Die dritte Person, die aus der Bootskajüte hervorkam, war Huang Qiuya. In den paar Jahren, in denen ich sie nicht gesehen hatte, hatte sie einen krummen Rücken, krumme Beine und eine noch höhere Stirn bekommen. Sie bewegte sich nur noch langsam. Schwankend stand sie im Boot, mit beiden Armen rudernd, als könnte sie jeden Augenblick umfallen. Offensichtlich wollte sie auch an Land, nur schienen die Beine ihr nicht zu gehorchen. Den entscheidenden Schritt aus dem Boot hinaus auf den Bootssteg schaffte sie nicht. Qin Strom schaute ihr ungerührt zu, er half ihr nicht. Als sie sich bückte und wie ein Gorilla mit beiden Händen die Kante des Bootsstegs packte, rief ihr Gugu in scharfem Befehlston zu: »Huang Qiuya, du bleibst an Bord.« Meine Tante blickte nicht zurück, während sie anordnete: »Aufpassen, dass sie sich nicht davonmacht!«
Das hatte wohl beiden, Qin Strom und Huang Qiuya, gegolten. Qin Strom hatte sich sofort gebückt und im Boot nachgeschaut. Aus dem Innern des Bootes hörte ich das Schluchzen einer Frau.
Meine Tante ging mit Riesenschritten nach rechts an der Uferböschung entlang. Kleiner Löwe folgte ihr rennend, anders konnte sie nicht Schritt halten. Ich bemerkte, dass der Mullverband an Gugus Stirn Blutflecken aufwies und dass sie ein angespanntes Gesicht und einen harten Blick hatte. Ihr Gesicht zeigte unerschütterliche Entschlossenheit. Leber hatte meine Tante natürlich gar nicht wahrgenommen, weil er nur Augen für Shizi hatte. Seine Zähne klapperten furchtbar, seine Lippen bewegten sich unentwegt, er schien irgendetwas vor sich herzubeten. Ich bedauerte ihn, doch noch mehr beeindruckte er mich. Damals verstand ich nicht, dass ein Mann, wenn er sich in eine Frau verliebt, in ein komplettes Gefühlschaos geraten kann.
Erst nachträglich erfuhren wir, dass ein Kerl aus dem zanksüchtigen Dorf Dongfeng, der sich schon vor der Befreiung 1949 wie ein Bandit aufgeführt hatte, der drei Töchter besaß und dessen Frau mit dem vierten Kind schwanger war, meiner Tante mit einem Knüppel den Kopf blutig geschlagen hatte. Zhang Faust hieß er, hatte ein Paar Kulleraugen wie ein Rind, einen erstklassigen Familienhintergrund und war im ganzen Dorf bekannt als ein Kraftprotz, dessen Zorn man nicht ungestraft erregte. In Dongfeng war bei fast allen Frauen im gebärfähigen Alter, die zwei Kinder geboren hatten und bei denen eines ein Junge geworden war, die Sterilisation bereits durchgeführt worden. Diejenigen, die zwei Mädchen bekommen hatten, durften mit der Sterilisation noch warten, unter der Bedingung, dass sie sich eine Spirale einsetzen ließen. Meine Tante wollte sie nicht zwingen, erwartete aber, dass sie Rücksicht auf ihr Dorf nahmen. Wer aber schon drei Kinder hatte, der musste sich sterilisieren lassen, auch wenn es nur Mädchen waren. Die einzige Frau im Dorf, die nicht zur Sterilisation erschienen war, die keine Spirale trug und die dann auch noch schwanger geworden war, war Fausts Frau. Meine Tante ignorierte den heftigen Regen und fuhr mit dem Patrouillenboot bis nach Dongfeng, um sie dazu zu bringen, in die Krankenstation mitzukommen, um dort einen Abort einleiten zu lassen. Während sie auf dem Weg dorthin war, telefonierte der Kommuneparteisekretär Qin Shan mit Dongfengs Parteizellensekretär, Zhang Goldzahn, und gab den ausdrücklichen Befehl, alle Kräfte zu mobilisieren, um die Ehefrau Fausts in die Kommune zu bringen, damit der Abort eingeleitet würde.
Tante erzählte, dass Faust sie mit einem dornigen Aralienknüppel in der Hand und mit rotglühenden Augen laut brüllend am Hoftor erwartet habe. Zhang Goldzahn und die Dorfmilizionäre hätten ihn eingekreist, aber nur in angemessener Entfernung, denn es habe sich keiner in seine Nähe getraut. Seine drei Töchter hätten am Tor auf Knien, mit schniefenden Nasen und in Tränen aufgelöst gefleht, fast wie eingeübt habe es geklungen: »Ihr lieben großherzigen Großonkel und Großtanten, ihr lieben großherzigen Großväter und Großmütter, ihr lieben großherzigen großen Brüder und Schwestern! Bitte erbarmt euch unserer Mutter! Bitte fasst euch ein Herz! Unsere Mutter ist herzkrank, sie hat ein rheumatisches Fieber. Wenn sie eine Abtreibung machen muss, wird sie daran sterben. Wenn unsere Mutter tot ist, sind wir Halbwaisen und haben keine Mutter mehr!«
Aber sie, Gugu, habe nur entgegnet: »Regisseur Fausts miese Tricks, Mitleid zu erregen, wirken gut. Ich sehe, wie die ringsum zuschauenden Weiber schon flennen!«
Natürlich seien auch viele sauer gewesen und hätten sich beschwert. Die, die seit dem zweiten Kind eine Spirale tragen mussten, die, die nach dem dritten Kind sterilisiert worden waren, seien wütend über die vierte Schwangerschaft von Fausts Frau gewesen und hätten diese Ungerechtigkeit nicht hinnehmen wollen. Sie sei der Meinung, auch das Wasser in einer Schale müsse immer waagerecht bleiben. Ließe sie Faust das vierte Kind, würden ihr die anderen Weiber bei lebendigem Leibe die Haut abziehen! Wenn Faust allein seinen Willen bekäme, ginge die rote Fahne zwar nur einmal und nur kurz zu Boden, dieser Fehler wöge leicht. Aber wenn die Geburtenplanung dadurch insgesamt keine Fortschritte mache, bekäme sie schwerwiegende Probleme. Deswegen habe sie ihrer Gehilfin und Huang Qiuya einen Wink gegeben und sei auf Faust zugegangen. Ihre kleine Schülerin habe Mut und Vernunft bewiesen und unerschütterlich zu ihr gestanden. Als Faust vorgestürzt sei, habe Kleiner Löwe seine Knüppelschläge mit ihrem eigenen Körper abwehren wollen, aber sie habe sie schnell hinter sich geschoben. Die bourgeoise Intellektuelle Huang Qiuya habe sich wie immer, wenn alles auf Messers Schneide stand, rausgehalten. Sie selbst sei mit großen Schritten auf Faust zugegangen. Die Ausdrücke, mit denen er sie beschimpft habe, seien so hässlich gewesen, dass sie sie vor uns besser nicht wiederholen wolle, sie würden nur unsere Ohren und ihren Mund beschmutzen. Ihr Herz sei an diesem Tag eisenhart gewesen. An Sicherheit oder an Gefahr für den Einzelnen zu denken, sei für sie nicht in Betracht gekommen. Sie habe Faust zugebrüllt: »Nur zu mit deinen Schmähreden! Deine ehrenrührigen Beleidigungen Nutte, läufige Hündin, mordender Unterweltfürst schlucke ich, aber deine Frau wird mit mir kommen müssen.«
»Mit wohin?«, habe Faust geschrien und sie zurück: »Zur Kommunekrankenstation«.
Meine Tante blickte in Fausts grimmiges Gesicht und kam ihm dabei Schritt für Schritt näher. Die drei Mädchen warfen sich ihr laut schluchzend vor die Füße, stießen dabei aber ebenfalls zotige Beschimpfungen aus. Die kleinen ergriffen je einen ihrer Füße, das große stieß ihr den Kopf in den Bauch. Gugu wehrte sich nach Kräften, aber die drei hingen wie Blutegel an ihr. Als sie einen beißenden Schmerz am Knie spürte, war ihr klar, dass eines der Mädchen sie gebissen hatte. Wieder rammte das ältere den Kopf in Gugus Bauch, bis diese strauchelte und hintenüber auf den Rücken fiel. Kleiner Löwe packte das ältere Mädchen am Nacken und stieß es zur Seite, aber es rappelte sich sofort auf, stürzte sich auf die am Boden liegende Gugu und bearbeitete deren Bauch mit seinem Schädel. Dabei war wohl Shizis Schlüsselbund dem Mädchen an die Nase geraten. Die Nase brach, das Blut floss in Strömen. Als das Mädchen sich ins Gesicht fasste, nahm die Tragödie ihren Lauf. Denn Faust, nun doppelt in Rage, stürzte vor und prügelte auf Shizi ein, während Gugu sich pfeilschnell dazwischen warf und mit der Stirn einen Knüppelschlag abwehrte, der ihrer Gehilfin gegolten hatte. Dabei ging sie erneut zu Boden.
Kleiner Löwe schrie gellend: »Was steht ihr da wie die Salzsäulen?« Zhang Goldzahn war sofort mit seinen Milizionären zur Stelle, die Faust auf den Boden drückten und ihm die Arme auf dem Rücken fesselten. Die weiblichen Dorfkader hielten die drei sich wehrenden Mädchen fest. Kleiner Löwe und Huang Quiya öffneten den Arzttornister und verbanden Tantes Platzwunde. Sie verbrauchten einige Rollen Verbandsmull, denn das Blut quoll immer wieder hindurch, so wurde der Verband dicker und dicker. Gugu war schwindlig geworden, ihr summten die Ohren, Sternchen tanzten vor ihren Augen und sie hatte Rotsehen. Alle Gesichter wurden hahnenkammrot, sogar die Bäume und Sträucher sahen aus wie zum Himmel züngelnde Flammen. Qin Strom kam vom Ufer herbei, um zu erfahren, was los war. Als er die Tante erblickte, erstarrte er. Im nächsten Moment stieß er einen gellenden Schrei aus und spuckte. Alle kamen, um ihn zu stützen, aber er stürzte nur wie ein Trunkener vorwärts, hob den mit Tantes Blut beschmierten Knüppel auf und holte damit in Richtung von Fausts Schädel aus.
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