»Aber du weißt doch, daß er mich liebt!« entgegnet sie leise.
»Er würde dich aber bestimmt nicht zwingen, bei ihm zu bleiben, wenn er wüßte, daß du mich liebst!«
»Denkst du nicht in sehr theoretischen Kategorien?«
»Nein, ich kenne Fauzi, und das ist sehr realistisch gedacht.«
»Stell dir vor, stell dir vor, er würde sagen…«
»Du hast dich von ihm gelöst, seitdem er im Gefängnis ist, nicht wahr? Aber das ist letztlich ohne Wert für mich, denn du hast dich zwar von ihm gelöst, aber nicht von seinen Prinzipien… »
Ich stelle ihn mir vor, wie er auf der Couch im Studio liegt, mich mit seinen mandelförmigen schwarzen Augen mustert, Pfeife raucht, unzählige Probleme erörtert, aber nicht eine Sekunde lang an seinem ehelichen Glück zweifelt.
»Woran denkst du eigentlich?« fragt sie mich.
»Daran, daß das eigentliche Leben sich nur denen erschließt, die es verdienen.« Ich nehme ihre Hand und fordere sie auf: »Komm, laß uns etwas trinken, damit wir endlich aufhören nachzudenken!«
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Ich bin so in meine Gedanken versunken, daß ich nicht wahrnehme, was um mich herum geschieht. Zorn würgt mich. Seitdem ich davon erfahren habe, daß Husni Allam über Zuchra hergefallen ist, ersticke ich fast vor Zorn. Mit mir im Entree sitzen Amir Wagdi und Madame, doch von dem, worüber sie sprechen, höre ich nur ein Wispern. Auch von dem Streit zwischen Sarhan und Husni hatte ich vernommen und wünschte mir, er hätte so lange gedauert, bis sie sich gegenseitig umgebracht hätten. Ich wünsche mir auch, ich könnte Husni seine gerechte Strafe zuteil werden lassen, zweifle andererseits nicht daran, daß er kräftig genug ist, mich dabei umzubringen. So hasse ich ihn bis zur Raserei. Daß Madame aufsteht und hinausgeht, holt mich wieder in meine Umgebung zurück. Ich schaue zu Amir Wagdi und merke, daß er mich voller Fürsorge und Sympathie ansieht. Das bringt die Mordgelüste in meinem Herzen zum Abklingen. Mir kommt der absonderliche Gedanke, der alte Mann könnte vielleicht ein enger Freund meines Vaters oder Großvaters gewesen sein.
Er fragt mich, wovon ich geträumt habe, und ich entgegne kurz: »Mir scheint, für mich gibt es keine Zukunft.«
Er lächelt so, als ob er um alles wisse und als habe er meinen Zorn schon oft und in den verschiedensten Formen erlebt. Dann meint er: »Jugend will sich nie zufriedengeben! Das ist alles.«
»Die Vergangenheit hat mich so beschäftigt, daß mir der Gedanke kam, es gebe keine Zukunft.«
Er sagt ernst, nun ohne jedes Lächeln: »Es mag Erschütterungen im Leben geben, Irrtümer, Unglücksschläge. Aber Sie verdienen es zu leben, wie nur irgendeiner!«
Ich verspüre einen Widerwillen dagegen, meine Sorgen mit ihm zu besprechen, sogar die, die ganz legitim sind. So frage ich ihn ausweichend: »Was für Träume haben Sie denn so, Ustas?«
Er lacht lange und gibt dann zur Antwort: »Alte Leute schlafen so wenig, daß sich Träume erübrigen. Ich wünsche mir nur noch eins: einen sanften Tod!«
»So gibt es also mehrere Arten zu sterben?«
»Selig derjenige, der nach einem angenehmen Abend einschläft, um nie wieder aufzuwachen!«
»Glauben Sie daran, daß Sie eines Tages wiederauferstehen werden?« frage ich ihn, fasziniert davon, wie gut man sich mit ihm unterhalten kann.
Wieder lacht er und sagt dann: »Ja, und zwar dann, wenn Sie Ihre Programme in einem Buch veröffentlichen!«
Das Wetter in Alexandria sagt mir zu. Nicht wenn der Himmel klar ist und die Sonne mit ihren wärmenden Strahlen die Erde vergoldet, sondern in seinen winterlichen Zornesausbrüchen, wenn sich dicke Wolken zu Bergen türmen und der Morgen ebenso in Düsterkeit gehüllt ist wie der Abend, wenn im Himmelszelt einen Augenblick lang beunruhigendes Schweigen herrscht und dann plötzlich ein Windstoß die Leere durchbricht wie ein Warnruf oder wie das Räuspern des Predigers in der Moschee vor der Freitagspredigt. Dann neigt sich ein Zweig, oder ein Astchen bricht. Und danach jagen die Windstöße einander in trunkenem, wahnwitzigem Rausch, ihr pfeifendes Dröhnen dringt bis in ferne Horizonte. Das Meer tobt, und der Schaum der Wellen gischtet bis an den Rand der Uferstraßen. Donner poltert und bringt brodelnde Düfte aus einer fernen, unbekannten Welt. Funkelnde Blitze züngeln den Himmel entlang, blenden die Blicke und elektrisieren die Herzen. Regen strömt herab bis zur Raserei und schließt Himmel und Erde in einer nassen Umarmung zusammen. Dann vermischen sich die Elemente des Seins, wogen durcheinander, prallen aufeinander, als sollte der Schöpfungsakt von neuem beginnen.
Erst danach wird der Himmel wieder klar und rein, reißen die Dunkelheiten auf, zeigt Alexandria ein frisch gewaschenes Gesicht, leuchtendes Grün, feucht glänzende Straßen. Dann weht eine erfrischende Brise, kommen wärmende Sonnenstrahlen, folgt ein sanftes, zärtliches Erwachen.
Ich erlebe den Sturm vom Fenster aus mit, um mich der Frische danach erfreuen zu können. Irgend etwas sagt mir, daß dieses Drama von einem Mythos erzählt, der in meinem Innersten begraben liegt, daß es einen Weg vorzeichnet dessen Ziel mir noch unbekannt ist, oder in leisem Gemurmel, das mir bis jetzt unverständlich bleibt, eine Frist setzt.
Die große Standuhr schlägt, und ich halte mir die Ohren zu, um nicht hören zu müssen, wie spät es ist. Dann dringen fremde Stimmen zu mir, hartnäckig und laut. Ist das eine Auseinandersetzung? Ein Streit? Was in dieser Pension alles passiert, würde allmählich für einen ganzen Kontinent ausreichen! Mein Herz sagt mir, daß es wieder einmal um Zuchra gehen muß. Eine Tür wird heftig geöffnet, und nun sind die Stimmen ganz deutlich. Es sind die von Zuchra und Sarhan. Ich springe zur Tür und öffne sie. Sie stehen einander im Salon gegenüber wie zwei Kampfhähne, und Madame versucht, zwischen ihnen zu vermitteln.
Sarhan schreit, außer sich vor Wut: »Ich bin frei! Ich heirate, wen ich will! Alejja werde ich heiraten!«
Zuchra sprüht vor Zorn. Es tut ihr sichtlich weh, daß er mit ihr nur gespielt hat, daß ihre Hoffnungen zerstört sind, daß er sie verlassen hat und sie die Verliererin in diesem Spiel ist. So hat er also erreicht, was er von ihr wollte, und hat nun ein neues Ziel vor Augen! Ich gehe auf ihn zu, fasse ihn an der Hand und ziehe ihn in mein Zimmer. Sein Schlafanzug ist an mehreren Stellen zerrissen. Seine Lippen bluten.
Er schreit: »Sie ist außer Rand und Band, und bösartig ist sie auch!«
Ich bitte ihn, sich zu beruhigen, aber er wird nur noch wütender und stößt hervor: »Stellen Sie sich vor, das gnädige Fräulein wünscht mich zu heiraten!«
Noch einmal rate ich ihm zur Ruhe, aber er brüllt: »Sie ist eine Dirne und außerdem total verrückt geworden!«
Da er mir auf die Nerven geht, frage ich ihn: »Und warum wollte sie Sie heiraten?«
»Fragen Sie sie doch am besten selbst!«
»Nein, ich frage Sie!«
Zum ersten Mal sieht er mich jetzt aufmerksam an. Ich insistiere weiter: »Sie muß doch einen Grund für diese Forderung haben!«
Die Aufmerksamkeit in seinen Augen wird zur Vorsicht. »Was wollen Sie damit sagen?« fragt er mich.
Wütend entgegne ich: »Nichts weiter, als daß Sie ein Mistkerl sind!«
»Ustas!«
Ich spucke ihm ins Gesicht und rufe: »Das verdienen Sie und jeder andere Mistkerl und Betrüger!«
Wir geraten sofort heftig aneinander, doch Madame stürzt ins Zimmer, bevor unsere Schlägerei gefährliche Ausmaße annehmen kann. Sie stellt sich zwischen uns und versucht zu begütigen: »Aber ich bitte Sie! Ich habe das alles satt, meine Herren! Tragen Sie Ihre Streitigkeiten außerhalb meines Hauses aus, nicht bei mir!«
Sie zieht ihn aus meinem Zimmer.
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Mit sorgenvollem Herzen, befangen in düsteren, verworrenen Gedanken, gehe ich zum Rundfunkgebäude. Als ich in mein Zimmer komme, sehe ich eine Frau vor meinem Schreibtisch sitzen. Nein, nicht irgendeine Frau, es ist Durrejja! Ja, sie! Der Schreck lahmt mir die Zunge. Einige Sekunden lang bleibe ich wie erstarrt vor ihr stehen. Dann verfliegt die Düsterkeit in meinem Kopf, ich rufe: »Durrejja!«
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