»Deine Tante wird den Kreisparteisekretär heiraten und den Platz seiner verstorbenen Ehefrau einnehmen.«
»Völliger Blödsinn!«, fuhr ich ihn an.
»Wenn deine Tante erst Frau des Kreisparteisekretärs ist, wird deine Familie davon profitieren. Dann werden dein großer Bruder, dein zweiter Bruder, deine große Schwester und du bestimmt schon bald in die Kreisstadt umziehen, dort arbeiten, vom Staat versorgt werden, auf die Universität gehen und später selber Kader werden. Dann darfst du deine alten Freunde aber nicht vergessen, hörst du?«
»Kleiner Löwe ist ja wohl total hübsch!«, sagte Leber da plötzlich.
14
Alle Eltern der damals zur Welt gebrachten Süßkartoffelkinder konnten, wenn sie bei der Kommune die Meldebescheinigung beantragten, einen Liter Sojaöl und Bezugsmarken für zwei Meter Tuch bekommen. Und diejenigen mit Zwillingen bekamen die doppelte Menge. Mit vor Dankbarkeit feuchten Augen blickten die Menschen auf das goldgelbe Sojaöl und kneteten die Tuchmarken, denen ein lieblicher Sojabohnengeruch entströmte, zwischen den Fingern. »Die neue Gesellschaft ist eben doch die bessere!«, mochten die Volksmassen denken. »Nun können wir sogar etwas dafür bekommen, wenn wir ein Kind gebären. Jetzt schätzt unser Land seine Menschen! Es wartet darauf, sie einzusetzen! Denn unserem Land mangelt es an Menschen«, sagte meine Mutter.
Aus Dankbarkeit fassten alle den stillen Entschluss, viele Kinder zu bekommen und dem Staat so die empfangenen Wohltaten zurückzugeben. Mein Mitschüler Xiao Unterlippe hatte bereits drei kleine Schwestern bekommen – sein Vater Xiao Oberlippe war Verwalter des Brigadekornspeichers –, doch obwohl seine kleinste Schwester noch die Brust bekam, wölbte sich der Bauch seiner Mutter schon über dem nächsten Baby. Wenn ich mich vom Kühehüten auf den Heimweg machte, kam mir sein Vater regelmäßig auf einem ramponierten Fahrrad auf der kleinen Brücke entgegen. Er war groß und dick, das Fahrrad ächzte unter seinem Gewicht, als bräche es jeden Moment entzwei. Die Leute im Dorf trieben mit ihm Schabernack: »Oberlippe, wie alt bist du denn jetzt? Kannst du nicht auch mal eine Nacht auslassen?« Er lachte immer nur: »Wir klagen nicht, wenn wir Kinder für unser Land machen, da lassen wir keine Nacht aus.«
Ende 1965 fühlte sich die Führung durch den sprunghaften Anstieg der Bevölkerung unter Druck gesetzt. Das Neue China erlebte seine erste Kampagne zur Geburtenplanung. Die Regierung ließ die Parole verbreiten:
Ein Kind ist gut, zwei Kinder sind korrekt, drei Kinder schlecht.
Als das Team der Filmvorführer unseres Kreises wieder in unser Dorf kam, gab es vor dem Hauptfilm eine Diaschau, mit der für die Geburtenplanung geworben wurde. Als auf der Leinwand die Schaubilder mit den riesig vergrößerten Geschlechtsorganen des Mannes und der Frau zu sehen waren, brach unter den Zuschauern ein seltsames Gejohle und wildes Gelächter aus. Die Halbwüchsigen unter uns hatten keinen blauen Dunst, grölten und lachten aber einfach mit. Viele der jungen Leute rückten dicht zusammen und hielten sich heimlich an den Händen. So eine Propaganda für Verhütungsmethoden war das reinste Fertilitätsprogramm, besser als jedes Aphrodisiakum. Schauspieler und Opernsänger des Kreistheaters teilten sich in ungefähr zwanzig kleine Gruppen auf, die in jedes winzige Dorf reisten und dort eine kurze Oper mit dem Namen »Den halben Himmel stemmen die Frauen« vorführten, die der diskriminierenden Missachtung der Frauen den Kampf ansagte.
Gugu war inzwischen Leiterin der frauenärztlichen Abteilung der Kommunekrankenstation geworden, dazu hatte sie die stellvertretende Leitung der Gruppe für geregelte Familienplanung übernommen. Gruppenleiter war der Kommuneparteisekretär Qin Shan, der aber nur seinen Namen zur Verfügung stellte und ansonsten passiv blieb. Somit war meine Tante nicht nur ausführendes Organ der Geburtenkontrolle, also diejenige, die die Politik tatsächlich durchsetzte, sondern auch Leiterin der Kommunearbeit für Familienplanung und Organisatorin der Kampagnen.
Damals begann sie Speck anzusetzen. Die von jedermann bewunderten strahlend weißen Zähne waren gelb geworden, weil sie nicht mehr regelmäßig geputzt wurden. Ihre Stimme hatte etwas Rauchiges, sie hörte sich immer ein bisschen an wie ein Mann. Wir hörten sie regelmäßig laut durchs Megaphon dröhnen. Meistens begann die Durchsage mit dem Satz:
Ich sage nur: Schuster bleib bei deinen Leisten! Man soll nur von dem Handwerk reden, dessen Meister man auch ist. Jeder redet doch immer nur über den eigenen Beruf. Und ich spreche heute über die Geburtenplanung.
In dieser Zeit sanken ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit bei den Leuten. Selbst die Frauen in unserem Dorf, die ihr viel Gutes zu verdanken hatten, begannen schlecht über sie zu reden. Ihr unermüdliches Herumreiten auf der Familienplanung verfehlte seinen Erfolg gründlich. Selbst ihre Nachbarn und Freunde, die Leute aus dem Dorf wollten davon nichts wissen.
Die Kreisoperntruppe kam mit einer Aufführung zu uns, worin die weibliche Hauptrolle mit hoher Stimme sang:
Eine neue Epoche ist angebrochen! Mann und Frau sind gleich.
Wang Bein, Lebers Vater, der unten im Publikum saß, kommentierte böse: »Völliger Schwachsinn! Was ist denn da gleich? Wer wagt so etwas zu behaupten?«
Unten vor der Bühne reagierte das Publikum mit Krach und bösen Beschimpfungen. Man schmiss mit Backsteinen und Dachziegeln. Als es Ziegel auf die Bühne regnete, schützten die Schauspieler den Kopf mit den Armen und nahmen die Beine in die Hand. Wang Bein hatte an jenem Tag einen Viertelliter Schnaps intus. Der brachte ihn so in Fahrt, dass er völlig über die Stränge schlug. Er bahnte sich seinen Weg durch die Zuschauer, sprang auf die Bühne und hielt mit Händen und Füßen wild gestikulierend eine kurze Rede:
»Ihr bestimmt schon über Himmel und Erde, und nun meint ihr, ihr könnt noch bestimmen, wann und wie das Volk seine Kinder bekommt? Wenn ihr was draufhabt, dann spannt eine Leine von links nach rechts über die Bühne und befestigt Unterwäsche, Schminke und Puder der Frauen dran.«
Die Leute im Publikum begannen laut zu lachen. Das brachte Wang Bein nur noch mehr in Fahrt. Er hob einen Dachziegel von der Bühne auf, zielte genau auf die hell leuchtende Gaslampe, die in der Mitte des Bühnenvorhangs an einem Querbalken angebracht war, und traf. Es klirrte, und sie erlosch. Auf und unterhalb der Bühne herrschte pechschwarze Nacht. Dafür musste Wang Bein einen halben Monat lang ins Untersuchungsgefängnis. Als er entlassen wurde, rebellierte er immer noch. Er rempelte die Leute an: »Hey, schneidet mir den Schwanz ab, wenn ihr Mumm in den Knochen habt!«
In früheren Jahren hatte es ein großes Hallo gegeben, wenn meine Tante nach Hause kam. Die Leute öffneten die Türen, grüßten sie, umarmten sie, aber nun gingen ihr alle aus dem Weg. Meine Mutter fragte besorgt: »Diese Sache mit der Geburtenregelung, Schwägerin, hast du dir die selbst ausgedacht oder haben die da oben dir das aufs Auge gedrückt?«
»Was heißt hier selber ausgedacht?« Gugu kam richtig in Rage: »Das ist ein Appell der Partei an das Volk! Eine Anordnung vom Vorsitzenden Mao. Das ist Staatspolitik! Der Vorsitzende Mao lehrt uns: Die Menschheit darf nicht unkontrolliert wachsen, sie soll Selbstbeschränkung üben und sich nur geplant vermehren.«
Meine Mutter schüttelte verständnislos den Kopf: »Seit Urzeiten und bis heute ist es vom Himmel bestimmt und ein unerschütterliches Recht, Kinder zu bekommen. Schon während der Han-Dynastie verfügte der Kaiser, dass die Mädchen des Volkes mit dreizehn heiraten sollten. Wenn sie nicht heirateten, fragte man beim Vater und beim großen Bruder nach. Denn woher sollte das Land seine Soldaten nehmen, wenn die Mädchen keine Kinder mehr bekamen? Tagtäglich hören wir in der Propaganda, dass die Amerikaner uns angreifen wollen. Tagtäglich spornen wir uns an, Taiwan zurückzugewinnen. Woher sollen denn die Soldaten kommen, wenn die Frauen keine Kinder mehr kriegen dürfen? Wer kämpft denn gegen die Amerikaner in den von ihnen angezettelten Invasionskriegen, wenn wir keine Soldaten mehr haben? Und wer soll Taiwan befreien?«
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