»Du bist doch anders als die bourgeoise Huang Qiuya. Die ist von Grund auf schlecht. Nicht so du! Du bist eine Pflanze mit roten Wurzeln. Aus solch einer Pflanze wächst ein gerader Spross! Auch wenn du ein paar Umwege nimmst, brauchst du dich nur anzustrengen und siehst sofort wieder einer strahlenden Zukunft entgegen.«
Seine Worte ließen meine Tante sogleich von neuem in Tränen ausbrechen.
Und mich auch. Wie wir weinten!
Kaum aus ihrer Blutlache aufgestanden, stürzte sie sich mit Feuereifer in die Arbeit. Obwohl es in den verschiedenen Dörfern inzwischen ausgebildete Hebammen gab, wollten viele Frauen ihr Kind in der Abteilung für Geburtshilfe der Kommunekrankenstation zur Welt bringen. Gugu begrub den alten Streit und arbeitete eng mit Huang Qiuya zusammen, sowohl bei der Behandlung wie auch bei der Pflege. Manchmal tat sie tagelang kein Auge zu, so viel gab es zu tun. Unzählige Gebärende und Säuglinge, an deren Bett schon der Tod gestanden hatte, holte sie im letzten Moment wieder ins Leben zurück. In einer Zeitspanne von nur fünf Monaten holten sie achthundertachtzig Säuglinge auf die Welt, darunter achtzehn durch Kaiserschnitt. Damals gehörte ein Kaiserschnitt zu den besonders komplizierten Operationen. Dass in der kleinen Krankenstation des Gesundheitsamts mit ihrer winzigen Abteilung für Geburtshilfe und ihren nur zwei Angestellten tatsächlich Kaiserschnitte durchgeführt wurden, sorgte eine ganze Weile für helle Aufregung. Auch meine Tante, die ziemlich unwirsch, voreingenommen und arrogant war, konnte nicht umhin, Huang Qiuyas Meisterschaft in dieser ärztlichen Kunst zu bewundern. Dass Gugu später in Nordost-Gaomi selbst den Ruf einer berühmten Frauenärztin bekam, die traditionelle ländliche Heilkunst mit westlicher Medizin vereinte, verdankte sie natürlich ihrer Erzfeindin Huang Qiuya, dieser alten Jungfer, die sich wahrscheinlich ihr Leben lang kein einziges Mal richtig verliebt hatte. Dass sie verschroben und launisch war, konnte man ihr nachsehen.
Als meine Tante alt geworden war, erzählte sie mir öfter mal Geschichten von ihrer alten Rivalin, diesem verwöhnten Tausend-Goldtaler-Fräulein, das einer alten Shanghaier Unternehmerfamilie, ausgemachten Kapitalisten, entstammte, erst Absolventin der namhaftesten Universität, dann degradiert und aufs Land zu uns nach Nordost-Gaomi versetzt. Wie das Sprichwort sagt: Ein Phönix, der Federn lassen musste, kann sich nicht mit einem Huhn messen .
»Wer ist das Huhn? Das Huhn bin ja wohl ich. Ein Huhn, das sich mit dem Phönix eine Stange teilen muss«, spottete Gugu selbstironisch, »aber ich vermöbelte ihn so, dass er keinen Mucks mehr machte. Dass er am ganzen Körper schlotterte, sobald er mich sah. Wie eine Eidechse, die eine Zigarettenkippe verschluckt hat. Damals benahmen wir uns alle wie die Wahnsinnigen«, fügte sie ergriffen hinzu. »Ein Wirklichkeit gewordener Albtraum. Huang Qiuya ist eine großartige Ärztin. Selbst wenn sie am Vormittag zusammengeschlagen wurde und stark blutende Kopfverletzungen davongetragen hatte, stand sie am Nachmittag konzentriert im OP und operierte ruhig, sie hatte sich völlig im Griff. Die draußen vor dem Fenster grölenden Menschen konnten sie nicht ablenken. Sie besaß so geschickte Hände! Sie konnte Blumenmuster auf die Bäuche der Frauen sticken ...«, an dieser Stelle begann meine Tante dann jedes Mal zu lachen. So heftig, dass ihr die Tränen kamen.
13
In unserer Großfamilie hatten sich damals die Heirats- und Herzensangelegenheiten meiner Tante zu einer Familienpsychose ausgewachsen. Nicht nur für die Alten waren sie Anlass zu schwerer Besorgnis, selbst die jungen Spunde unter zwanzig machten sich Gedanken. Es gab niemanden, der in ihrer Gegenwart gewagt hätte, an diesem Thema zu rühren. Beim leisesten Versuch explodierte sie.
Im Frühling 1966, es war ein Feiertag, am Vormittag des Totenfests, kamen Gugu und ihre Gehilfin Shizi – wir kannten damals nur ihren Spitznamen Kleiner Löwe –, ein achtzehnjähriges Mädchen mit einem Gesicht voller Pickel, Knubbelnase, weit auseinander stehenden Augen, wirrem Haar, kleinwüchsig, aber üppig bestückt, zu uns ins Dorf, um alle Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter zu erfassen. Nach getaner Arbeit brachte Gugu ihre Gehilfin zum Essen mit zu uns nach Hause.
Es hatte doppelte dünne Pfannkuchenfladen, darin eingewickelt gekochte Eierscheiben, und Schalotten mit scharfer Bohnensauce gegeben. Weil wir mit Essen längst fertig waren, sahen wir den beiden zu.
Kleiner Löwe machte einen schüchternen Eindruck. Sie schlug die Augen nieder und wagte niemanden anzusehen. Ihre vielen Mitesser standen ihr wie rote Bohnen im Gesicht. Mutter schien das Mädchen sehr zu mögen, fragte alles Mögliche, es fehlte nicht viel und sie hätte sich nach ihren Heiratsplänen erkundigt.
»Hör mal auf, die Leute hier auszufragen, Schwägerin. Willst sie wohl als Schwiegertochter haben?«, fing Gugu schon an.
»Ach wo, wo denkst du hin? Wir Bauern würden niemals wagen, die Hand so hoch hinauszustrecken! Wir bleiben bei Unseresgleichen. Das Fräulein Shizi ist im öffentlichen Dienst und wird vom Staat versorgt. Deine Neffen können wohl schwerlich zu ihr passen«, wandte meine Mutter ein.
Der Kopf des Mädchens sank ein Stück tiefer, mit dem Essen klappte es auch nicht mehr.
Just kamen meine Mitschüler Wang Leber und Chen Nase auf einen Sprung vorbei. Leber lugte ins Zimmer und trat auf die Schale mit dem Hühnerfutter, die sofort zu Bruch ging. Mutter schnauzte ihn an: »Du Rüpel, kannst du nicht aufpassen, wo du hintrittst?«
Der lachte, es war ihm wohl peinlich.
»Leber, wie geht es deiner Schwester? Ist sie gewachsen?«, fragte meine Tante.
»Es hat sich nichts verändert ...«, antwortete er.
»Sag deinem Vater, wenn du wieder zu Haus bist, da gibt es nichts zu diskutieren, deine Mutter darf keine weiteren Kinder mehr bekommen.« Gugu schluckte den Bissen Fladen hinunter, zog ihr Taschentuch hervor und putzte sich den Mund ab. »Sonst schleift sie ihre Gebärmutter eines Tages auf dem Boden hinter sich her.«
»Hör auf, ihnen Sachen zu sagen, die nur Frauen was angehen!«, meinte Mutter.
»Das macht doch nichts! Dann wissen sie wenigstens, wie schwer es die Frauen damit haben«, meinte meine Tante. »Von den Frauen im Dorf hat die Hälfte eine Gebärmuttersenkung, die andere Hälfte eine Gebärmutterentzündung. Wang Lebers Mutter hängt die Gebärmutter schon aus der Scheide raus, wie eine matschige Birne. Und Wang Bein will ihr partout noch einen Sohn machen! Wenn ich den zu packen kriege ... ach richtig, Nase, deine Mutter ist auch krank ...«
Mutter unterbrach meine Tante und herrschte mich an: »Nun marsch an die Luft! Nimm deine Gaunerfreunde und geh draußen spielen. Ihr geht uns hier auf die Nerven.«
Auf der Gasse meinte Leber zu mir: »Du musst uns zum Erdnüsseessen einladen!«
»Wieso das? Versteh ich nicht.«
»Wir wollen dir ein Geheimnis verraten«, entgegnete Nase.
»Was für ein Geheimnis?«
»Erst mal her mit den Erdnüssen!«
»Ich hab keine Kohle.«
»Was soll das heißen, du hast kein Geld? Du hast doch aus dem Maschinenpark des staatseigenen landwirtschaftlichen Betriebs ein Stück Kupferblech geklaut«, meinte Nase, »einen Yuan hast du mindestens dafür gekriegt. Du glaubst doch nicht im Ernst, wir wüssten das nicht?«
»Ich hab das nicht geklaut«, warf ich schnell ein, »die hatten es weggeschmissen.«
»Und wenn schon! Aber du hast es für über einen Yuan verkauft, das stimmt doch? Nun lad uns schon ein, Mann!«
Wang Leber zeigte zur Schaukel bei der Tenne, wo sich die Leute drängten und die ausschwingende Schaukel ächzte. Dort verkaufte ein alter Mann geröstete Erdnüsse. Als ich die Erdnüsse erstanden und gerecht unter uns verteilt hatte, sagte Leber mit ernster Stimme:
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