Sie lächelt, und auch ich müßte lächeln, ja strahlen vor Freude. Ich nehme ihre Hand zwischen meine Hände und drücke sie zärtlich. Freude überwältigt mich und vertreibt die Unruhe und die Ängste, die mir das Herz zu zerreißen drohen.
»Was für eine Überraschung, Durrejja«, stoße ich hervor, »welches Glück!«
Sie sieht mich mit bleichem Gesicht an und erklärt mir: »Ich hätte zwei Tage warten können, bis wir uns wie üblich treffen, aber ich konnte es einfach nicht mehr aushalten. Ich habe versucht, dich anzurufen, habe dich aber nicht erreicht.«
Mich ergreift eine mir unerklärliche Unruhe. Ich nehme einen Stuhl, um mich ihr gegenüber zu setzen, und sage: »Hoffentlich ist es eine gute Nachricht, die dich zu mir führt, Durrejja!«
Sie senkt den Blick und entgegnet: »Ich habe über einen befreundeten Journalisten einen Brief von Fauzi erhalten.«
Mir klopft das Herz. Also dieser befreundete Journalist. Das bedeutet sicherlich nichts Gutes.
»Er läßt mir die Freiheit, nach meinem eigenen Gutdünken über meine Zukunft zu entscheiden«, fährt sie fort.
Mein Herz klopft stärker. Jetzt liegen die Dinge offen zutage, aber ich bin fest entschlossen, sie mir Punkt für Punkt erklären zu lassen. Mich hat eine solche Unruhe erfaßt, daß ich keinerlei Erleichterung oder gar Glück verspüre. Seltsam. Mir kommt es eher so vor, als sei ich unglücklich.
»Was will er damit sagen?« frage ich hartnäckig.
»Offensichtlich hat er von uns erfahren.«
»Aber wie denn nur?«
»Wie auch immer, letztlich ist das unwichtig!«
Wir sehen uns verwirrt an. Ich habe das Gefühl, mir würden eiserne Ketten angelegt. Ich sage mir, daß ich doch Glück verspüren müßte oder wenigstens Erleichterung. Was ist nur geschehen?
»Ob er böse ist?« will ich von ihr wissen.
»Er verhält sich auf alle Fälle so, wie du es erwartet hast«, antwortet sie nervös.
In ungläubiger Ergebenheit senke ich den Kopf. Sie spricht weiter: »Jedenfalls mußt du mir jetzt helfen und mir deine Meinung sagen!«
Natürlich. Jetzt muß ich den Anfang machen, damit die Dinge ihren Lauf nehmen, damit ich mir ein häusliches Glück aufbaue, so wie ich selbst es vorgeschlagen und mir schließlich auch gewünscht habe. Der Traum beginnt, Wirklichkeit zu werden. Und doch bin ich nicht glücklich. Um mir selbst gegenüber offen zu sein: Ich bin weiter als je davon entfernt, mich glücklich zu fühlen. Im Gegenteil: Ich bin unruhig und ängstlich. Es sind nicht Reue und Scham gegenüber Fauzi, die mich behindern. Es liegt nur an mir, ausschließlich an mir. Wenn ich jetzt nicht für mein Glück kämpfe, was tue ich dann?
»Immer denkst du nach und antwortest nicht«, wirft sie mir vor, »und gibst mir das Gefühl von tödlicher Einsamkeit.«
Aber ich brauche einfach eine längere Spanne des Nachdenkens. Unruhe und Furcht haben mich derart überwältigt, daß ich mich um ihre Empfindungen nicht mehr kümmern kann, nicht einmal mehr darum, höflich zu ihr zu sein. Ich bin aus der Bezauberung, in die sie mich versetzt hat, so plötzlich und schmerzhaft erwacht, als hätte mir jemand etwas mit einem Knüppel über den Kopf gegeben. Ich habe mich aus der Herrschaft, die sie über mich ausgeübt hat, befreit. Eine dunkle Woge der Abneigung, Rebellion und Härte überschwemmt mein verwirrtes, unruhiges, erschrockenes Inneres. Ich kann dafür keine andere Erklärung finden, als die, daß ich wahnsinnig geworden sein muß.
»Warum sagst du nichts?« fragt sie in scharfem Ton.
Mit einer Ruhe, die mich selbst erschreckt, entgegne ich: »Durrejja, nimm seine Großmut nicht an!«
Sie starrt mich an, ungläubig, bestürzt, voller Zorn und Trauer.
Ich steigere mich in meine Grausamkeit hinein: »Laß ihn das so schnell wie möglich wissen!«
»Du empfiehlst mir das, ausgerechnet du!«
»Ja, ich!«
»Das ist ja zum Lachen, nein, eher zum Weinen! Ich verstehe überhaupt nichts mehr!«
»Wir wollen versuchen, es später zu verstehen!« schlage ich verzweifelt vor.
»Du kannst mich doch jetzt nicht einfach verlassen, ohne mir eine Erklärung zu geben!«
»Ich finde keine, es tut mir leid!«
»Allmählich zweifle ich an deinem Verstand!« wirft sie mir vor und funkelt mich aus ihren grauen Augen zornig an.
»Das habe ich wohl auch verdient!«
»Ja, hast du denn die ganze Zeit mit mir gespielt?« ruft sie bitter.
»Aber Durrejja!«
»Sei offen zu mir: Hast du mich belogen?«
»Nein, niemals!«
»So ist also deine Liebe plötzlich gestorben?«
»Aber nein!«
»Du gefällst dir darin, mit mir zu spielen!«
»Ich weiß nichts mehr zu sagen. Ich verabscheue mich selbst. Das muß ich dir offen gestehen. Du solltest nicht die Nähe eines Mannes suchen, der sich verabscheut!«
Ihr starrer Blick zeigt, daß ihre inneren Kräfte sie verlassen. Dann schaut sie voller Ärger und Verachtung in eine andere Richtung, als wisse sie nicht, was sie mit sich anfangen soll. Schließlich sagt sie leise und wie zu sich selbst: »Mein Gott, bin ich dumm! Dafür muß ich jetzt zahlen! Du hast mich nie Vertrauen spüren lassen, mir kein Gefühl der Sicherheit gegeben. Wie konnte ich das nur übersehen? Du hast mich mit deiner verrückten Impulsivität gedemütigt. Ja, du bist verrückt!«
Ich gebe mich unterwürfig wie ein gehorsames Kind, das sich seiner Schuld voll bewußt ist, und ziehe es vor zu schweigen, um vielleicht dadurch der quälenden Situation ein Ende zu bereiten. Ich vermeide es, sie anzusehen, und ignoriere ihren Blick, das Geräusch ihrer nervös auf den Schreibtisch klopfenden Finger, ihre unruhigen Atemzüge. Ich stelle mich tot.
Laut und vorwurfsvoll dringt ihre Stimme an mein Ohr: »Hast du mir denn gar nichts mehr zu sagen?«
Ich verbleibe bei meiner Leichenstarre. Schroff steht sie auf, und ich erhebe mich gleichfalls. Sie geht hinaus, ich begleite sie bis auf die Straße. Wir überqueren sie gemeinsam. Dann vergrößert sie ihre Schritte und gibt mir so zu verstehen, daß ihr meine weitere Gegenwart unerwünscht ist. Ich bleibe stehen. Meine Blicke folgen ihr wie in einem Traum, und der Traum wächst und weitet sich aus. Die Wirklichkeit tritt hinter ihm zurück, versinkt jenseits des Horizonts. Unverwandt schaue ich ihr nach, wie sie dort dahinschreitet, folge ihrem vertrauten, von mir so geliebten Gang voll Erstaunen, voller Trauer. Auch in diesem Augenblick des Wahnsinns vergesse ich nicht, daß jenes gedemütigte Wesen, das da allmählich in der Ferne verschwindet, im Strom der Passanten aufgeht, daß jenes Wesen meine erste Liebe war und vielleicht meine letzte Liebe in dieser Welt sein wird. Wenn sie aus meinem Leben verschwindet, werde ich in einen Abgrund stürzen. Aber obwohl ich todunglücklich bin, empfinde ich eine seltsame rätselhafte Erleichterung.
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Das Meer erstreckt sich in sanfter Glätte und lächelndem Blau. Wo ist nur das wütende Toben von gestern? Die Sonne sinkt und vergoldet mit ihren Strahlen die fransigen Ränder zarter Lämmerwölkchen. Wo sind die dunklen, sich türmenden Wolken von gestern? Ein Lufthauch spielt in zärtlicher Liebkosung mit den Blättern der Palmen entlang der Silsila [60] Silsila : Landzunge am Osteingang des Osthafens von Alexandria.
. Wo sind die brüllenden, wirbelnden Stürme von gestern?
Ich sehe in Zuchras bleiches Antlitz, sehe die Tränenspuren auf ihren Wangen, ihren matten Blick, ihre wie gebrochenen Augen, und mir ist, als schaue ich in einen Spiegel. Als wollte mich das Leben mit seiner rauhen, grausamen Seite bekannt machen, mit seiner ungeschminkten Wahrheit, seiner harten, dornigen Oberfläche, mit seinen enttäuschten Hoffnungen, eingebettet in eine Muschel mit vergifteten Rändern, mit seinem ewig unergründlichen Wesen, das Abenteurer und Verzweifelte gleichermaßen anzieht und beiden Nahrung gibt. Zuchra ist ihrer Ehre beraubt und ihres Stolzes, denn sie ist verlassen worden. Ja, ich schaue in einen Spiegel.
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