen Sie sich nicht von meinem Kollegen einen trommelnden Affen zeigen. Ray, würdest du dieser jungen Dame bitte einen Affen vorführen?« Charlie hoffte, dass er mit der »jungen Dame« Punkte sammeln konnte.
Die Frau trat vom Tresen zurück, hielt ihre Handtasche wie einen Schild vor sich. »Ich weiß gar nicht, ob ich bei zwei Geisteskranken überhaupt etwas kaufen möchte.«
»Hey!«, protestierte Ray, als wollte er sagen, hier gäbe es nur einen Geisteskranken, und er sei es nicht.
Dann tat sie es. Eilig trat sie an ein Schuhregal und nahm ein Paar rote Converse All Stars Größe 43. Auch diese leuchteten. »Die möchte ich.«
»Nein.« Charlie warf den Frosch über seine Schulter hinweg Ray zu, der ihn beinah fallen ließ. »Die sind auch unverkäuflich.«
Die Frau in Tweed steuerte rückwärts die Tür an, hielt die Schuhe hinter ihrem Rücken. Charlie folgte ihr den Gang entlang, versuchte, sich die All Stars zu greifen. »Her damit!«
Als die Frau mit dem Hintern an die Tür stieß und das Glöckchen darüber bimmelte, blickte sie auf, und Charlie legte los, täuschte links an, scherte nach rechts aus, griff um sie herum und bekam die Schnürsenkel zu fassen, dazu eine Handvoll vom breiten Tweedarsch. Eilig zog er sich an den Tresen zurück, warf Ray die Schuhe zu, dann drehte er sich um und ging in Sumo-Stellung, um es mit der Tweed-Frau aufzunehmen.
Sie stand noch immer an der Tür und sah aus, als könnte sie sich nicht entscheiden, ob sie entsetzt oder angewidert sein wollte. »Leute wie Sie gehören eingesperrt. Ich werde Sie beim Verbraucherschutz und bei der Handelskammer melden. Und Sie, Mr. Asher, können Miss Severo sagen, dass ich wiederkommen werde!« Damit war sie draußen und verschwand.
Charlie wandte sich zu Ray um. »Miss Severo? Lily? Sie wollte Lily sprechen?«
»Sozialarbeiterin«, sagte Ray. »Sie war schon ein paarmal da.«
»Du hättest auch was sagen können.«
»Ich wollte ihr doch was verkaufen.«
»Und Lily…«
»Hat sich durch die Hintertür verdrückt, als sie die Frau gesehen hat. Sie wollte auch prüfen, ob die Entschuldigungen für Lilys Fehlen rechtmäßig waren. Ich habe dafür gebürgt.«
»Also: Lily geht ab sofort wieder zur Schule, und von jetzt an komm ich wieder zur Arbeit.«
»Prima. Da kam heute dieser Anruf – ein Nachlass in Pacific Heights. Bergeweise hübsche Frauenkleider.« Ray tippte auf einen Notizzettel auf dem Tresen. »Dafür bin ich nicht wirklich qualifiziert.«
»Ich mach das schon, aber vorher haben wir noch einiges nachzuholen. Häng das >Geschlossen<-Schild raus und schließ die Ladentür ab, okay, Ray?«
Ray rührte sich nicht. »Klar, aber… Charlie, bist du sicher, dass du schon wieder arbeiten kannst?« Ray nickte zu den Schuhen und dem Frosch auf dem Tresen hinüber.
»Ach, die… ich glaube, mit denen stimmt was nicht. Siehst du denn nichts Ungewöhnliches?«
Ray sah noch mal nach. »Nein.«
»Und fandest du es auch nicht merkwürdig, dass sie sich – als ich ihr den Frosch weggenommen hatte – sofort auf ein paar Turnschuhe gestürzt hat, die ganz offensichtlich nicht ihre Größe waren?«
Ray wägte die Wahrheit gegen den hübschen Deal ab, den er hier hatte, mit einer Wohnung, schwarzem Einkommen und einem Boss, der ein echt netter Kerl gewesen war, bevor er irgendwo falsch abgebogen war, und er sagte: »Ja, die war irgendwie schon komisch.«
»Aha!«, sagte Charlie. »Ich wünschte nur, ich wüsste, woher ich einen Geigerzähler nehmen soll.«
»Ich besitze einen Geigerzähler«, sagte Ray.
»Ach, ja?«
»Klar, soll ich ihn holen?«
»Später vielleicht«, sagte Charlie. »Schließ erst mal ab und hilf mir, ein paar Sachen einzusammeln.«
Im Laufe der nächsten Stunde sah Ray zu, wie Charlie scheinbar wahllos Gegenstände aus dem Laden ins Hinterzimmer schaffte, wobei er Ray anwies, sie unter gar keinen Umständen wieder hervorzuholen und nicht zu verkaufen. Dann holte er den Geigerzähler, den er bei einem guten Geschäft gegen einen unbespannten, übergroßen Tennisschläger getauscht hatte, und testete jeden einzelnen Gegenstand so, wie Charlie es ihm aufgetragen hatte. Natürlich waren sie tot wie Lehm.
»Und du siehst auch nicht, dass dieser Haufen leuchtet?«, fragte Charlie.
»Tut mir leid.« Ray schüttelte den Kopf und war etwas verlegen. »War aber ein guter erster Tag wieder bei der Arbeit«, sagte Ray, um ihn zu beruhigen. »Vielleicht solltest du Feierabend machen, nach dem Baby sehen und morgen früh zu dieser Nachlassgeschichte fahren. Ich pack das Zeug hier in eine Kiste und beschrifte sie so, dass Lily nichts davon verkauft.«
»Okay«, sagte Charlie, »aber wirf es auch nicht weg. Ich finde schon noch eine Erklärung.«
»Jede Wette, Boss. Wir sehen uns morgen früh.«
»Ja, danke, Ray. Dann kannst du nach Hause gehen, wenn du fertig bist.«
Charlie kehrte in seine Wohnung zurück und betrachtete auf dem Weg seine Hände, um sicherzugehen, dass dieses rote Leuchten nicht abgefärbt hatte, aber alles schien normal zu sein. Er schickte Jane nach Hause, fütterte und badete Sophie und las ihr zum Einschlafen ein paar Seiten aus Schlachthof 5 vor, dann ging er früh zu Bett und schlief unruhig. Am nächsten Morgen kam er wie gerädert zu sich, dann setzte er sich abrupt im Bett auf, mit großen Augen und rasendem Herzen, als er den Zettel auf seinem Nachtschränkchen liegen sah. Schon wieder. Dann fiel ihm auf, dass es gar nicht seine Handschrift war und auf dem Zettel eine Telefonnummer stand, und er seufzte. Es war der Termin für diesen Nachlass, den Ray für ihn vereinbart hatte. Er hatte ihn auf den Nachtschrank gelegt, um ihn nicht zu vergessen. Mr. Michael Mainheart stand da geschrieben, » hochwertige Frauenkleidung und Pelze «, doppelt unterstrichen. Die Telefonnummer hatte eine Vorwahl in der Nähe. Er nahm den Zettel, und darunter lag ein weiteres Blatt Papier, mit demselben Namen in seiner eigenen Handschrift, darunter die Zahl Fünf. Er konnte sich nicht erinnern, irgendwas davon geschrieben zu haben. In diesem Augenblick zog etwas Großes, Dunkles am Schlafzimmerfenster im ersten Stock vorbei, doch als er hinsah, war es nicht mehr da.
Eine Nebeldecke lag über der Bay, und von Pacific Heights aus sah man die großen, orangefarbenen Türme der Golden Gate Bridge aus dem Nebel aufragen wie die Möhrennasen schlafender Zwillingsschneemänner. Auf den Heights hatte die Morgensonne den Himmel bereits aufgebrochen, und überall eilten Arbeiter herum und pflegten Gärten, in denen Villen standen.
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