»Ich habe mit Sitt Alejja Mohammed, unserer Nachbarin, der Lehrerin, ausgemacht, daß sie mir Stunden gibt.«
»Ach, wirklich?« rufe ich erstaunt.
»Ja, wir haben uns über alles geeinigt.«
»Das ist ja ganz hervorragend, Zuchra! Wie bist du denn auf den Gedanken gekommen?«
Stolz entgegnet sie: »Das war ganz allein meine Idee!«
»Ja, schon, aber wer hat dich daraufgebracht?«
»Ich habe mir gesagt, daß ich nicht ein ganzes Leben lang ein dummes, kleines Mädchen bleiben will. Außerdem habe ich noch ein anderes Ziel.«
»Nämlich was für eins?«
»Ich will einen Beruf lernen.«
»Das ist ja wirklich fantastisch, Zuchra, wunderbar!« rufe ich und sehe sie voller Glück und Stolz an.
Glück und Stolz erfüllen mich immer noch, als ich später allein in meinem Zimmer sitze. Es gießt in Strömen. Das Tosen der Wellen in abgehackten Rhythmen spricht seine unbekannte Sprache. Dann ebbt meine Euphorie ab, wird allmählich zu kühler Gleichgültigkeit, und schließlich spüre ich wieder meine übliche Depressivität. Wenn man sich auf einen Höhepunkt zubewegt, denkt man daran, daß ihm das Abgleiten in das Tief folgt, und wenn man sich stark fühlt, daran, daß man bald wieder schwach sein wird. Das Gefühl der Unschuld und Freiheit gemahnt einen an Verdorbenheit und Einengung, Hoffnung läßt an Verzweiflung denken. Wieder einmal finde ich keinen, gegen den sich mein heftiger Zorn richten könnte, außer Sarhan al-Buheri!
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Wir setzen uns unter den Blaugummibaum im Casino am Nilufer. Die sinkende Sonne gießt ihre Strahlen über uns aus und bringt die beißende Kälte von Kairo allmählich zum Schmelzen.
»Ich hätte nicht kommen dürfen!« sagt sie und meidet meinen Blick.
»Aber nun bist du gekommen und hast damit deine Unschlüssigkeit überwunden«, will ich sie beruhigen.
»Nichts ist überwunden, glaub mir!«
Fest entschlossen, mich in den Abgrund zu stürzen, sehe ich sie an: »Ich bin überzeugt, daß dein Kommen…«
»Die Sache ist ganz einfach die, daß ich nicht mit deinen Briefen allein bleiben wollte.«
»Ich glaube nicht, daß meine Briefe irgend etwas Neues enthalten.«
»Aber du hast sie an jemanden gesandt, den es gar nicht mehr gibt!«
Ich greife nach ihrer Hand, die auf dem Tisch liegt, als ob ich ganz sichergehen will, daß sie wirklich hier bei mir ist. Doch sie zieht sie zurück und spricht weiter: »Du hast sie vier Jahre zu spät geschickt!«
»Sie sprechen von Tatsachen, die Zeit und Ort überdauern!«
»Siehst du denn nicht, daß ich schwach und unglücklich bin?«
»Glaubst du denn, ich bin es nicht? In den Augen unserer Freunde bin ich ein Spitzel, in meinen eigenen Augen ein Betrüger, und ich habe niemanden außer dir.«
»Was für ein Trost!«
»Wenn ich ihn nicht mehr habe, bleiben mir nur noch der Tod oder der Wahnsinn!«
Sie seufzt nervös auf und sagt leise: »Ich war im Grunde schon immer eine untreue Frau!«
»Nein, du warst ein Musterbeispiel für falsche Treue.«
»Aber das ist doch nur ein anderes Wort für die Treulosigkeit, den Betrug, die mir solche Schuldgefühle bereiten und mich fast zerrissen haben!«
»Wir haben nicht den geringsten Grund, uns innerlich zerrissen zu fühlen«, entgegne ich zornig, »das ist der Kern unserer Tragödie!«
Wir blicken auf den bleigrauen Nil und seine kaum erkennbaren Wellen. Meine Hand stiehlt sich unter dem Tisch zu ihrer, schließt sich zärtlich um sie und hält sie trotz ihres leichten Widerstands fest.
»Wir sollten uns nicht von Hirngespinsten leiten lassen!« flüstere ich ihr zu.
Traurig entgegnet sie: »Wir sinken stärker, als du denkst!«
»Aber wir werden aus dieser Prüfung geläutert hervorgehen wie reines Gold!« Ein übermächtiger Wunsch treibt mich dem Abgrund entgegen, als sei er schon um seiner selbst willen ein erstrebenswertes Ziel oder als sei die Hölle der Endpunkt der Suche nach dem Glück.
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Am Bahnhof von Kairo treffe ich einen alten Freund, einen Journalisten mit progressiven Neigungen, der sich aber nicht für Politik interessiert. Wir setzen uns ans Büffet. Ich warte auf den Triebwagen nach Alexandria. Er will jemanden abholen, der vom Suezkanal kommt.
Er sagt: »Ich freue mich über diese gute Gelegenheit. Ich wollte dich ohnehin schon seit längerem sprechen.«
Nun gut, was willst du von mir? Seitdem ich nach Alexandria versetzt worden bin, habe ich ihn nicht mehr gesehen.
»Was treibt dich denn nach Kairo?« fragt er.
Verwirrt schaue ich ihn an. Ja, er wußte im voraus, daß seine Frage mich in Verwirrung setzen würde.
»Ich frage so offen, weil wir alte Freunde sind. Es heißt, du kämst nur wegen Madame Fauzi hierher.«
Ich fühle mich nicht so betroffen, wie er das offenbar erwartet hat. Wir, Durrejja und ich, hatten früher schon unsere Zweifel, ob unsere Beziehungen verborgen bleiben würden. So entgegne ich lässig: »Sie braucht jetzt einfach jemanden, der zu ihr hält, weißt du!«
»Ich weiß aber auch…«
»Du weißt, daß ich sie schon seit langem liebe«, unterbreche ich ihn herablassend.
»Und Fauzi?« fragt er voller Anteilnahme.
»Er ist viel stärker, als alle denken.«
»Als dein Freund bin ich nicht sehr glücklich über das, was man erzählt«, meint er bekümmert.
»Und was erzählt man? Sag es mir doch!«
Doch er schweigt. So sage ich nervös: »Ich bin ein Spitzel, bin zur rechten Zeit geflohen, und nun habe ich mich in das Haus eines guten alten Freundes eingeschlichen.«
»Ich wollte nur sagen…«
»Aber du glaubst es jedenfalls auch?«
»Nein! Und ich würde dir nie verzeihen, wenn du das auch nur annähmst!«
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Während der Rückfahrt nach Alexandria frage ich mich, ob ich die Gnade zu leben überhaupt verdiene. Ich suche nach einer Lösung für verschiedene Widersprüche. Diese Lösung wird nicht einfach werden, so scheint mir. Warum kann nicht der Tod der letzte Ausweg sein? Eigentlich wollte ich mich für ein Weilchen ins Trianon setzen, aber ich sehe von draußen Sarhan al-Buheri und Husni Allam miteinander im Gespräch. Da ich Widerwillen gegen beide empfinde, gehe ich weiter.
Wolken in Farben, die aufeinander abgestimmt scheinen, treiben schnell am Himmel dahin. Windböen bringen angenehme Erfrischung. Die Wellen türmen sich so, daß das Wasser auf die Straße sprüht. Besäße ich Kostbarkeiten, ich würde sie jetzt zerstören. Nur ein gewaltiges Erdbeben kann die Dinge wieder ins Gleichgewicht bringen.
Zuchra bringt mir den Tee. Im Vertrauen darauf, daß mich alles interessiert, was sie betrifft, erklärt sie: »Meine Angehörigen waren hier, um mich zu holen. Ich habe mich jedoch geweigert mitzugehen.«
Trotz meiner generellen Gleichgültigkeit ist mein Interesse für Zuchra nicht erloschen. So unterstütze ich sie: »Das hast du vollkommen richtig gemacht!«
»Aber sogar der sympathische Amir Wagdi hat mir geraten, wieder auf mein Dorf zurückzukehren.«
»Er hat ganz einfach Angst um dich. Das ist alles!«
Prüfend schaut sie mich an und sagt dann: »Diesmal lächeln Sie aber nicht wie sonst immer.«
Ich lächle ihr gedankenlos zu.
»Ich verstehe!« meint sie.
»Du verstehst was?«
»Ihre Ausflüge nach Kairo jede Woche und daß Sie jetzt immer so in Gedanken sind.« Unwillkürlich muß ich lachen, und sie sagt glücklich: »Ich würde Ihnen so gern gratulieren!«
»Dein Wort in Gottes Ohr, Zuchra!«
Wir schauen uns gegenseitig verständnisvoll an. Sie macht eine Handbewegung, als wolle sie mich auffordern, fröhlicher zu sein.
»Es gibt jemanden, der mir Kummer bereitet«, sage ich.
»Wer ist es denn?«
»Jemand, der seinen Glauben verraten hat.«
Sie macht eine abwehrende Handbewegung.
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