Erschöpft stehen die Diener da.
»Bringt das alles sofort nach Schimran. Ich komme später nach.«
Die Diener verschwinden in dem Gewirr der Menschen. Noch einige Schritte, und ich trete gebückt durch die niedrige Tür einer persischen Teestube. Die Stube ist voll Menschen. In der. Mitte ein Mann mit rotem Bart. Mit halbgeschlossenen Lidern rezitiert er ein Liebesgedicht von Hafis. Die Zuhörer seufzen in süßer Wonne. Dann liest der Mann aus der Zeitung:
»In Amerika wurde eine Maschine erfunden, die das gesprochene Wort der ganzen Welt hörbar macht. — Seine Kaiserliche Majestät der König der Könige, dessen Glanz die Sonne überstrahlt, dessen Hand zum Mars reicht, dessen Thron die Welt überragt, Sultan Achmed Schah, empfing in seinem Palais Bagheschah den Residenten des gegenwärtig in England regierenden Monarchen. — In Spanien ist ein Kind mit drei Köpfen und vier Füßen zur Welt gekommen. Die Bevölkerung deutet das als ein böses Omen.«
Die Zuhörer schnalzen verwundert mit den Zungen. Der Rotbärtige faltet die Zeitung zusammen. Wieder erklingt ein Lied. Dieses Mal vom Ritter Rustern und seinem Sohne Sorab. Ich höre kaum zu. Ich blicke in den goldenen, dampfenden Tee. Ich denke nach: es ist nicht alles ganz so, wie es sein sollte.
Ich bin in Persien, ich bewohne ein Palais und ich bin zufrieden. Nino bewohnt dasselbe Palais und ist ganz unzufrieden. In Daghestan nahm sie willig alle Entbehrungen des wilden Lebens auf sich. Hier versagt sie vor den würdigen Regeln der feierlichen persischen Etikette. Sie will mit mir durch die Straßen gehen, obwohl das polizeilich verboten ist. Mann und Frau dürfen weder gemeinsam Besuche empfangen, noch gemeinsam ausgehen. Sie bittet mich, ich möge ihr die Stadt zeigen, und ist gereizt, wenn ich es ihr ausreden will.
»Ich würde dir gern die Stadt zeigen, Nino. Aber ich darf der Stadt nicht dich zeigen.«
Ihre großen, dunklen Augen blicken vorwurfsvoll und verwirrt. Wie soll ich sie überzeugen, daß es für die Frau eines Khans wirklich nicht angeht, unverschleiert durch die Stadt zu wandeln. Ich kaufe die teuersten Schleier.
»Schau, Nino, wie schön sie sind. Wie sie das Gesicht vor Sonne und Staub schützen. Ich würde selbst gern einen Schleier tragen.«
Sie lächelt traurig und legt die Schleier weg.
»Es ist einer Frau unwürdig, ihr Gesicht zu verdecken, Ali Khan. Ich würde mich selbst verachten, wenn ich diese Tracht anlegte.«
Ich zeige ihr die Polizeiverordnung. Sie zerreißt sie, und ich bestelle eine geschlossene Kutsche mit geschliffenen Glasscheiben.
So fuhr ich mit ihr durch die Stadt. Am Kanonenplatz sah sie meinen Vater und wollte ihn begrüßen. Es war entsetzlich, und ich habe die Hälfte des Basars aufgekauft, um sie zu versöhnen…
Ich sitze allein und blicke in die Teetasse.
Nino vergeht vor Langeweile, an der ich nichts zu ändern vermag. Sie will mit den Frauen der europäischen Kolonie zusammenkommen. Doch geht es nicht an. Die Frau eines Khans soll nicht mit Frauen des Unglaubens zusammenkommen. Sie werden sie so lange bemitleiden, daß sie das Leben im Harem ertragen muß, bis sie es tatsächlich nicht mehr erträgt.
Kürzlich besuchte sie meine Kusinen und Tanten und kehrte ganz verstört nach Hause.
»Ali Khan«, rief sie verzweifelt, »sie wollten wissen, wie oft am Tage du mich mit deiner Liebe beehrst. Sie sagen, daß du immer bei mir bist. Das wissen sie von ihren Männern. Und sie können sich nicht vorstellen, daß wir auch etwas anderes tun. Sie gaben mir ein Mittel gegen Dämonen und empfahlen mir ein Amulett. Es soll mit Sicherheit vor einer Nebenbuhlerin schützen. Deine Tante Sultan Hanum fragte mich, ob es nicht ermüdend sei, die einzige Frau eines so jungen Mannes zu sein, und alle wollten wissen, wie ich es anstelle, daß du nie zu den Tanzknaben gehst. Deine Kusine Suata war neugierig zu erfahren, ob du noch nie eine schmutzige Krankheit gehabt hast. Sie behaupteten, daß ich zu beneiden sei. Ali Khan, ich fühle mich wie mit Kot beworfen.«
Ich tröstete sie, so gut ich konnte. Sie kauerte in der Ecke wie ein verstörtes Kind, blickte ängstlich um sich und konnte sich lange nicht beruhigen.
Der Tee wird ganz kalt. Ich sitze in der Teestube, damit die Leute sehen, daß ich nicht mein ganzes Leben im Harem verbringe. Es schickt sich nicht, immer bei seiner Frau zu sitzen. Meine Vettern spotten bereits. Nur bestimmte Stunden des Tages gehören der Frau. Die übrigen dem Manne. Aber ich bin Ninos einzige Zerstreuung, bin ihr Zeitung, Theater, Kaffeehaus, Bekanntenkreis und Ehemann zugleich. Deshalb kann ich sie nicht allein lassen, deshalb kaufe ich den ganzen Basar auf, denn heute abend ist großer Empfang beim Onkel zu Ehren meines Vaters, ein kaiserlicher Prinz wird anwesend sein, und Nino muß allein zu Hause bleiben, in Gesellschaft des Eunuchen, der sie erziehen will.
Ich verlasse den Basar und fahre nach Schimran. Im großen, teppichbelegten Saal sitzt Nino nachdenklich vor dem Berg von Ohrringen, Armbändern, Seidenschals und Parfümflaschen. Sie küßt mich still und zart, und Verzweiflung steigt plötzlich in mir auf. Der Eunuch bringt Scherbet und blickt mißbilligend auf die Geschenke. Man soll seine Frau nicht so verwöhnen.
Das Leben eines Persers beginnt in der Nacht. Nachts werden die Menschen lebendiger, die Gedanken leichter, die Worte gelöster. Hitze, Staub und Schmutz belasten den Tag. Nachts erwacht der Teschachüt, die seltsame persische Vornehmheit, die ich liebe und bewundere und die so ganz anders ist als die Welt Bakus, Daghestans oder Georgiens. Es war acht Uhr, als die Galakutschen des Onkels vor unserm Hause hielten, eine für meinen Vater, eine für mich. So verlangt es die Etikette. Vor jeder Kutsche drei Peschhedmeten, Herolde und Läufer, mit langen Laternen in der Hand, deren grelles Licht auf ihre inbrünstigen Gesichter fiel. In der Jugend war ihnen die Milz herausgeschnitten worden, und die Aufgabe ihres Lebens war lediglich, vor den Kutschen herzulaufen und mit tiefem Pathos »Achtung« zu rufen.
Der Weg war menschenleer. Trotzdem riefen die Läufer gleichmäßig ihr »Achtung«, denn auch das gehörte zur Etikette. Wir fuhren durch enge Gassen, an endlosen, grauen Lehmmauern vorbei, hinter denen sich Kasernen oder Hütten, Paläste oder Ämter verbergen. Auf die Straße blicken nur die grauen Lehmmauern, die das persische Leben vor unbefugten Blicken abschließen.
Die gewölbten Kuppeln der Basarläden glichen im Mondschein unzähligen Luftballons, von einer unsichtbaren Hand zusammengehalten. Wir hielten vor einer breiten Mauer, in die eine schöngeschwungene Messingpforte eingelassen war. Die Pforte öffnete sich, und wir fuhren in den Hof des Palais ein.
Wenn ich allein dieses Haus aufsuchte, stand an der Pforte ein alter Diener mit zerlumptem Rock. Heute hingen an der Front des Palastes Girlanden und Lampions, und acht Mann verbeugten sich, als die Wagen vor der Schwelle hielten.
Der ungeheure Hof war durch eine niedrige Mauer in zwei Hälften geteilt. Drüben war der Harem. Dort plätscherte die Fontäne und sang die Nachtigall. Im Männerhof befand sich ein einfaches, rechteckiges Bassin mit Goldfischen.
Wir stiegen aus. Der Onkel trat an die Schwelle. Seine kleine Hand verdeckte das Gesicht. Er verbeugte sich tief und begleitete uns ins Haus. Der große Saal mit den vergoldeten Säulen und geschnitzten Holzwänden war voller Menschen. Ich sah schwarze Lammfellmützen, Turbane und weite, dünne Gewänder aus dunkelbraunem Stoff. In der Mitte saß ein älterer Mann mit mächtig gebogener Nase, grauen Haaren und breitgeschwungenen Augenbrauen — Seine Kaiserliche Hoheit der Prinz. Alle erhoben sich, als wir eintraten. Wir grüßten zuerst den Prinzen, dann die andern. Wir ließen uns auf weiche Kissen nieder. Die Anwesenden folgten unserem Beispiel. So saßen wir eine Minute oder zwei. Dann sprangen wir alle auf und verbeugten uns erneut gegeneinander. Endlich setzten wir uns endgültig hin und versanken in würdiges Schweigen. Die Diener brachten bläuliche Tassen mit duftendem Tee. Körbe mit Obst wanderten von Hand zu Hand, und die Kaiserliche Hoheit brach das Schweigen mit den Worten:
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