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»Ich sage, daß diese sozialen Antagonismen ganz beseitigt worden sind!«
»Nein, sie haben neue Antagonismen nach sich gezogen, und die Zukunft wird Ihnen bestätigen…«
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Sarhan al-Buheri inspirierte uns alle mit seiner lebhaften, nicht nachlassenden Fröhlichkeit. Und er war gutherzig. Und aufrichtig. Warum auch nicht? Zweifellos war er ehrgeizig. Er war die personifizierte Revolution. Rasch wurde mir klar, daß Amir Wagdi der bezauberndste und von allen der würdigste war, geliebt und verehrt zu werden. Ich war mir der Tatsache bewußt, daß es jener Amir Wagdi war, von dem ich zahlreiche Artikel durchgesehen hatte, als ich meine Sendung »Generationen der Revolution« vorbereitete. Seine wohldurchdachten, wenn auch widersprüchlichen Gedanken nahmen mich gefangen. Sein Stil, zu Beginn gereimte Prosa, später relativ schlicht, aber doch von großer Schönheit und Eleganz, faszinierte mich. Seine Freude, daß ich seine Artikel kannte, machte mir deutlich, wie sehr er unter dem allgemeinen Niedergang, dem Vergessenwordensein und der Teilnahmslosigkeit litt. Diese Erfahrung war mir sehr schmerzlich. Er griff nach dem Strohhalm, den ich ihm hingeworfen hatte, und erzählte mir die Geschichte seines langen Lebens, von seinem ständigen Bemühen um die Revolution, von den gegenläufigen Tendenzen, die ihn gebeutelt hatten, von den Helden, an die er einst geglaubt hatte.
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»Und Saad Zaghlul? Die Generation vor uns hat ihn schließlich abgöttisch verehrt!«
»Was für einen Sinn hatten diese alten Heldenmythen! Der Mann hat doch die Revolution bereits in der Wiege erwürgt!«
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Aber warum schaute mich Tolba Marzuq so vorsichtig verstohlen an? Ich konnte seine gleichzeitig argwöhnischen und widerwilligen Blicke im Spiegel der Flurgarderobe beobachten. Doch was machte das schon! Ein Mann wie er konnte auch seine eigenen Phantasievorstellungen fürchten! Ich schenkte ihm ein, und als er sich bei mir bedankte, fragte ich ihn nach seiner Meinung über die nun schon historisch gewordenen Ansichten Amir Wagdis.
Als wolle er sich entschuldigen, gab er zur Antwort: »Was vergangen ist, wollen wir ruhen lassen! Hören wir doch lieber Umm Kulthum zu!«
Ich bewunderte Zuchra, die uns zu bedienen hatte, die aber nur selten einmal über unsere Spaße lächelte. Sie saß neben dem Wandschirm, um uns aus der Ferne mit ihren schönen, rätselhaften Augen beobachten zu können.
Husni Allam fragte sie, als sie etwas vor ihn hinstellte: »Und du, Zuchra, liebst du die Revolution?«
Sie trat scheu hinter den Kreis der Lärmenden und Streitenden zurück, doch Madame gab an ihrer Statt eine befriedigende Antwort. Es schien so, als wolle er sie mit seiner Frage aus ihrer Ruhe reißen und zur Beteiligung an unserem Gespräch auffordern. Doch ich beobachtete an ihm eine Beklommenheit, die er zu verbergen trachtete. So sagte ich: »Sie liebt sie doch schon instinktiv!«
Aber er hörte mich nicht, oder — dieser gemeine Hund — er wollte mich bewußt ignorieren. Bevor unser Abend zu Ende ging, verschwand er. Zuchra wußte zu berichten, er habe die Pension verlassen. Ich bewunderte Amir Wagdi, der immer noch und bis zum Morgengrauen zuhörte und sich freute. Als wir anderen aufstanden, um uns schlafen zu legen, fragte ich ihn: »Haben Sie zu Ihrer Zeit jemals eine Stimme wie diese gehört?«
Lächelnd entgegnete er: »Sie ist wirklich das einzige, für das die Vergangenheit nichts Ebenbürtiges zu bieten hat!«
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Ich bat sie, sich zu setzen, doch sie blieb stehen, lehnte sich an den Kleiderschrank. Mit mir schaute sie durch das geschlossene Balkonfenster zum wolkenbedeckten Horizont. Sie wartete darauf, daß ich meinen Tee austrank. Ich bot ihr stets ein Stückchen Sandkuchen an, von dem ich immer etwas da hatte, und sie nahm es an als Unterpfand für eine wachsende Freundschaft. Ihr reines Herz spürte meine Sympathie, meine Verehrung und Bewunderung, und dies machte mich glücklich.
Draußen fiel Nieselregen. Seine Tropfen liefen an der Scheibe hinunter, und das Bild der Welt dahinter wurde immer verschwommener.
Ich fragte sie nach dem Dorf, in dem sie gelebt hatte, und sie antwortete mir. Doch sie erzählte mir nicht, warum sie von zu Hause weggelaufen war.
»Wenn du zu Hause geblieben wärst, hättest du längst einen anständigen Bräutigam!« sagte ich.
Da bekam ich eine schlimme Geschichte vom Großvater und einem uralten Ehemann zu hören, den er ihr ausgesucht hatte. »Deswegen bin ich geflohen«, schloß sie.
Ich war beunruhigt und meinte: »Aber du bist auch hier nicht sicher vor bösen Zungen!«
»Das ist immer noch besser als das, wovor ich geflohen bin!« gab sie geringschätzig zur Antwort.
Ich bewunderte, ja verehrte sie nun noch mehr, aber die Tatsache, daß sie so allein dastand, stimmte mich traurig. Sie jedoch war von einem unerschütterlichen Selbstvertrauen. Der Regen hatte die Fenster in Undurchsichtigkeit getaucht. Die Welt draußen war verschwunden oder jedenfalls kaum noch wahrnehmbar.
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Saust da eine Bombe vorbei, eine Rakete? Eine Horrorvision? Nein, es ist ein Auto! Dieser Idiot! Verdammt noch mal, es ist Husni Allam! Was in aller Welt veranlaßt ihn zu fliegen? Das weiß wohl nur er selber! Nein, neben ihm sitzt ein Mädchen, sieht aus wie Sonja. Ist es vielleicht Sonja? Sonja oder irgendeine andere! Zum Teufel mit ihm!
Kaum saß ich in meinem Büro, da kam mein Kollege zu mir und sagte: »Deine Freunde sind gestern festgenommen worden!«
Einen Augenblick war mir, als verlöre ich das Bewußtsein. Ich scheute mich, auch nur ein einziges Wort dazu zu sagen.
Er fuhr fort: »Der Grund ist, wie man sagt…«
»Das ist doch ganz und gar unwichtig!«
»Man munkelt auch…«
»Ich habe gesagt, daß das unwichtig ist!«
Er stützte sich mit beiden ausgestreckten Armen auf meinen Schreibtisch und meinte: »Dein Bruder war klug!«
Stolz bekräftigte ich: »Ja, mein Bruder ist klug!« Ich sagte mir: Jetzt hat Husni Allam sicher das Ende der Welt erreicht, und Sonja zittert vor Furcht und Wonne.
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»Genug geredet! Ich werde dich gewaltsam aus diesem Nest reißen!«
»Aber ich bin kein Kind mehr!«
»Bist du nicht daran schuld, daß deine Mutter so früh starb?«
»Wir waren uns doch einig, die Vergangenheit ruhen zu lassen!«
»Für mich ist sie immer noch gegenwärtig. Du wirst jetzt mit mir nach Alexandria kommen, und wenn ich dich mit Gewalt hinschleppen muß!«
»Behandle mich doch endlich wie einen Mann!«
»Du bist wirklich naiv. Ja, denkst du denn, wir merken nichts? Wir wissen alles, was hier im Land geschieht!« Er schaute mich streng und prüfend an und sagte dann: »Du bist ein dummer grüner Junge! Wofür hältst du sie denn eigentlich? Für Helden vielleicht? Ich kenne sie besser als du. Du wirst jetzt mit mir kommen, ob du willst oder nicht!«
Mir wurde die Tür geöffnet. Ich hatte Herzklopfen, eine trockene Kehle und war ziemlich durcheinander. Ihr Gesicht erschien mir im stockdunklen Korridor bleich und kränklich. Sie musterte mich mit starrem Blick. Zuerst erkannte sie mich nicht. Dann öffneten sich ihre Augen vor Überraschung und Erstaunen weit, und sie flüsterte: »Ustas Mansur!«
Sie machte mir Platz, ich trat ein und fragte sie: »Wie geht es dir, Durrejja?«
Sie führte mich in den Salon, dessen Düsterkeit und Schwermut durch ihr eigenes trauriges Aussehen noch verstärkt wurden. Wir setzten uns auf zwei Sessel nebeneinander. Von der gegenüberliegenden Wand schaute uns sein Foto aus einem schwarzen Rahmen an. Er richtete die Kamera auf uns, als ob er ein Foto von uns schießen wolle. Wir blickten uns schweigend und traurig an.
»Wann bist du in Kairo angekommen?« fragte sie dann.
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