Kaum waren diese Worte ihrem Mund entschlüpft, weinte sie. Sie schluchzte so sehr, dass sie keine Luft mehr bekam, ihr üppiger Busen bebte. Ihr von Muttergefühlen übervolles Herz wusste nicht wohin mit all der Liebe. Ich versichere jedem, hätte man ihr einen Säugling gegeben, aus ihren Brüsten wäre zweifellos reichlich Milch geflossen.
In dieser Gemütsverfassung steckte ich die DVD, die uns Leber hatte vorbeibringen lassen, in den DVD-Spieler.
Leuten, die nicht von hier stammen, tun vielleicht die Ohren weh, wenn sie dies hören müssen, aber wir hier ...
Uns kamen sofort die Tränen, als wir die mit unserer heimischen Opernmusik unterlegte Reportage über Gugu und den Lehm- und Tonskulpturenkünstler Hao Große Hand und dessen Leben und Arbeiten in Gaomi sahen.
Ich gebe geradeheraus zu, dass ich mich zwar damals mit einer Meinungsäußerung zurückgehalten hatte, als Gugu Hao Große Hand heiratete, dass es mir persönlich aber äußerst missfiel. Mein Vater, mein Bruder und seine Frau waren genau wie ich dagegen. Wir fanden, dass Gugu eine schlechte Partie machte.
Wir hatten seit unserer Kinderzeit immer so darauf gewartet, dass Gugu heiratete! Als sie mit Wang Xiaoti zusammen war, was hatte uns das an Ruhm und Ehre eingebracht! Es war großartig gewesen! Und was für ein maßlos grausames Ende es dann genommen hatte! Als später Yang Lin folgte, konnte er zwar Wang Xiaoti bezüglich unserer Vorstellung von einem idealen Ehemann für Gugu nicht das Wasser reichen, aber er war ein hoher Beamter. Selbst wenn sie den in sie vernarrten Qin Strom geheiratet hätte, wäre der doch immer noch besser gewesen als Hao Große Hand.
Inzwischen hatten wir uns eigentlich alle damit abgefunden, dass Gugu ihr Leben lang unverheiratet bleiben würde! Wir hatten uns bereits Gedanken darüber gemacht, wer von uns dazu in Frage käme, sie zu versorgen, wenn sie einmal alt und gebrechlich wäre, wer sie bis zuletzt begleiten sollte. Und dann heiratete sie ohne jede Vorwarnung Hao Große Hand ...
Ich und Kleiner Löwe hatten noch in Peking gewohnt, als uns die Nachricht erreichte. Zuerst waren wir überrascht, dann fanden wir es grotesk, zuletzt waren wir bitter enttäuscht.
Die Folge mit dem Titel Mondlichtkinder gab zwar vor, über den Tonkinder-Künstler Hao Große Hand zu berichten, aber die Hauptdarstellerin war eindeutig Gugu. Von der Begrüßung durch den Reporter bis ganz zum Schluss, als man noch einen Blick in Große Hands Magazin werfen durfte, in dem er fertige und unfertige Tonkinder aufbewahrte, stand Gugu als Hauptdarstellerin im Zentrum eines jeden Bildes. Sie berichtete mit Händen und Füßen farbenprächtig und in allen Stimmlagen, während Hao Große Hand mit undurchdringlichem Blick still an seinem Arbeitstisch saß, wie ein altes Ross in einer Traumwelt.
Werden alle Lehmkünstler, wenn sie zu Meistern ihrer Kunst geworden sind, zu alten Rössern in einer Traumwelt? Er besitzt einen großen, klingenden Namen, ist eine Berühmtheit in Gaomiland, aber soweit ich mich erinnere, bekam ich ihn während meines gesamten Lebens nur wenige Mal zu Gesicht. Als mein Bruder ein Festessen gab, weil mein Neffe von der Luftwaffe zum Piloten ausgebildet werden sollte, traf ich Große Hand einmal kurz, aber es war schon dunkel. Viele Bürger Gaomis sahen ihn in dieser Fernsehfolge zum ersten Mal, und dies nur auf dem Bildschirm. Sein Haar war schlohweiß, seine Gesichtsfarbe jedoch rosig. Er sah aus wie ein die Wolken reitender Unsterblicher. Der Film enthüllte uns überraschenderweise auch, warum Gugu ihn geheiratet hatte.
Gugu zündete sich darin eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und sprach mit ernster Stimme: »Die Sache mit dem Heiraten ist von der Vorsehung bestimmt. Wenn ich das zu euch jungem Volk sage, sollt ihr nicht meinen, ich hätte dem Materialismus abgeschworen. Ich bin bisher immer eine kämpferische Materialistin gewesen, und ich vertrete bestimmt nicht die Ansicht, dass ihr jetzt etwa dem Idealismus anhängen sollt. Aber mit dem Heiraten ist es so eine Sache: Da muss man die Vorsehung entscheiden lassen, sonst wird das nichts. Fragt ihn.« Sie zeigte mit dem Finger auf Hao Große Hand, der wie eine aus Lehm modellierte Gottheit dasaß. »Fragt ihn, ob er sich auch nur im Traum hätte vorstellen können, einmal mit mir verheiratet zu sein.
1997 bin ich sechzig geworden, da hat mich mein vorgesetzter Kader in den Ruhestand geschickt. Ich war natürlich nicht erpicht darauf. Ich war schon fünf Jahre länger als alle anderen im Dienst.
Der Stationsleiter unserer Krankenstation, ihr kennt ihn ja alle, ist ein Vieh, das Hilfsbereitschaft mit Undank lohnt. Er ist der Sohn des Huang Milz aus dem Dorf Hexicun, man nennt ihn Sexgurke, sein richtiger Name lautet Huang Jun. Gerade fällt mir ein, diesen Faun habe ich auch aus dem Leib seiner Mutter geholt. Der ist nur zweieinhalb Tage auf die medizinische Fachschule in Gaomi gegangen. Wenn dieser Hohlkopf jemanden mit dem Stethoskop abhören soll, findet er Lunge und Herz nicht, wenn er Blut abnehmen soll, die Vene nicht, wenn er eine TCM-Pulsdiagnose machen soll, die drei Punkte Cun, Guan, Chi nicht. Und so einer ist Leiter unserer Krankenstation geworden! Als er auf die medizinische Fachschule ging, war ich für ihn beim Gesundheitsamt, bei Amtsleiter Shen, und habe mich für ihn eingesetzt. Aber kaum hatte er die Macht in Händen, kannte er mich nicht mehr. Er kann nichts. Nur zwei Stärken besitzt er: Nr. 1 – Leute einladen, Geschenke machen, sich einschmeicheln und lobhudeln. Nr. 2 – Mit faulen Tricks Frauen ins Bett kriegen.«
Hier machte sie eine Pause. Sie wirkte gebrochen.
»Ich war völlig verblendet! Ich hatte mir den Wolf ins Haus geholt und damit dem Missbrauch Vorschub geleistet! Die jungen Dinger in unserem Krankenhaus hatte er schnell alle durch. Wang Xiaomei aus Wangjiazhuang war gerade mal siebzehn. Ein wunderhübsches ovales Gesicht, makellose helle Haut und einen dicken Zopf auf dem Rücken, dazu lange Wimpern wie Schmetterlingsflügel, mit denen sie immer klimperte, und große, sprechende Augen. Wer sie sah, sagte sofort, wenn Zhang Yimou die entdecken sollte, würde sie noch berühmter als Gong Li und Zhang Ziyi. Aber es kam nicht dazu, denn erst einmal hatte Sexgurke sie am Wickel. Er fuhr nach Wangjiazhuang und beredete die Eltern der Kleinen, da hätten sogar Tote zu reden begonnen. Sie sollten ihre Tochter die Schule wechseln lassen und sie auf unsere Krankenstation geben, damit sie von mir die Frauenmedizin lernte. Er gab das zwar vor, aber Wang Xiaomei war dann keinen einzigen Tag bei mir auf der Frauenstation. Sexgurke, dieser ständig nach Frischfleisch hungrige Wolf, nahm sie völlig in Beschlag. Sie leistete ihm Tag und Nacht Gesellschaft, nachts hatten sie Sex, da will ich ja mal nichts sagen, aber am helllichten Tage trieben sie es auch miteinander. Viele aus Gaomi haben es mit eigenen Augen gesehen. Wenn es ihm über war, fuhr er mit ihr in die Kreisstadt und gab von öffentlichen Geldern Festessen. Kader und Beamte lud er ein, solche Aktivitäten verlegte er alle in die Stadt. Habt ihr diesen miesen Kerl nie dabei gesehen? Ein langes Gesicht, wie das eines Esels, die Lippen von der Farbe eines Blutergusses, zwischen den Zähnen Zahnfleischbluten, dazu einen üblen Mundgeruch, so stark, dass jedes Pferd davon in die Knie geht. Und nun hatte er tatsächlich noch vor, Vizeleiter des Kreisgesundheitsamts zu werden. Wang Xiaomei musste ihm auf alle drei Arten gefällig sein, mit ihm essen und trinken, mit ihm reden und spaßen und mit ihm tanzen und Sex haben. Es hätte nur noch gefehlt, dass er sie an seine Trinkkumpane auslieh. Er versündigte sich schwer! Er setzte sich schlechte Ursachen!
Eines Tages rief er mich zu sich in sein Büro. Die Frauen im Krankenhaus fürchteten nichts mehr, als zu ihm ins Büro gerufen zu werden. Ich natürlich nicht. In meiner Jackentasche hatte ich immer ein kleines Messer dabei. Ich war jederzeit darauf vorbereitet, ihn zu kastrieren. Er goss mir mit einem Scheißlächeln einen Tee nach dem anderen ein und bewirtete mich mit Süßigkeiten. Ich sagte nur: ›Stationsleiter Huang, wenn es etwas gibt, wobei ich helfen soll, dann heraus mit der Sprache. Es wird nicht um den heißen Brei herumgeredet.‹ Er lachte trocken, fast hüstelte er: ›Verehrte Tante!‹ – Wie abartig! Er wagte es doch tatsächlich, mich Tante zu nennen! – Er sagte, er sei von mir auf die Welt gezogen worden, ich hätte ihn aufwachsen sehen, er sei nichts anderes als mein leiblicher Sohn.
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