»Ich hatte in dieser Lage keinen Sinn für Peinlichkeit mehr. Mir war gar nicht bewusst, dass ich fast nackt war. Ich sah einen Mann mit Palmstrohcape und Bambushut auf der kleinen Brücke sitzen und mit der Hand einen silbern funkelnden Klumpen bearbeiten. Später erfuhr ich, dass er Tonerde geknetet hatte.«
Um Mondlichtkinder zu machen, braucht man wohl Mondlichttonerde.
»Ich konnte in jenem Augenblick gar nicht erkennen, wer es war, nur dass es ein Mensch war und meine Rettung.«
Gugu erzählte, sie sei diesem Mann in die Arme gestürzt, habe sich wie von Sinnen unter das Palmstrohcape an seine Brust gewühlt, nur um an ihrer eigenen Brust die Wärme seines Körpers zu spüren und die frostige, nach Fisch stinkende Kälte der Frösche zu vertreiben. »Zu Hilfe, Bruder«, habe sie noch gerufen, dann sei sie ohnmächtig geworden.
Der lange Fernsehbericht der Tante hatte uns aufgewühlt. Wir hatten die Massen von Fröschen noch vor unserem geistigen Auge. Ein eiskalter Schauer lief uns über den Rücken.
Der Kameramann schwenkte wohl zu Hao Große Hand hinüber, jedenfalls kam dieser jetzt endlich ins Bild.
Gugu fuhr fort: »Als ich aufwachte, lag ich bereits auf Große Hands Kang. Ich steckte in Männerkleidung. Er brachte eine Schale süße Mungobohnensuppe, die er mir einflößte. Die köstlich duftenden Mungobohnen weckten meine Lebensgeister. Ich aß die Schale leer und schwitzte alles tüchtig aus. Viele Stellen meines Körpers glühten schmerzhaft. Das Gefühl des Eiskalt-Feuchten, Klebrigen, das jeden laut losschreien lässt, ebbte langsam ab. Aber ich bekam einen Ausschlag, stechende, juckende, schmerzende Pusteln, dem ein hohes Fieber mit Halluzinationen folgte.
Mit Große Hands Mungobohnensuppe nahm ich auch diese Hürde. Mein Körper schälte sich und ich hatte diffuse Knochenschmerzen. Ich hatte davon gehört, dass man sein Karma doch noch ändern kann, wenn man sich einer sehr harten Praxis oder Prüfung unterzieht, so wie der schlangenköpfige Mahoraga 21, und ich wusste, dass ich mich gehäutet und auch meine Knochen ausgetauscht hatte. Wieder genesen, sagte ich zu Hao Große Hand: »Bruder, wir sollten wohl heiraten!«
Bei diesen Worten weinte sie wieder bitterlich.
Es folgte ein Schnitt, und die Kamera fing ein, wie Gugu und Große Hand gemeinsam Niwawa-Kinder modellierten. Gugu saß mit geschlossenen Augen da und sagte zu Große Hand, der ebenfalls die Augen geschlossen hielt und einen Klumpen Tonerde in der Hand hielt: »Dieses Baby muss Guan mit Nachnamen und Kleiner Bär mit Vornamen heißen, sein Vater ist einen Meter neunundsiebzig groß und hat ein längliches Gesicht, ein breites Kinn, Schlitzaugen, große Ohren, die Nase ist vorne breit und hat einen flachen Rücken. Seine Frau ist einen Meter dreiundsiebzig groß, hat einen langen Hals, ein spitzes Kinn, ein hohes Jochbein, keine Schlitzaugen, eine kleine Nasenspitze und einen hohen Nasenrücken. Das Kind hat dreißig Prozent vom Vater und siebzig Prozent von der Mutter ...« Während Gugu weitersprach, entstand das Kind namens Guan Kleiner Bär in den Händen des Meisters.
Die Kamera schwenkte für ein Close-Up zum Niwawa-Tonkind. Ich sah es mit seinen frischen Gesichtszügen, die aber, wie soll ich sagen, bekümmert wirkten. Ich musste heftig weinen ...
5
Ich begleitete Shizi, die sich die chinesisch-amerikanische Mutter-und-Kind-Klinik anschauen wollte. Sie wollte so gern dort arbeiten, bekam aber keinen Fuß in die Tür, weil niemand sie protegierte.
Wir betraten die Klinik, aber schon im Foyer hatte ich den Eindruck, ich befände mich in einem exklusiven Club und nicht in einem Krankenhaus. Wir hatten Sommer, doch die Klimaanlage sorgte für ein angenehm kühles Lüftchen. Sanfte Hintergrundmusik verwöhnte unsere Ohren, und die Luft war erfüllt vom Duft frischer, wohlriechender Schnittblumen. Die Wand, auf die beim Eintreten der Blick fiel, zeigte das hellblaue Kliniklogo und acht rosafarbene Schriftzeichen:
一生承諾,滿懷信任
Ein auf Vertrauen gegründetes Versprechen erfüllt sich;
Schwangerschaft und Geburt werden wahr .
Zwei Schönheiten in weißen Arztkitteln und Schwesternhäubchen befanden sich gerade im Patientengespräch. Wie zuvorkommend waren die Stimmen, wie entzückend das Lächeln und wie entwaffnend der Augenaufschlag der beiden.
Eine Ärztin mittleren Alters im langen Arztkittel und mit einer weiß gefassten Brille auf der Nase kam auf uns zu. »Mein Herr, meine Dame, kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte sie in herzlichem Ton.
Ich antwortete: »Nein danke, wir schauen uns nur um.«
Sie brachte uns in den Warte- und Entspannungsbereich, der rechts an das Foyer grenzte. Es gab dort äußerst bequeme Rattanstühle, die Bücherregale waren voll von exklusiven Mutter-und-Kind-Magazinen, auf den Beistelltischchen lagen aufwendig gedruckte Bildbände und Broschüren, in denen die Klinik vorstellt wurde.
Die Ärztin brachte uns zwei Gläser, die sie am Wasserspender mit Eiswasser füllte, schenkte uns ein Lächeln und entfernte sich.
Ich schlug eine Klinikbroschüre auf. Aus ihr blickte mich eine makellose Ärztin mittleren Alters an, pickelfreie Stirn, schmale lange Augenbrauen, freundlicher Blick, weiße, ebenmäßige Zähne, ein mildes Lächeln. Am Kittel trug sie ein Namensschild mit ihrem Foto. Über ihrer linken Schulter befand sich eine Sprechblase:
Die Chinesisch-Amerikanische Mutter-und-Kind-Klinik ist für Sie die ideale gynäkologische Klinik für pränatale und geburtshilfliche Medizin höchster Ansprüche. Wir vermeiden eine kalte Krankenhausatmosphäre und begegnen Ihnen mit Wärme und Herzlichkeit. Sie treffen auf ein harmonisches Miteinander, Ehrlichkeit und eine familiäre Atmosphäre. Sie erfahren bei uns, was gehobener Service der ersten Klasse bedeutet ...
Unter ihrer rechten Schulter gab es eine weitere Sprechblase:
Wir halten uns streng an das Genfer Gelöbnis des Weltärztebunds, verabschiedet im September 1948. Wir praktizieren die ärztliche Kunst mit Gewissenhaftigkeit und Würde. Die Gesundheit unserer Patienten ist oberstes Gebot unseres Handelns. Die uns anvertrauten Geheimnisse unserer Patienten wahren wir auch über deren Tod hinaus. Wir halten mit allen unseren Kräften die Ehre und die edle Tradition unseres ärztlichen Berufes aufrecht ...
Ich schielte zu meiner Frau hinüber und bemerkte, dass sie beim Durchblättern der Klinikbroschüre die Stirn runzelte.
Ich schlug die nächste Seite auf und blickte auf einen Sicherheit ausstrahlenden, Vertrauen erweckenden Gynäkologen, der dabei war, den Bauchumfang einer Schwangeren zu messen. Ihr hoch aufragender Bauch war glänzend und makellos, ihr Gesicht mit einem hohen Nasenrücken und langen Wimpern, verführerischen vollen Lippen und einem rosigen Teint ließ nichts erkennen von der für Schwangere typischen Abgespanntheit. Eine Sprechblase mit einer Textzeile besagte:
Wir behandeln das Leben vom ersten Tag der Schwangerschaft an mit dem allergrößten Respekt .
Ein mittelgroßer Mann mit spärlichem Haar in Markenfreizeitkleidung kam mit schnellen Schritten in die Lobby. An seinem selbstbewussten Blick und dem leicht vorgewölbten Bauch konnte ich erkennen, dass er einen hohen Status haben musste. Wenn er kein hoher Kader war, so doch jemand mit hohem Einkommen, oder auch beides, von hohem Rang und mit hohem Einkommen. Mit seiner Linken umfasste er leicht ein junges Mädchen. Sie trug ein gelbes Seidenkleid mit schwingendem Rock und ging mit wiegenden Schritten, eine hochgewachsene Schöne mit weichen Formen und schlanker Taille.
Das Herz stockte mir, denn plötzlich erkannte ich sie. Es war Xiaobi, die Büroleiterin des Froschzuchtunternehmens und Bildhauerin Yuan Backes. Wir hatten sie bei Backe und meinem Cousin kennengelernt.
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