Vierunddreißigster Tag . Durch steinige Schluchten und über Sandwüste, und im Westen die syrischen Berge, zusammengedrängt wie eine Viehherde. Heute Nachmittag wären wir fast wieder überfallen worden. Zwei Agail bemerkten Gewehre und Kopftücher am Eingang einer tiefen Schlucht, durch die die Piste führt, woraufhin die Karawane sofort umdrehte und nach Süden verschwand, während die Granden auf ihren Dromedaren mit schussbereitem Gewehr auf die Schlucht zuritten. Die Männer trugen verschiedenfarbige Kopftücher und waren vom Dschebel Druse. Ich glaube nicht, dass es Drusen waren, sondern Leute aus der Umgebung, halb Bedawi, halb Drusen. Sie sagten, sie wollten den verrückten Farangi sehen, der sich in der Wüste herumtreibt, und nachdem ich herbeigerufen worden war, musterten sie mich kritisch, aber freundlich. Anschließend wurden große Reden geschwungen. Und mit fünfzehn türkischen Pfund und einem Sack Datteln gaben sie sich schließlich zufrieden. Ohnehin hätten sie uns keine nennenswerten Schwierigkeiten machen können, da nur einige von ihnen beritten waren.
Fünfunddreißigster Tag . Wir reiten zwischen zwei kahlen Gebirgszügen, rosa und ocker und purpurrot, im Schatten indigofarben, die sich in stehenden Wasserlachen spiegeln. Dort, wo das Wasser ausgetrocknet ist, ist der Boden rissig und fleckig wie eine Alligatorhaut. Nachdem uns von den Bedawi keine Gefahr mehr droht, denken alle voller Sorge an das Kamelreiterkorps der Franzosen, denn Tabak und Kamele sind zollpflichtig, und das Entscheidende ist jetzt, nicht aufzufallen. Wie eine Karawane aus fünfhundert Kamelen unbemerkt nach Damaskus gelangen soll, ist mir schleierhaft, aber Wunder sind ja nie auszuschließen. Alle sind unruhig und aufgeregt wie beim letzten Tag auf einem Ozeandampfer.
Sechsunddreißigster Tag . Alles kommt, wie es kommen muss. Wir haben unser Lager in einer kleinen geschützten Mulde bei Dmair aufgeschlagen. Wir sind in Syrien. Blauer Rauch steigt über dem Dorf auf und verliert sich in dem Blau der Berge, hinter denen Libanon liegt. Weiter südlich der Dschebel Scheich, gebeugt und ehrwürdig. Ringsum weiden Ziegen und Schafe. Ich würde gern nach Dmair gehen, aber Jassem ist dagegen, er befürchtet, ich könne die verschlafenen Zollbeamten aufscheuchen. Es kommen aber einige Bewohner von Dmair auf Kamelen und Eseln angeritten. Fast wünschte ich, wir wären noch immer in der Wüste, würden aufbrechen statt ankommen, bestünde nicht die Aussicht auf ein warmes Bad und Essen, Essen, Essen.
Siebenunddreißigster Tag . O diese Sajjids. Der unvergessliche Einzug in Damaskus.
Gestern Abend war ein einziges Kommen und Gehen im Karawanenlager, an Jassems Feuer wurde lange diskutiert, und die Kamele stöhnten und brabbelten. Das Letzte, was ich beim Einschlafen hörte, war das Klingeln von Münzen, türkische Goldpfunde, die einzeln in jede Hand gezählt wurden. Als ich morgens aufwachte, sah das Lager aus wie von einem Wirbelsturm verwüstet. Die Hälfte der Kamele, das meiste der Tabakballen und Teppiche und wohl auch des Opiums war verschwunden. Jassem saß seelenruhig da und mahlte Kaffee und strich sich manchmal über den Bart. Während wir gemeinsam Kaffee tranken, gab er mir freundlich zu verstehen, dass ich, wenn ich in Damaskus mit den Franzosen spreche, nicht wissen solle, wie viele Kamele es gewesen seien oder auf welchem Weg wir gekommen seien. Ich sagte ihm, dass ich ein schlechtes Zahlengedächtnis habe.
Dann wurde Abdullahs weißer Hengst gebracht, ich klemmte meinen wundgeriebenen Hintern auf einen scheußlichen Sattel, und dann ging es los in Richtung Damaskus, ich auf dem Hengst, der Sajjid auf seinem Dromedar, der Koch des Sajjid auf einem kapriziösen weißen Kamel und ein Agail zu Fuß, der uns bis zur Straße bringen sollte. Es war ein schier endloser Morgen. Immer wieder kamen wir vom Weg ab, erst über ein struppiges Plateau, dann durch ein fruchtbares Tal mit Weideland, Feldern mit grünem Sesam und Luzerne, Apfelbäumen, rosafarbenen Lehmziegelhäusern. Schließlich erbarmte sich der Sajjid meiner, der ich auf dem steigbügellosen Pferd durchgeschüttelt wurde, und ließ mich auf seinem Dromedar reiten. Dem weißen Kamel behagte der Geruch der Zivilisation nicht, unentwegt versuchte es, in die Wüste zurückzupreschen. Schließlich kamen wir, fast verrückt vor Hunger, wundgerieben, humpelnd und hundemüde, zu einem Dorf, wo wir die Tiere vor dem Kaffeehaus ließen, überaus frugal Bohnen und Käse und Kebab aßen und dann, hingegossen wie Zeus in seinem Adlerwagen, in einem Landauer nach Damaskus fuhren. Doch noch bevor ich etwas in den Mund und Wasser an meine Haut bekam, musste ich sämtliche Verwandten des Sajjid besuchen, bärtige alte Männer im Basar der Schreiber, Leute in geheimnisvollen Höfen, die Anhänger von Faisal waren und gegen die Franzosen konspirierten, einen Schneider in einer Schneiderei, den Inhaber eines Kaffeehauses, das von den Agail frequentiert wurde. Jedes Mal nicht enden wollende Höflichkeiten und Freundlichkeiten, bis wir uns schließlich mit den Mächten der Zivilisation konfrontiert sahen. Wir hatten die Droschke vor einem Kaffeehaus abgestellt, in dem wir eifrig palaverten, und ich war vor lauter Hunger und Ungewaschensein viel zu benommen, als dass ich etwas mitbekommen hätte. Als wir nach draußen traten, sahen wir einen betrunkenen französischen Offizier in der Droschke sitzen. Der Sajjid protestierte, es sei unser Wagen, worauf der Franzose üble Beleidigungen ausstieß und der Sajjid seinen kleinen Dolch zückte, und die Hölle wäre los gewesen, wenn der Franzose nicht vage mitbekommen hätte, dass ich Französisch mit ihm redete. Sofort entschuldigte er sich wortreich, umarmte den Sajjid im Namen der Alliierten, und gemeinsam fuhren wir, «La Madelon de la Victoire» singend, zu einer vollkommen pariserischen Bar im Stadtzentrum. Der Sajjid saß draußen, während wir Okzidentalen hineingingen und im Namen von Liberté, Fraternité und Egalité ich weiß nicht wie viele Gläser Absinth tranken. In einer unendlich rosafarbenen Wolke sauste ich zum Hotel, wo ich den Franzosen und den Sajjid irgendwie abschütteln konnte, und war schließlich allein, räkelte mich wohlig in einem heißen Bad, das nach Absinth schmeckte, nach Absinth roch, angenehm dampfte und rauschte und absinthrosa prickelte.
1. Der Wind bläst das Zelt auf wie einen Ballon,
es zerrt an gespannten Seilen,
will sich losreißen und losfliegen
über wermutbedeckte Schluchten
und schartige Feuersteinhügel,
hinauf in die stürmische Nacht
und die heulenden Wolken.
Fest
wie ein Wurm sich listig
um das Staubblatt einer Fuchsie schlingt,
schlingt ein Mann die Hände um eine Kerze.
Die Flamme zittert im Wind,
züngelt an seinen Händen,
färbt die schwankenden Mauern rot.
Die Hände werfen Schatten auf die roten Mauern.
Das Kerzenlicht schwindet, flackert wieder auf.
Die Schatten sind voll von alten Zeltbewohnern –
Männer, neugierig auf das Leben in den Städten,
Männer, die andersartiges Brot probieren wollen,
Männer, die sich auskennen mit Polarstern
und Mondphasen,
die sich Ost und West
lässig über die Schulter werfen
wie einen Mantel:
Herodot, Thales, Demokrit,
Heraklit, der Flüsse beobachtete,
parosstirnige lohwangige Reisende,
die lange bei den Weinhändlern saßen und zuhörten,
früh aufstanden und den Hafenwind schnupperten
und das Leuchten der Wüstenorte in der
Morgendämmerung sahen,
und wachen Sinnes
Meere und Ebenen und Städte bereisten,
in festen Händen
bis an die grauen kühlen Augen
die eigenwilligen Seelen von Menschen und Göttern.
Die Kerze ist in Dunkelheit und Wind erloschen.
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