Wir machten für ihn das Tau am Steg los. Tante rief uns zu: »Kommt an Bord!«
Ich konnte Leber die Ergriffenheit nachfühlen, mit der er an Bord auf Tuchfühlung mit Shizi saß. Ich beobachtete, wie seine Hände, die er auf den Knien abgelegt hatte, nervös zitterten. Weil sein Hemd ihm nass auf der Haut klebte, sah ich deutlich sein aufgeregt pochendes Herz, wie das eines Wildkaninchens, das man in einen Käfig gesperrt hat und das sich gegen die Gitterstäbe drückt. Er saß stocksteif und wagte nicht, sich zu rühren. Die füllige Shizi hatte keinen Schimmer. Sie hatte nur Augen für die auf dem Wasser schaukelnde Melonenschale.
Qin Strom lenkte den Bug des Bootes vom Ufer weg und fuhr im ruhigen Wasser parallel zur Uferböschung weiter. Der Außenborder tuckerte gemütlich. Li Hand stand neben ihm und schaute ihm zu. Wie sein Lehrjunge sah er aus.
»Fahr langsam, noch langsamer! Ja!«, wies Gugu ihn an, als uns nur noch fünf Meter von der Wassermelonenschale trennten. Er drosselte den Motor so weit, dass er kurz vor dem Absaufen war. Ich sah den unter der Wassermelonenschale versteckten Schädel der Schwangeren deutlich.
»Wahrlich eine gute Schwimmerin, dass sie das im fünften Monat noch so vortrefflich kann.«
Meine Tante befahl, die Lautsprecherdurchsage in der Kajüte anzustellen. Kleiner Löwe erhob sich sofort und verschwand unter Deck. Der Platz neben Leber wurde frei. Gähnend leer war es neben ihm geworden. Sein Gesicht wirkte bekümmert und verloren. Woran er wohl gerade dachte? Ob Kleiner Löwe seinen überschwänglichen Liebesbrief wohl schon bekommen hatte?
Meine Gedanken schweiften noch ab, als die Lautsprecher losdröhnten. Obwohl ich wusste, dass die Ansage jeden Augenblick losgehen würde, blieb mir fast das Herz stehen.
Unser großartiger Führer, der Vorsitzende Mao heißt uns zu beherzigen, dass das Bevölkerungswachstum in jedem Fall kontrolliert und beschränkt werden muss.
Als die Lautsprecher zu dröhnen begannen, hatte die Schwangere die Melonenschale über ihrem Kopf gelüftet und lugte aus dem trüben Wasser heraus. Sie schaute panisch nach links und rechts, um dann mit einer vehementen Bewegung unterzutauchen.
Gugu wies Qin Strom an, den Motor noch weiter zu drosseln, und grinste: »Wollen mal sehen, wie gut diese Frau aus Dongfeng schwimmen kann!«
Kleiner Löwe krabbelte aus der Kajüte, drängte sich vorn an den Bug und hielt besorgt Ausschau. Ihr pummeliges Figürchen und Leber lehnten nun wieder aneinander. Ich spürte, wie ich neidisch wurde. Wie eng presste sich dieser dürre Spargel da an die dralle, mollige Shizi! Ich stellte mir vor, wie Leber ihr warmes, weiches Fleisch spürte, wie er mit ihr ... Mein Herz klopfte wie wild, als ich mir das vorstellte. Wie ich mich für meine schmutzigen Phantasien schämte! Pfui! Ich blickte schnell woanders hin und ließ meine Augen keine Sekunde mehr auf ihren Körpern verweilen. Die Hände vergrub ich in meinen Hosentaschen und ich kniff mir in die Oberschenkel, dass es wehtat.
»Sie ist aufgetaucht! Sie streckt den Kopf aus dem Wasser!«, schrie Kleiner Löwe aufgeregt.
Die Schwangere war in ungefähr fünfzig Metern Entfernung vor unserem Boot aufgetaucht. Noch während ihr Körper aus dem Wasser hochkam, blickte sie um sich. Dann schwamm sie in Windeseile mit ausladenden Bewegungen flussabwärts.
Gugu gab Qin Strom einen Wink. Der Dieselmotor heulte auf, mit erhöhter Geschwindigkeit fuhr das Boot zügig auf die Schwangere zu.
Meine Tante kramte ein zerknautschtes Päckchen Zigaretten aus der Hosentasche, öffnete die Packung, holte sich eine Zigarette heraus und steckte sie in den Mund. Dann fischte sie ein Feuerzeug hervor, drehte am Reibrad, bis die Flamme brannte, und steckte sie sich mit blinzelnden Augen an, um dann geräuschvoll weißen Qualm zu paffen. Es kam Wind über dem Fluss auf, schmutzige Wellen wogten.
»Wetten, dass du’s nicht schaffst, einem 12-PS-Motorboot davonzuschwimmen? Wir werden ja sehen!«
Die Hochfrequenzlautsprecher übertrugen neue Volkslieder aus Hunan zum Lobe des Vorsitzenden Mao.
In neun Flussbiegungen fließt der Liuyang fünfzig Kilometer weit, bis er in den Xiang mündet. Und wer stammt vom Liuyang? Unser Führer ...
Tante schnippte die Kippe in den Fluss. Eine Möwe erwischte sie im Sturzflug und schwang sich damit wieder in den Himmel hinauf.
Aus den Lautsprechern ertönte ein Krächzen, die Schallplatte war zu Ende. Kleiner Löwe blickte zu Tante hinüber, die sagte: »Es reicht.« Dann brüllte sie los: »Geng Xiulian, schwimmst du bis ins Ostchinesische Meer, oder was?«
Die Frau antwortete nicht, sie schwamm unter Aufbietung all ihrer Kräfte weiter, aber sie war schon langsamer geworden.
»Ich hoffe, dir ist klar, dass du jetzt brav an Bord kommen musst, damit wir mit dir zur Krankenstation fahren und die OP machen können.«
»Starrköpfigkeit wird dir nicht helfen! Wir können dir auch«, rief Kleiner Löwe wutschnaubend, »bis ins Ostchinesische Meer hinterherfahren.«
Die Frau begann nun laut zu weinen, ihre Schwimmbewegungen wurden noch langsamer. Zug um Zug.
»Na, was haben wir denn da? Machst du schlapp?«, lachte Kleiner Löwe sie aus: »Schwimm weiter, wenn du kannst! Eisvögel beherrschen das Stoßtauchen und Frösche klatschen, platsch, ins Wasser ...«
Jetzt versank die Frau, und in der Luft roch es nach Blut. Tante warf einen Blick auf die Wasseroberfläche und schrie: »Ach du Scheiße! Mach schon, überhol sie!«, kommandierte sie. Dann befahl sie uns: »Springt ins Wasser! Schnappt sie euch!«
Wang Leber sprang ins Wasser, Li Hand und ich sprangen hinter ihm her. Qin Strom drehte den Bug schräg und fuhr seitlich an der Frau vorbei. Leber und ich näherten uns ihr, ich streckte eine Hand aus, packte ihren linken Arm und zog ihn hoch, aber ihr rechter Arm kam wie der Fangarm einer Krake, umschlang mich und zog mich in die Tiefe. Ich schrie, schluckte Wasser, geriet in Panik. Es war Leber, der ihr Haar zu fassen bekam, zu einem Strang drehte und hochzerrte, so dass Li Hand ihre Schultern mit Schwung nach oben ziehen konnte, bis sie an die Wasseroberfläche kam. Mir wurde schwarz vor Augen, ich bekam einen Hustenanfall. Das Boot war vor uns. Qin Strom hatte den Motor gedrosselt, ich stieß mit der Schulter gegen das Boot, der Körper der Frau auch. Tante und die anderen an Bord streckten uns die Hände entgegen, ergriffen den Haarschopf der Frau, zerrten an ihren Armen, wir drückten von unten gegen ihren Hintern, pressten ihre Beine hoch. Es war grauenvoll, aber mit vereinten Kräften hatten wir sie schließlich ins Boot geschafft.
Wir alle hatten das Blut an ihren Beinen gesehen.
»Kommt nicht an Bord! Ihr schwimmt besser selbst ans Ufer.« Dann befahl Gugu Qin Strom brandeilig: »Schnell, wende das Boot, schnell!«
Obwohl sie alles taten und die besten medizinischen Mittel anwandten, war Geng Xiulian tot und wurde nicht wieder lebendig.
6
Die Truppenleitung zeigte mir ein Expresstelegramm, in dem zu lesen war, dass meine Frau Renmei mit dem zweiten Kind schwanger sei. Mein Vorgesetzter wies mich in strengem Ton an: »Du bist Parteimitglied! Kader obendrein! Du hast bereits den Nachweis ausgestellt bekommen, dass du bei einem Kind bleibst, du erhältst monatlich eine Sonderzulage auf deinen Sold, weil du nur ein Kind hast. Warum hast du es zugelassen, dass deine Frau ein zweites Mal schwanger geworden ist?«
Ich war wie vor den Kopf geschlagen und wusste nichts zu erwidern. Mein Vorgesetzter erteilte mir die Anweisung: »Fahr sofort nach Haus und setz die Abtreibung durch!«
Mein plötzliches Erscheinen versetzte meine Familie in Erstaunen. Mein zweijähriges Töchterchen hatte sich hinter meiner Mutter versteckt und schaute mich ängstlich an.
»Wo kommst du so plötzlich her?«, fragte Mutter besorgt.
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