»Halt!«, brüllte meine Tante, zwang sich aufzustehen und maßregelte Qin Strom: »Warum bleibst du nicht am Anleger beim Boot, sondern kommst hierher? Du machst uns nur Umstände!«
Qin Strom fühlte sich ertappt, schmiss sofort den Knüppel hin und trollte sich.
Tante wehrte ihre Gehilfin ab, die sie stützen wollte, und ging zu Faust hinüber. Während sie ihn mit festem Blick fixierte, hörte man weithin Qin Stroms lautes Weinen. Die Tante würdigte ihn keines Blickes. Fausts Mund entfuhren immer noch üble Beschimpfungen, aber sein Blick ließ jetzt eine ängstliche Vorsicht erkennen. Tante fuhr den Milizionär an, der ihn am Schlafittchen hatte und am Arm festhielt: »Lass ihn los!« Er zögerte. Meine Tante wiederholte: »Lass ihn los! Gib ihm den Knüppel!«
Ein Milizionär reichte den Knüppel weiter und warf ihn zu Faust hinüber. Mit einem eiskalten Lachen sagte meine Tante: »Heb den Knüppel auf!«
Faust murmelte: »Wer sich an meinen Nachkommen vergreifen will, dem werde ich den Garaus machen!«
»Nun ja, wenn du noch Nachkommen bekämst ...«, gab Tante zu bedenken und zeigte auf ihren Kopf: »Schlag zu! Hau drauf!«
Gugu sprang zwei Schritte auf ihn zu und rief gellend: »Heute setzt Wan Herz ihr Leben aufs Spiel! Merk dir, was deine Großtante dir sagt! Nicht mal die Japsen, die mich mit dem Bajonett in die Enge trieben, hab ich gefürchtet. Dich fürchte ich schon gar nicht!«
Zhang Goldzahn trat vor und verpasste Faust eine Backpfeife: »Dass du dich mal schnell bei Leiterin Wan entschuldigst!«
»Ich brauche seine Entschuldigung nicht! Die Politik der Geburtenplanung ist ein großangelegtes Staatsvorhaben. So wahr ich Wan Herz heiße, wenn ich jetzt dafür mein Leben gebe, ist es das wert!«
Kleiner Löwe bat Zhang Goldzahn: »Ruf schnell die Polizei, damit sie jemanden herschicken!«
Goldzahn trat Faust: »Knie dich hin, Mensch! Gib deine Vergehen zu und sag ihr, dass du ihr den Schaden wiedergutmachst.«
»Nicht nötig, nur keine Umstände. Dieser Stockschlag kann dich drei Jahre hinter Gitter bringen! Aber ich habe Verständnis für deine Lage und will dich nicht anzeigen. Zweierlei Möglichkeiten hast du: Die eine, du befiehlst deiner Frau, mir brav auf die Krankenstation zu folgen und eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Ich werde es persönlich tun und für ihre Sicherheit sorgen! Die andere, wir gehen gemeinsam zur Polizei und die verfahren dort mit dir strikt nach dem Gesetz. Am besten folgt mir deine Frau jetzt ohne Widerrede. Wenn nicht, dann ...«, Tante zeigte auf Zhang Goldzahn mit seinen Milizionären, »... könnt ihr sie mir rüberschaffen.«
Faust kniete heulend, beide Hände vor dem Gesicht, am Boden: »Lieber Himmel, seit drei Generationen trägt in unserer Familie ein einziger Sohn unseren Familiennamen weiter. Bitte lass ihn jetzt nicht mit mir aussterben! Himmel, öffne deine Pforten! Verhüte dieses Unglück!«
Zur gleichen Zeit war auch seine Frau laut weinend über den Hof herbeigekommen. Die Haare voller Stroh, denn sie hatte sich im Heuhaufen versteckt gehalten: »Leiterin Wan, verschone ihn, ich geh mit dir.«
Tante und Kleiner Löwe verschwanden rechts den Flussdeich entlang. Sie schienen auf dem Weg zum Brigadekaderbüro zu sein, wohl, um sich Hilfe und Rat bei den Kadern zu holen. Währenddessen kroch die Frau – Fausts Ehefrau – aus der Kajüte und sprang über Bord in den Fluss. Qin Strom hechtete sofort hinterher, aber er konnte nicht schwimmen und ging unter. Mit letzter Kraft bekam er den Kopf über Wasser, aber nur, um gleich wieder unterzugehen. Huang Qiuya kreischte in höchsten Tönen: »Zu Hilfe! Zu Hilfe!«
Wir sahen von unserem Baum aus, wie die Tante und Kleiner Löwe sofort umkehrten und über den Deich zum Fluss zurückrannten. Wang Leber machte nun ebenfalls einen Hechtsprung ins Wasser, elegant wie ein Fisch.
Wir waren am Fluss großgeworden und hatten schwimmen und laufen gleichzeitig gelernt. Der knorrige Weidenbaum hatte uns immer als Sprungbrett gedient, als wäre er nur zu diesem Zwecke gewachsen.
Ich hoffte so sehr, dass Kleiner Löwe Lebers eleganten Kopfsprung gesehen hatte. Ich sprang gleich nach ihm ins Wasser. Li Hand folgte vom Ufer aus. Wir wollten erst einmal die Schwangere retten, aber sie war nirgends zu sehen. Qin Strom, der arme Wurm, wippte vor mir im Fluss auf und ab, wie ein Schmalzkuchen im siedenden Öl. Koch Wang schrie aus Leibeskräften: »Ihr müsst ihn am Schopf zu fassen kriegen! Lasst ihn nicht mit den Händen an euch ran!«
Wang Leber schwamm hinter ihn, streckte die Hand aus und packte seinen Schopf.
»Was für Haar! Superhaare! Wie eine Pferdemähne!«, schwärmte er uns später vor, nachdem alles vorüber war.
Leber konnte von uns Jungen am besten schwimmen. Er schaffte es, von einem zum anderen Ufer zu schwimmen, ohne dass die Klamotten, die er über den Kopf hielt, auch nur einen Tropfen Wasser abbekamen. Und nun hatte er die Chance bekommen, seiner angebeteten Traumfrau seine Schwimmkünste zu zeigen! Li Hand und ich eskortierten ihn, einer zu seiner Linken, der andere zu seiner Rechten, bis er Qin Strom glücklich aus dem Wasser ans Ufer gezogen hatte.
Schon waren Tante und Kleiner Löwe herbeigerannt. Meine Tante grollte: »Wie kommt der Blödkopf dazu, in den Fluss zu springen?«
Qin Strom krümmte sich bäuchlings am Ufer und erbrach sich in den Fluss.
Huang Qiuya weinte: »Als Fausts Frau sich in den Fluss warf, sprang er hinterher, um sie zu retten.«
Gugu wurde nun richtig böse, ihr Blick schweifte suchend über den Fluss: »Wo ist sie?«
»Sie hat sich ins Wasser gestürzt und war nicht mehr zu sehen.«
»Habe ich dir nicht befohlen, dass du sie gut bewachen sollst? Ich kann dir eins sagen«, Gugu sprang wütend an Bord, »du bist so gut wie tot. Denn du wirst es zu verantworten haben! Wir legen ab! Starte sofort den Motor!«
Kleiner Löwe mühte sich mit Händen und Füßen ab, kriegte den Motor aber nicht ans Laufen.
Gugu brüllte: »Qin Strom! Du sollst sofort den Motor starten!«
Schwankend und zitternd erhob er sich, beugte sich aber gleich wieder vornüber, um Wasser zu erbrechen, und ging in die Knie.
»Renner! Leber! Kommt schnell! Helft mir Menschenleben retten!« Die Tante schrie aus Leibeskräften: »Ich belohne euch reichlich!«
Wir ließen den Blick übers Wasser schweifen und suchten mit den Augen gründlich die Oberfläche ab. Endlose Weiten schmutzig brodelnden Wassers, auf dem Schaumhaufen, Schilf und Wasserpflanzen trieben. Da zeigte Li Hand auf das stille Wasser am Uferrand. Dort schaukelte eine Melonenschale langsam vorwärts: »Schau, dort!«
Die Melonenschale trieb mit der Strömung und hob sich ab und zu über die Wasseroberfläche, wobei sie den Blick auf den Hals und das wirre Haar einer Frau freigab.
Gugu, die es sich an der Bordwand bequem gemacht hatte, pfiff durch die Zähne und begann zu lachen.
»Die, die wir vor dem Ertrinken retten wollten, haben wir gefunden! Keine Eile!«
»Kleiner Löwe, kannst du dich über Wasser halten?«
Die schüttelte den Kopf.
»Um berufsmäßig für die Geburtenplanung im Dienst zu sein, genügt es nicht, dass man Prügel einstecken kann, man muss auch noch schwimmen können«, lachte die Tante und zeigte mit dem Finger auf die im Wasser schaukelnde Wassermelonenschale. »Sie hat sich die Tricks gemerkt, mit denen unsere Guerilla damals die Japsen überwältigt hat!«
Qin Strom machte den Rücken krumm und kletterte nun an Bord. Er triefte, sein in der Mitte gescheiteltes Haar klebte am Kopf, seine Lippen waren dunkelblau, und er war kreidebleich.
»Fahr los!«, wies ihn meine Tante an.
Qin Strom betätigte die Starterkurbel und legte sie dann wieder zur Seite. Ihm war wohl schwindlig geworden. Er schwankte, würgte und erbrach Schaum.
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