»Und was meinen Sie, wie bringen wir die zusammen, Herr … Entschuldigen Sie, aber wer sind Sie noch mal?«, erkundigte sich Chefphysiker Oppenheimer.
»Ich bin Allan«, sagte Allan.
»Wie stellen Sie sich vor, dass wir die Teile zusammenstoßen lassen, Herr Allan?«, vollendete Oppenheimer seine Frage.
»Mit einem ganz normalen, anständigen Sprengsatz«, erwiderte Allan. »Mit denen kenn ich mich gut aus, aber ich bin sicher, das kriegen Sie auch alleine hin.«
Physiker im Allgemeinen und Chefphysiker im Besonderen sind nicht dumm. Innerhalb von Sekunden hatte sich Oppenheimer durch meterlange Gleichungen gerechnet und war zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kellner höchstwahrscheinlich recht hatte. Dass etwas so Kompliziertes eine so einfache Lösung haben konnte! Ein ganz normaler, anständiger Sprengsatz im hinteren Teil der Bombe konnte per Fernsteuerung gezündet werden und eine unkritische Masse Uran-235 auf eine zweite unkritische Masse Uran-235 treffen lassen. Und dann würde es sofort kritisch werden. Die Neutronen würden in Bewegung geraten, die Uranatome würden anfangen, sich zu spalten. Schon war die Kettenreaktion in vollem Gange und …
»Rums!«, sagte Chefphysiker Oppenheimer zu sich selbst.
»Ganz genau«, bestätigte Allan. »Wie ich sehe, hat der Herr Chefphysiker alles schon ausgerechnet. Übrigens, möchte noch jemand Kaffee?«
In diesem Augenblick ging die Tür des geheimen Besprechungszimmers auf, und Vizepräsident Truman kam herein, um ihnen einen seiner seltenen, doch regelmäßigen und grundsätzlich unangekündigten Besuche abzustatten.
»Setzen Sie sich«, bat der Vizepräsident die Männer, die aufgesprungen waren und Habachtstellung eingenommen hatten.
Sicherheitshalber setzte sich Allan auch auf einen der leeren Stühle am Tisch. Wenn ein Vizepräsident befahl, dass man sich setzen sollte, dann setzte man sich wohl besser, so lief das hier in Amerika, dachte er.
Daraufhin verlangte der Vizepräsident einen Lagebericht von Chefphysiker Oppenheimer, der sofort wieder aufsprang. In der Eile fiel ihm nichts Besseres ein, als zu erklären, dass Mr. Allan, der da hinten in der Ecke saß, gerade das letzte Problem gelöst hatte, nämlich die kontrollierte Detonation. Mr. Allans Lösung war zwar noch nicht überprüft worden, doch Chefphysiker Oppenheimer meinte, er spreche sicher im Sinne aller Anwesenden, wenn er seiner Überzeugung Ausdruck verleihe, dass dieses Problem Vergangenheit sei und dass man innerhalb der nächsten drei Monate sicherlich eine Testzündung durchführen könne.
Der Vizepräsident ließ seinen Blick über den Tisch schweifen und sah die Physiker und Militärs zur Bestätigung nicken. Lieutenant Lewis wagte gerade wieder vorsichtig zu atmen. Schließlich blieb Trumans Blick an Allan hängen.
»Da möchte ich wohl sagen, Sie sind der Held des Tages, Mr. Allan. Ich brauche was Warmes in den Magen, bevor ich wieder nach Washington fliege. Wollen Sie mir nicht Gesellschaft leisten?«
Diesen Zug hatten die Führer der Welt offensichtlich gemeinsam, dass sie einen zum Essen einluden, wenn sie mit irgendetwas zufrieden waren, dachte Allan, sagte es aber nicht. Stattdessen nahm er die Einladung des Vizepräsidenten an, und gemeinsam verließen die beiden Männer den Raum. Chefphysiker Oppenheimer stand immer noch am Tisch und wirkte ebenso erleichtert wie unglücklich.
* * * *
Vizepräsident Truman hatte sein mexikanisches Lieblingsrestaurant im Zentrum von Los Alamos sperren lassen, sodass Allan und er allein dort speisen konnten – wenn man mal von den zehn Agenten des Secret Service absah, die im ganzen Lokal verteilt waren.
Der Einsatzleiter des Secret Service wies darauf hin, dass Mr. Allan kein Amerikaner sei und man nicht einmal seinen Hintergrund überprüft habe – was äußerst problematisch war, wenn sich jemand unter vier Augen mit Truman treffen sollte. Doch der wischte die Einwände mit dem Satz beiseite, dass Mr. Allan heute die patriotischste Leistung abgeliefert habe, die man sich nur vorstellen könne.
Der Vizepräsident war blendender Laune. Gleich nach dem Essen wollte er mit seiner Air Force 2 statt nach Washington nach Georgia fliegen, wo Roosevelt in einer Einrichtung sein Polio-Leiden zu lindern versuchte. Harry Truman war sich sicher, dass der Präsident diese Neuigkeit sofort hören wollte.
»Ich suche das Essen aus, Sie die Getränke«, bestimmte Truman vergnügt und reichte Allan die Weinkarte.
Dann wandte er sich an den Oberkellner, der mit einer Verbeugung eine umfangreiche Bestellung von Tacos, Enchiladas, Maistortillas und einer Reihe verschiedener Salsas entgegennahm.
»Und was darf es zu trinken sein, Sir?«, fragte der Oberkellner.
»Zwei Flaschen Tequila«, antwortete Allan.
Harry Truman prustete los und fragte, ob Mr. Allan vorhabe, den Vizepräsidenten unter den Tisch zu trinken. Allan antwortete, er habe in den letzten Jahren gelernt, dass die Mexikaner sich auf die Herstellung eines Schnapses verstünden, der fast genauso reinhaue wie der schwedische Klare. Aber der Vizepräsident dürfe selbstverständlich auch gern Milch trinken, wenn ihm das passender vorkam.
»Nein, ich stehe zu meinem Wort«, erklärte Vizepräsident Truman und vervollständigte die Bestellung nur noch um Zitrone und Salz.
Drei Stunden später nannten sich die beiden »Harry« und »Allan«. Immer wieder erstaunlich, was so ein paar Flaschen Tequila für die Völkerfreundschaft tun können. Doch der immer betrunkenere Vizepräsident brauchte eine ganze Weile, bis er begriffen hatte, dass Allan Allans Vorname war. Allan hatte ihm auch schon erzählt, wie es gekommen war, dass zu Hause in Schweden der Großhändler in die Luft flog, und wie er General Franco das Leben gerettet hatte. Der Vizepräsident wiederum amüsierte Allan mit einer Parodie von Präsident Roosevelt, wie er sich aus dem Rollstuhl zu hieven versuchte.
Als die Stimmung auf dem absoluten Höhepunkt war, schlich sich der Einsatzleiter des Secret Service neben den Vizepräsidenten:
»Dürfte ich Sie einmal kurz sprechen, Sir?«
»Sprich du nur«, lallte der Vizepräsident.
»Ich würde Sie lieber unter vier Augen sprechen, Sir.«
»Also, das ist ja unglaublich, was du für eine Ähnlichkeit mit Humphrey Bogart hast! Ist dir das nicht auch aufgefallen, Allan?«
»Sir …«, begann der Einsatzleiter bekümmert.
»Ja verdammt, was willst du denn immer?«, wetterte der Vizepräsident.
»Sir, es geht um Präsident Roosevelt.«
»Was ist denn schon wieder mit dem alten Hammel?«, gackerte Truman.
»Er ist tot, Sir.«
10. KAPITEL Montag, 9. Mai 2005
Humpen saß schon seit vier Tagen vor dem ICA in Rottne und hielt zum einen Ausschau nach Bolzen, zum andern nach einem Hundertjährigen, einer rothaarigen Alten etwas jüngeren Baujahrs, einem Typen mit Pferdeschwanz, Aussehen weitgehend unbekannt, und einem Mercedes. Sich hierherzusetzen war nicht seine Idee gewesen, sondern die des Chefs. Sein kleiner Bruder, seines Zeichens auch Anführer von The Violence in Braås, hatte ihn angerufen und versichert, dass vor der Ambulanz eines Krankenhauses in Småland mitten in der Nacht ein Hundertjähriger gestanden habe. Diese Nachricht hatte Humpen natürlich sofort nach oben weitergeleitet, woraufhin ihm der Chef befahl, das meistbesuchte Lebensmittelgeschäft zu überwachen. Der Chef hatte sich nämlich ausgerechnet, dass jemand, der mitten in der Nacht durch Rottne spazierte, wohl in der Gegend wohnen musste. Früher oder später werden wir alle hungrig, und dann brauchen wir was zu essen, und wenn die Lebensmittel alle sind, müssen wir losziehen und wieder welche einkaufen. Das hörte sich verdammt logisch an. Der Chef war nicht ohne Grund Chef. Aber wie gesagt, das war mittlerweile vier Tage her, und langsam verließ Humpen der Mut.
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