»Schwägerin, hör auf, mich mit diesen abgedroschenen Binsenwahrheiten vollzuquatschen. Der Vorsitzende Mao weiß besser Bescheid als du. Mach dir da keine Sorgen! Der Vorsitzende sagt: Die Größe der Bevölkerung ist in jedem Fall zu kontrollieren. Und er sagt: Ohne Organisation keine Disziplin. Wenn es so weitergeht, löscht sich die Menschheit früher aus, als es sein muss, denke ich.«
Meine Mutter antwortete: »Der Vorsitzende Mao sagt auch:
Wenn es viele Menschen sind, ist die Kraft groß; wenn es viele sind, wird man besser mit aller Unbill fertig, denn der Mensch ist ein lebender Schatz. Erst durch den Menschen erschaffen wir die Welt. Und er sagt: Wenn wir nicht zulassen, dass es vom Himmel regnet, ist das falsch. Wenn wir die Frauen keine eigenen Kinder großziehen lassen, ist das auch falsch. «
Meine Tante wusste nicht mehr, ob sie nun lachen oder weinen sollte: »Schwägerin, du bist dabei, Maos Worte aus dem kleinen roten Buch zu verfälschen. In der Vergangenheit wurde man geköpft, wenn man ein kaiserliches Dekret verkehrt wiedergab. Es stimmt nicht, dass wir den Leuten das Kinderkriegen verbieten, sie sollen nur weniger – nämlich nur noch nach Plan – Kinder bekommen.«
»Wie viele Kinder jemand in seinem Leben bekommt, ist vorausbestimmt und der Wille des Himmels, und da willst du noch einen Plan erstellen? Für mich seid ihr wie Blinde, die sich eine Kerze anzünden, pure Verschwendung!«, konterte meine Mutter.
Und es traf haargenau ein, was meine Mutter gesagt hatte. Gugu und ihre Leute hatten Energie und Geld umsonst investiert. Dazu hatten sie für ihr Verhalten überall nur Beschimpfungen geerntet, und sie waren übel in Verruf gekommen. Anfangs verteilten sie kostenlose Präservative an die örtlichen Leiterinnen des chinesischen Frauenverbands, damit diese sie an die Frauen in gebärfähigem Alter weitergaben und deren Männer aufforderten, sie beim Verkehr überzuziehen. Aber die Präservative landeten entweder in den Schweineställen oder bei den Kindern, die sie aufpusteten und anmalten und mit ihnen wie mit Luftballons spielten. Die Tante und ihre Helferinnen gingen hausieren und verschenkten Antibabypillen, aber die Frauen störten sich an den Nebenwirkungen der Pillen und weigerten sich, sie einzunehmen. Wenn sie gezwungen wurden, sie auf der Stelle hinunterzuschlucken, versuchten sie, kaum dass sie wieder allein waren, sie hochzuwürgen und auszuspucken, indem sie sich den Finger oder ein Stäbchen in den Hals steckten.
Die Sterilisation der Männer mittels Durchtrennen der Samenleiter kam da gerade zur rechten Zeit in Gebrauch. Es war damals Thema Nummer eins bei uns im Dorf. Alle erzählten, dass es meine Tante und Huang Qiuya waren, die diese Methode gemeinsam entwickelt hätten. Von Huang Qiuya käme der theoretische Teil der Erfindung, von meiner Tante der klinische Teil und die Praxis. Der Wichtigtuer Xiao Unterlippe sagte uns:
»Diese beiden unbemannten Weiber sind doch völlig psychopatisch, die haben dieses ganze Zeug für die Kinderlosigkeit doch nur entwickelt, weil sie es nicht ertragen, andere Paare glücklich verheiratet zu sehen.«
Er behauptete, sie hätten erst einmal an Ferkeln Versuche gemacht, dann diese an Ebern wiederholt und zuletzt an zehn toten Häftlingen laboriert. Nachdem das Experiment geglückt sei, hätten sie die toten Häftlinge gegen lebende mit lebenslänglichen Haftstrafen ausgetauscht. Wir wussten natürlich bald, dass Xiao Unterlippe geflunkert hatte.
Die Tante hörten wir in jenen Tagen regelmäßig durch das Megaphon schreien:
»Kader unserer Brigaden! Bitte beachten Sie! Infolge der Achten Sitzung des Leitungskollektivs zur Kommune-Geburtenregelung ist es Pflicht, dass Männer mit Frauen, die schon drei Kinder zur Welt gebracht haben, oder Männer, die mehr als drei Kinder haben, sich in unserer Krankenstation einer Sterilisation unterziehen. Nach dem Eingriff bekommen die Männer zwanzig Yuan für Lebensmittel zur Stärkung und eine Woche vollbezahlten Urlaub, die Arbeitspunkte werden trotzdem eingetragen.«
Die Männer, die die Durchsage gehört hatten, standen zusammen und schimpften:
»Da, fick deine Mutter! Sauschneider gibt’s, Leute, die Bullen kastrieren, Leute, die Pferde- und Mulihengste legen. Aber hat man je von einem Berufszweig gehört, der sich auf das Kastrieren von Männern verlegt hat? Wir wollen ja schließlich nicht als Eunuchen in den Dienst bei Hof! Wir lassen uns nicht betrügen!«
Als die Kader aus der Geburtenplanung erklärten, die Sterilisation sei nur ein klitzekleiner Eingriff, wobei nur die ...
... da protestierten die Männer sofort mit bösem Blick:
»Ihr redet alles schön! Aber wir befürchten, wenn wir einmal auf eurem Tisch liegen und die Narkose verpasst bekommen haben, dann geht ihr uns nicht nur an die Eier. Wir trauen euch zu, dass ihr uns den Schwanz auch noch mit abschneidet. Dann müssen wir wie die alten Muttchen in der Hocke pissen!«
Die Sterilisation der Männer, die den Frauen ungemein genützt hätte, die nur einen einfachen, kurzen operativen Eingriff darstellte, der zudem keine großen Nachwirkungen oder Folgekrankheiten befürchten ließ, wurde über die Maßen boykottiert. Die Tante hatte mit ihren Helferinnen alles vorbereitet, aber niemand kam. Die Kommandostelle der Kreisgeburtenregelung rief täglich an und verlangte Zahlen. Sie war mit Gugu sehr unzufrieden. Die Kommuneparteikader hielten extra eine Sitzung ab, auf der zweierlei beschlossen wurde:
1. Beim Sterilisieren der Männer müssen die Führungskader mit gutem Beispiel vorangehen. Dies muss unter den Kadern und Arbeitenden publik gemacht werden. Im Dorf müssen allen voran die Brigadekader den Anfang machen. Erst dann wird man es in der Bevölkerung propagieren.
2. Diejenigen, die dagegen sind, dass Männer sterilisiert werden, und die Gerüchte streuen, sollen die Keule der proletarischen Diktatur zu spüren bekommen. Genügen sie den Anforderungen für eine Sterilisation, sperren sich aber dagegen, entzieht ihnen die Brigade als erstes die Arbeitserlaubnis. Fügen sie sich dann immer noch nicht, kürzt man ihnen die Reisration. Wenn sich Kader wehren, wird ihre Stelle gestrichen und ihnen ihre Position aberkannt. Wenn es sich um Angestellte des öffentlichen Dienstes handelt, werden sie entlassen. Wenn Parteimitglieder sich wehren, werden sie aus der Partei ausgeschlossen.
Der Kommuneparteisekretär Qin Shan sprach höchstpersönlich durch das Megaphon zu den Leuten:
»Die Geburtenplanung ist eng verknüpft mit unserer Volkswirtschaft, dem Lebensunterhalt für unser Volk. Die den Kommunen direkt unterstellten Abteilungen und die einzelnen Brigaden sind zuerst an der Reihe. Die Kader und Parteimitglieder, die für eine Sterilisation in Frage kommen, müssen den Anfang machen und sich operieren lassen. Sie müssen den Massen mit gutem Beispiel vorangehen.«
Qin Shans Ton schlug plötzlich um. Mit einer Plauderstimme wie beim Familienplausch erzählte er:
»Genossen, ich erzähl mal, wie es bei mir läuft. Meiner Frau haben sie, weil sie krank war, schon vor Jahren die Gebärmutter entfernt. Aber weil ich euch Männern die Angst vor diesem Eingriff nehmen will, habe ich mich dazu entschlossen, morgen Vormittag zu unserer Krankenstation zu gehen, um mich sterilisieren zu lassen.«
Während seiner Rede verlangte er auch vom chinesischen Jugendverband, dem gesamtchinesischen Frauenverband und den Schulen, diesen Eingriff beim Mann mit Feuereifer zu propagieren, damit eine mächtige Sterilisationswelle anrollen könne.
Wie bei allen bisherigen Kampagnen schrieb unsere Lehrerin Xue einen Sprechgesang, dessen Rhythmus mit dem Schlagholz unterstrichen wurde. Wir lernten ihn auswendig, so dass wir ihn in Höchstgeschwindigkeit hersagen konnten. Dann wurden Vierergruppen gebildet. Jeder bekam eine Flüstertüte aus Pappe oder Blech. Wir stiegen auf die Dächer der Häuser, kletterten auf die Bäume ins Geäst und begannen, lauthals zu schreien:
Читать дальше