»Bravo!« Madame gab ihrer Freude lautstark Ausdruck.
Auch Zuchra lachte. Ich hörte sie jetzt überhaupt zum ersten Mal lachen und fühlte mich vorerst erleichtert. Minuten des Schweigens folgten, in denen wir draußen den Wind heulen und gegen die Wände in Böen anstürmen hörten, so, daß die geschlossenen Fenster klapperten. Wieder befielen mich Unruhe und Kummer, und ich sagte zu Amir Wagdi: »Daß man glaubt und arbeitet, den Glauben in die Tat umsetzt, das wäre das Ideal. Nicht zu glauben ist nur ein anderer Weg, der letztlich in den Untergang fuhrt. Zu glauben, aber nichts tun zu können, das ist die reine Hölle!«
»Ja! Sie haben Saad Zaghlul in seinen letzten Lebensjahren nicht kennengelernt, haben nicht erlebt, wie er gegen die Qualen der Verbannung und den nahenden Tod ankämpfte.«
Ich schaute zu Zuchra, der einzigen von uns, die sozusagen in der Verbannung lebte. Sie saß so voller Hoffnung und Selbstvertrauen da, daß ich mich freute, mehr noch, sie beneidete.
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Eine Woche darauf besuchte ich Durrejja erneut. Ihre Wohnung war wieder so hübsch wie eh und je. Auch auf sich selbst hatte sie wieder Sorgfalt verwandt, aber aus ihren Augen sprach immer noch Verzweiflung. Ja, schließlich stand sie jetzt allein da, ohne Arbeit, ohne Hoffnung.
»Hoffentlich störe ich dich nicht mit meinen Besuchen!« sagte ich.
»Jedenfalls gibst du mir durch sie das Gefühl, noch am Leben zu sein!« entgegnete sie mit tonloser Stimme.
Mir krampfte sich vor Kummer das Herz zusammen. Ich stellte mir ihre reale Situation vor, hart, ungeschminkt. Von meinen Gefühlen wollte ich ihr sprechen, aber das, was früher geschehen war, lahmte mir die Zunge. Wir stimmten darin überein, daß in einer geeigneten Arbeit die Rettung vor der Verzweiflung liegen könnte. Aber wie sollte sie dazu kommen? Sie war Lizentiatin in alten Sprachen, doch es würde sehr schwer für sie sein, eine Arbeitsstelle zu finden.
»Du darfst einfach nicht als Gefangene dieses Hauses leben!«
»Ich weiß es ja, aber ich bin trotzdem nicht aus dem Haus gegangen.«
»Wenn ich dich wenigstens jeden Tag besuchen könnte!«
Sie lächelte, dachte nach und meinte dann: »Es wäre schön, wenn wir uns einmal irgendwo anders treffen könnten!«
Ich war nicht dieser Meinung, aber ich tat so, als stimmte ich ihr zu: »Darüber ließe sich reden!«
So trafen wir uns beim dritten Mal im Zoo. Sie war wieder so hübsch wie früher, nur ihr Augenausdruck war anders. Er war zwar schön, aber ihm fehlte die innere Fröhlichkeit und Freude. Wir gingen den Weg an der Mauer entlang, der zur Universität führte. Es war für uns ein Weg unvergeßlicher gemeinsamer Erinnerungen.
»Du machst dir so viele Umstände«, meinte sie.
»Du weißt ja gar nicht, wie glücklich mich das macht!«
Hätte ich jetzt schreien müssen vor vermeintlichem Glück? Ich sprach weiter: »Einsamkeit, Durrejja, das ist sicherlich das Schlimmste, was den Menschen treffen kann.« Wahrscheinlich bewußt sagte ich das so, als hätte ich sehr viel Erfahrung auf diesem Gebiet.
»Ich bin seit dem Studium nicht mehr im Zoo gewesen«, gab sie zurück.
Ohne ihren Ablenkungsversuch zu beachten, fuhr ich fort: »Auch ich bin einsam und weiß, wie qualvoll es ist, allein zu sein.«
Sie wirkte verstört wie ein umzingeltes Wild. Das bedrückte mich, und meine Gefühle für sie wurden noch verworrener und komplizierter. Trotzdem rissen sie mich mit sich fort. Als sich unsere Blicke begegneten, schien es mir, als sei sie tief erschrocken.
Plötzlich klagte sie: »Es macht mich traurig, hier spazierenzugehen, während er… dort…« Sie sah meine Betroffenheit und fragte: »Was hast du denn?«
»Ich glaube, ich habe immer noch Schuldgefühle.«
»Und ich fürchte, du quälst dich jetzt auch, weil du hier mit mir zusammen bist!«
»Nein, nein, dieses teuflische Gefühl kommt nur von meiner Verzweiflung!«
»Wir müßten uns doch eigentlich gegenseitig trösten, wenn wir uns treffen!«
»Verzweiflung führt zu Unbesonnenheiten, und weil der Kranke meint, sein Leiden durch Leiden kurieren zu müssen…«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich meine…« Ich hielt inne und fuhr dann fort: »Ich meine, du solltest es mir nicht übel nehmen, wenn mich eines Tages meine Gefühle so überwältigen, daß ich dumm genug bin, dir zu sagen, daß ich dich immer noch liebe. Und zwar so sehr, wie ich es tat, als wir uns zum ersten Mal begegneten.«
Plötzlich kam ich wieder zu Bewußtsein. Was für eine Dummheit! Welcher Irrsinn! Was wollte ich eigentlich? Ich war entschieden zu weit gegangen, hatte mich benommen wie jemand, der, um seine brennenden Kleider zu löschen, ins tiefe Wasser springt, ohne schwimmen zu können.
»Aber, Mansur!« wies sie mich zurecht.
Ich zog mich in mich zurück, als hätte sie mich heftig geohrfeigt. Enttäuscht entschuldigte ich mich: »Ich weiß nicht mehr, was ich eben gesagt und wie ich es vorgebracht habe. Aber glaub mir, ich bin einfach nicht in der Lage, mir mein Glück zu erkämpfen!«
Als ich wieder im Zug nach Alexandria saß, sagte ich mir, daß es viel leichter ist, in Briefen mutig zu sein.
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Lärm hat mich aufgeweckt. War das ein Echo des Kampfes, der in mir tobt? Nein, der Kampf wird gerade in der Pension ausgetragen! Als ich hinausgehe, werde ich Zeuge der letzten Szene. Den Gesichtern ist anzusehen, daß Sarhan al-Buheri, eine mir unbekannte Frau und Zuchra die Helden wie die Opfer dieses Kampfes sind. Aber wer ist diese Frau? Und was hat Zuchra mit der Geschichte zu tun?
Später bringt mir Zuchra wie üblich meinen Tee. Sie erzählt mir, was vorgefallen ist. Eine Frau habe Sarhan verfolgt, als er in die Pension zurückkehrte. Es habe eine Schlägerei zwischen ihnen gegeben, und sie sei hineingezogen worden, als sie die beiden trennen wollte.
»Wer ist denn die Frau eigentlich, Zuchra?«
»Das weiß ich auch nicht.«
»Madame hat mir erzählt, sie sei Sarhans Verlobte gewesen.«
»Möglich«, stößt sie nach kurzer Pause hervor.
»Und warum hat sie sich auf dich gestürzt?«
»Ich habe doch schon gesagt, ich wollte sie voneinander trennen.«
»Aber das ist doch noch kein Grund dafür, daß Ihr aneinandergeraten seid!«
»Es ist eben passiert!«
Voller Zärtlichkeit und Sympathie schaue ich sie an und frage: »Ist vielleicht zwischen dir und…?«
Sie überhört meine Frage, so fahre ich fort: »Das wäre doch keine Schande! Außerdem mag ich dich. So stelle ich dir die Frage im Namen unserer freundschaftlichen Gefühle füreinander.«
Sie senkt bejahend den Kopf.
»So bist du also verlobt und hast mir das bisher nur verschwiegen?«
Nun schüttelt sie den Kopf, um zu verneinen.
»Oder ist die Verlobung nur noch nicht offiziell bekanntgegeben worden?«
»Es kommt schon alles zu seiner Zeit!« meint sie zuversichtlich.
Mich packen Bedenken. Ich will sie warnen: »Aber du siehst doch, er hat die andere sitzengelassen!«
»Er hat sie eben nicht geliebt«, verteidigt sie ihn unschuldig.
»Und warum hat er sich dann mit ihr verlobt?«
Sie sieht mich mitleidig an, nimmt dann ihren Mut zusammen und sagt: »Sie war ja gar nicht seine Verlobte. Sie ist eine Nutte!«
»Ein Vertrauensbruch bleibt in jedem Fall ein Vertrauensbruch!« Meine Worte hören sich für mich selbst seltsam an, betrüblich, und verursachen mir einen schlechten Geschmack im Mund. Ich bin ebenso wütend auf mich selbst wie auf Sarhan und verwünsche ihn in Gedanken heftig.
Neugierig blicke ich sie an, denn ich erwarte, daß sie mir mehr über ihre Beziehungen zu Sarhan erzählt. Statt dessen fährt sie fort: »Ich will etwas lernen!«
Ich verstehe überhaupt nichts und schaue sie weiter fragend an.
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