»Der Alkohol, der Alkohol.« Allan schüttelte den Kopf.
Soldat zwei drückte sein Bedauern über das Benehmen seines Kollegen aus, und als Nummer eins darauf beharrte , dass Allan und Herbert sich gerade aus- und wieder angezogen hatten, bekam er von Nummer zwei was auf die Fresse, verbunden mit der Warnung, dass er jetzt ein für alle Mal die Klappe halten solle, wenn er nicht wegen Trunkenheit im Dienst angezeigt werden wollte.
Da entschied sich Soldat eins zu schweigen (und noch einen Schluck zu nehmen), während Nummer zwei ein paar Telefonate führte. Dann stellte er ihnen einen koreanischen Passierschein aus, unterschrieb, stempelte ihn an zwei Stellen und überreichte ihn Marschall Allan mit den Worten:
»Das zeigen Sie einfach bei der nächsten Kontrolle vor, Herr Marschall. Dann werden Sie zum engsten Vertrauten des engsten Vertrauten des Ministerpräsidenten geführt.«
Allan bedankte sich, salutierte und ging zurück zum Auto, wobei er Herbert vor sich her schubste.
»Du bist gerade Adjutant geworden, also muss du jetzt fahren«, erklärte Allan.
»Ist ja interessant«, meinte Herbert. »Ich bin nicht mehr Auto gefahren, seit mir die Schweizer Polizei verboten hat, mich jemals wieder hinters Steuer zu setzen.«
»Ich glaube, du erzählst mir jetzt lieber nichts mehr darüber«, sagte Allan.
»Ich tu mich immer so schwer mit rechts und links«, versuchte es Herbert noch einmal.
»Wie gesagt, ich glaube, du erzählst mir jetzt lieber nichts mehr darüber«, sagte Allan.
Die Reise ging weiter, nur jetzt mit Herbert am Steuer, und es lief viel besser, als Allan geglaubt hatte. Mit Hilfe ihres Passierscheins war es überhaupt kein Problem, bis in die Stadt zu fahren und dort bis zum Palast des Premiers.
Dort empfing sie der engste Vertraute des engsten Vertrauten und teilte ihnen mit, der engste Vertraute selbst könne ihnen frühestens in drei Tagen eine Audienz gewähren. Während sie darauf warteten, würde man die Herren in der Gästewohnung des Palastes einquartieren. Abendessen werde übrigens um acht Uhr serviert, wenn es recht sei.
»Sieh an, sieh an«, sagte Allan zu Herbert.
* * * *
Kim Il-sung wurde im April 1912 als Kind einer christlichen Familie am Stadtrand von Pjöngjang geboren. Die Familie stand damals unter japanischer Oberhoheit, wie alle koreanischen Familien. Im Laufe der Jahre hatten sich die Japaner angewöhnt, mit der Bevölkerung ihrer Kolonie umzuspringen, wie es ihnen passte. Hunderttausende von koreanischen Mädchen und Frauen wurden als Sexsklavinnen für die kaiserlichen Soldaten geraubt. Koreanische Männer wurden für die Armee zwangsrekrutiert, um für den Kaiser zu kämpfen, der sie unter anderem zwang, japanische Namen anzunehmen und auch ansonsten alles dafür tat, dass die koreanische Sprache und Kultur baldigst ausstarb.
Kim Il-sungs Vater war ein stiller Apotheker, aber seine kritischen Bemerkungen zu den japanischen Manieren sprach er laut genug aus, um das Missfallen der Besatzer zu erregen, sodass die Familie eines Tages vorsichtshalber Richtung Norden zog, in die chinesische Mandschurei.
Doch der Frieden hielt nicht lange an, denn 1931 stießen die japanischen Truppen auch hierher vor. Kim Il-sungs Vater war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben, doch die Mutter ermutigte den Sohn, sich der chinesischen Guerilla anzuschließen, die die Japaner aus der Mandschurei vertreiben wollten – und auf lange Sicht auch aus Korea.
Kim Il-sung machte Karriere im Dienst der chinesischen kommunistischen Guerilla. Er erwarb sich den Ruf, tatkräftig und mutig zu sein. Schließlich wurde er sogar zum Anführer einer ganzen Division ernannt und kämpfte mit solch bedingungslosem Einsatz gegen die Japaner, dass zum Schluss nur noch er und eine Handvoll Mitstreiter am Leben waren. Das war 1941, mitten während des Zweiten Weltkriegs, und Kim Il-sung sah sich gezwungen, über die Grenze in die Sowjetunion zu fliehen.
Doch auch dort machte er Karriere. Schon bald war er Hauptmann und kämpfte bis 1945 in der Roten Armee.
Mit Kriegsende musste Japan Korea räumen. Kim Il-sung kehrte aus dem Exil zurück, jetzt freilich als Nationalheld. Nun galt es nur noch, offiziell einen koreanischen Staat zu gründen – dass das Volk ihn als seinen großen Führer haben wollte, stand ganz außer Frage.
Aber die Siegermächte, die Sowjetunion und die USA, hatten Korea in zwei Interessensgebiete aufgeteilt. Und in den USA war man nicht der Meinung, dass ein nachweislich kommunistisch gesinnter Widerstandskämpfer zum Chef über die ganze Halbinsel taugte. Also flogen sie ihren eigenen Staatschef ein, einen Exilkoreaner, den sie im südlichen Landesteil einsetzten. Kim Il-sung musste sich mit dem Norden begnügen, aber eben dazu war er nicht bereit, sondern eröffnete den Koreakrieg. Wenn er die Japaner verjagt hatte, konnte er doch wohl auch die Amerikaner und ihre (aus den Reihen der Vereinten Nationen rekrutierte) Gefolgschaft verjagen, oder etwa nicht?
Kim Il-sung hatte also Waffendienst für die Chinesen und die Russen geleistet. Und jetzt kämpfte er für seine eigene Sache. Auf seinem dramatischen Lebensweg hatte er unter anderem eines gelernt: Man sollte sich immer nur auf sich selbst verlassen und niemandem trauen.
Von dieser Regel machte er nur eine Ausnahme. Und diese Ausnahme hatte er zu seinem engsten Vertrauten gemacht.
Wer mit Ministerpräsident Kim Il-sung sprechen wollte, musste zuerst um eine Audienz bei seinem Sohn bitten.
Kim Jong-il.
Elf Jahre alt.
»Und du musst deine Besucher immer erst mindestens zweiundsiebzig Stunden warten lassen, bevor du sie empfängst. Dadurch wahrst du deine Autorität, mein Sohn«, hatte Kim Il-sung ihm beigebracht.
»Ich glaube, ich verstehe schon, Papa«, log Kim Jong-il. Hinterher holte er sich ein Lexikon und schlug das Wort nach, das er nicht verstanden hatte.
* * * *
Die dreitägige Wartezeit störte Allan und Herbert überhaupt nicht, denn im Palast des Ministerpräsidenten war das Essen gut und die Betten weich. Außerdem gelangten nur selten amerikanische Bomber nach Pjöngjang, da gab es einfachere Ziele.
Doch schließlich war es so weit. Allan wurde vom engsten Vertrauten des engsten Vertrauten des Premiers abgeholt und durch die Korridore des Palastes zum Büro des engsten Vertrauten geführt. Allan war darauf vorbereitet, dass der engste Vertraute ein Junge war.
»Ich bin der Sohn des Ministerpräsidenten, Kim Jong-il«, erklärte Kim Jong-il. »Und ich bin der engste Vertraute meines Vaters.«
Er streckte dem Marschall die Hand hin, und wenn seine kleine Hand auch völlig in Allans riesiger Faust verschwand, hatte er doch einen festen Händedruck.
»Und ich bin Marschall Kirill Afanassjewitsch Merezkow«, sagte Allan. »Vielen Dank, dass der junge Herr Kim mich empfängt. Würde der junge Herr Kim auch gestatten, dass ich mein Anliegen vorbringe?«
Das gestattete Kim Jong-il, also fuhr Allan mit seiner Lügengeschichte fort. Der Marschall überbringe dem Ministerpräsidenten eine Nachricht direkt vom Genossen Stalin in Moskau: Da man den Verdacht hegte, dass die USA – diese kapitalistischen Hyänen – das sowjetische Kommunikationssystem infiltriert hatten (wenn der junge Herr Kim entschuldigen wolle, werde der Marschall hier nicht weiter ins Detail gehen), hatte Genosse Stalin beschlossen, die Nachricht unmittelbar durch einen Boten übermitteln zu lassen. Und diese ehrenvolle Aufgabe sei dem Marschall und seinem Adjutanten zugefallen (den der Marschall sicherheitshalber in seinem Zimmer gelassen hatte).
Misstrauisch musterte Kim Jong-il Marschall Allan. Es hörte sich an, als würde er seine Worte vom Blatt ablesen, als er verkündete, seine Aufgabe bestehe darin, seinen Vater um jeden Preis zu schützen. Dazu gehörte, dass er niemandem traute, das hatte sein Vater ihm beigebracht, erklärte der Junge. Daher konnte Kim Jong-il den Marschall auch nicht zu seinem Vater, dem Ministerpräsidenten, vorlassen, bevor die Geschichte von sowjetischer Seite bestätigt worden war. Kim Jong-il wollte also in Moskau anrufen und fragen, ob der Marschall tatsächlich von Onkel Stalin geschickt worden war.
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